Womöglich können nur schwache und nicht allmächtige Richter im Italien von heute überleben. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Literatur zum Refugium der Richter wird … (Michele Smargiassi, la Repubblica, 7. September 2011)
Furcht und Hoffnung
– Andrea Camilleri, Giancarlo De Cataldo, Carlo Lucarelli – drei Autoren, drei Geschichten, ein Thema: Richter in Italien. Stefan Linster über ein schmales, aber sehr lohnendes Bändchen.
Zugegeben, beim Anblick der drei illustren Namen auf dem Buchdeckel hatte ich unwillkürlich mal wieder zu viel erwartet. Denn wie sollte so ein recht schmales Bändchen uns wahrhaft Neues, Epochales über Mafia und Richter, über italienische Verhältnisse und Rechtspflege liefern, sofern dies, zumindest was die Zeit vor der schönen neuen Cyberwelt und Globalisierung betrifft, überhaupt noch möglich wäre. Und dennoch …
Aber der Reihe nach. In ganz unterschiedlicher Manier schildern die Herren Camilleri, De Cataldo und Lucarelli das Wirken dreier Juristen im Kampf gegen das organisierte Verbrechen, worüber diese mehr oder minder ungewollt zu stillen Helden werden.
Camilleris Richter Surra bekommt es mit den Anfängen der Mafia im gerade vereinten Königreich Italien zu tun: Als er, von Piemont natürlich nach Montelusa auf Sizilien versetzt, das am Boden liegende Rechtswesen ordnen soll, erntet er größte Erfolge und allgemeine Hochachtung, weil er in seiner naiven Unkenntnis der örtlichen Codes und Sitten sämtliche versteckte Drohungen und selbst die Anschläge seiner Widersacher nicht einmal wahrnimmt und scheinbar unbeirrbar seiner Pflicht nachkommt.
Lucarellis Bambina wiederum, eine mädchenhaft zarte Ermittlungsrichterin aus Bologna, die einen dem Anschein nach einfachen betrügerischen Konkurs aufklären soll, wird nach einem Attentat auf sie und der Ermordung ihres selbstlosen Personenschützers Ferro („Eisen“) förmlich zur Löwin und vermag gerade noch eine beispiellose Verschwörung von Geheimdiensten, Rechtsextremisten und Mafia aufzudecken, ehe Sisyphos’ rachsüchtiger Gott den Stein am 2. August 1980 erneut hinunterstößt.
Und in de Cataldos Der dreifache Traum des Staatsanwalts gelingt es nämlichem Procuratore Mandati nach etlichen Rückschlägen endlich in den Neunzigern seinen Erzfeind seit der Schulzeit zu bezwingen, indem er diesen, mittlerweile allgewaltiger Bürgermeister von Mailand, dank hieb- und stichfester Abhörprotokolle diverser Machenschaften überführen kann.
Interessanterweise wählte jeder Autor seine eigene, dem Inhalt seiner Erzählung angemessene literarische Form. Während Camilleri beinahe zwangsläufig der Tradition des Pikaresken oder Schelmenromans folgt, ermittelt die Bambina in einer bewährten Krimihandlung, wie sie in die Drehbücher der französischen oder amerikanischen Filmklassiker aus den Siebzigern nicht besser hätte einfließen können. Lucarelli schließlich entschied sich für eine Traumnovelle, bei der die Grenzen ständig verschwimmen und der Leser sich der Handlung nie sicher sein kann.
Und doch eint die drei Erzählungen, vom programmatischen Anspruch abgesehen, verschiedene Ären der Mafia zu beleuchten, ihre Quintessenz, dass es sich bei ihnen um sagen wir mal weltliche Legenden handelt, weshalb die Protagonisten zunächst etwas zu prototypisch, vielleicht etwas zu gut und edel scheinen. Und so gerieten auch die Geschichten, wie es das Genre der Novelle (denn für Erzählungen im eigentlichen Sinne sind sie zu kurz) ja erwarten lässt, ebenfalls etwas schlicht – der angedeutete immanente Schwachpunkt. Neue Erkenntnisse über die strukturellen und funktionalen Verflechtungen von Staat, Justiz etc. und dem organisierten Verbrechen vermögen sie nicht zu bieten, analytische Tiefe nicht zu erreichen. Und dennoch …
Schließlich müssen sie das auch gar nicht leisten nach den ganzen literarischen und cineastischen Ikonen, nach den Werken zur Geschichte der Mafia wie die von Misha Glenny oder John Dickies „Cosa Nostra“ … Sollte man die drei Novellen also nicht einfach als das nehmen, was sie sind, als Hommage an die wenigen Tapferen, als Denkmale für die Lebenden und die Toten, für die Falcones, Grassos, Del Pontes und all die unbekannten stillen Helden, Carabinieri und Polizisten, die bei ihrem wohl absurden Kampf ihr Leben in jeder Hinsicht aufs Spiel gesetzt haben. Und daher sind diese kleinen Geschichten vom Aufbäumen Einzelner in einem offenbar durch und durch maroden Gemeinwesen, aller vorgebrachten Einwände zum Trotz, doch so lesenswert, anrührend.
Stefan Linster
Andrea Camilleri, Giancarlo De Cataldo, Carlo Lucarelli: Richter
(Giudici, 2011). Drei Erzählungen. Aus dem Italienischen von Hinrich Schmidt-Henkel. Stuttgart: Klett-Cotta 2013. 176 Seiten. 16,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.