Guerrillas im Nebel
Eins sollte man nie vergessen: Immer vergewissern, dass die Waffe geladen ist! Falls wir einmal als Söldner arbeiten sollten, wird uns nach der Lektüre von Andy McNab’s Die Abrechnung der eine oder andere Fehler nicht mehr unterlaufen können, denn nun wissen wir fast alles. Auch, wie bei einer Ladehemmung der AK-47 zu reagieren ist. Das ist nicht nur nützlich, meint Lena Blaudez, sondern auch ganz schön realitätstüchtig.
Dieser Kriegsroman geht so nah ran, dass wir die Moskitostiche spüren, halb verdurstet im Schlamm robben und auch sonst fast alles riechen und schmecken müssen, was Krieg mit sich bringt. Allerdings ist Die Abrechnung nicht nur ein politischer Kriegsroman, Thriller und Liebesroman in einem, sondern er beleuchtet auch Zusammenhänge, die so brutal wie real sind und obendrein hochaktuell. Es geht um den Krieg im Ost-Kongo, in der Ituri-Region. Kämpfe diverser warlords, einheimischer und internationaler Profiteure um die Plünderung der enormen Rohstoffvorkommen der Region, sind die Ursache dafür, dass hier seit 1994 die Gewalt eskaliert – und kein Ende findet.
Ein Serienheld im Kongo-Krieg
Nick Stone ist ein tougher Ex-Soldat, freiberuflich hin und wieder im Auftrag des britischen Geheimdienstes unterwegs, Söldner und Serienheld in mittlerweile elf Romanen. In Die Abrechnung, McNab’s neuntem Nick-Stone-Thriller, bildet er zunächst (im Rückblick) den verlotterten Haufen von Mobutos Soldaten für den Kampf gegen die Rebellen aus und erledigt miese Drecksarbeit für den Tyrannen.
Sehr schnell wird klar: McNab weiß sehr genau, wovon er spricht. Denn die Authentizität seiner Beschreibungen, von der versteckten Uhr, damit ihr Glanz in der Sonne nicht die eigene Position verrät, bis zu dem Entsetzen, in Killermaschinen verwandelten Kindern gegenüberzustehen, wird in all den vielen Details äußerst deutlich. McNab war jahrelang SAS-Mann (Special Air Service in der britischen Armee) und hat als Spezialist in Anti-Terror- und Anti-Drogen-Operationen rund um den Erdball undercover gearbeitet. Seine Sachbücher sind Weltbestseller, die Romane Bestseller in England.
Packend schildert er das Hand-in-Hand von Mobutus Verbrecherregime und „Großbritanniens Interessen in Übersee“. Nick Stone’s Hauptinteresse ist es allerdings zumeist, dass kein Dreck in seine Knarre gerät.
Erholsamerweise wird dann endlich in Lugano im schattigen Café Cappuccino getrunken. Nick Stone wartet auf die attraktive Silky, den Verlobungsring in der Tasche. Aber Silky kommt nicht.
Coltanminen und Kindersoldaten
Silky arbeitet für eine Hilfsorganisation. Und jetzt ist sie kurzentschlossen im Kongo, hilft in einem Waisenhaus. Nick muss hinterher, sie retten – und damit mitten hinein in seine Vergangenheit. Da sind dann alle von früher wieder da. Und auch der schlimmste aller Söldner, ein ausgemachter Widerling, ist wieder dabei.
Immer besticht die klare Sicht auf das Leben im Krieg, das elende Dasein der Coltan-Arbeiter, die mit bloßen Händen die wertvollen Brocken aus den ungesicherten Gruben kratzen, das hoffnungslose Dasein der in die Wälder Flüchtenden, das Elend der entführten und mit Drogen vollgepumpten Kinder, die Qualen der Frauen, ausgesetzt den Vergewaltigern und Plünderern.
Alles stimmt mit der heutigen Realität überein. Mit Namen und Adressen. Vom skrupellosen Absahnen Chinas an den Bodenschätzen bis zum bestialischen LRA (Lords Resistance Army)-Führer Joseph Kony, der von Uganda aus in den Ost-Kongo vorgerückt ist, die Bevölkerung tyrannisiert und inzwischen mehr als 20.000 Kinder entführt, als Killer oder Sexsklavinnen benutzt und misshandelt hat. Gerade vor kurzem, im Dezember 2008, wurden in der Ituri-Region 500 Menschen von LRA-Rebellen massakriert. McNab beschreibt solche Kämpfe mit der LRA um die Coltan-Minen extrem wirklichkeitsgetreu. Dadurch liest sich das Buch noch einmal anders, das macht ein großes Plus des Romans aus.
Ladehemmung
Doch, was bei Ladehemmung zu tun ist, hatten wir schon beim ersten Mal kapiert. Zugunsten der Gefechtsschilderungen gerät die übrige Handlung in den Hintergrund und wirkt teilweise nicht mehr so ganz plausibel. Der Anfangs weit gespannte Bogen wird im weiteren Handlungsverlauf enger – und ein böser Reicher ist am Ende an allem Schuld. Das hinterlässt dann einen leicht faden Geschmack. Dafür treten so extravagante Typen wie der Busch-Pilot und Waffenhändler Lex auf, der ein auf der Landebahn im Dschungel improvisiertes Golfspiel absichtlich verliert, damit die Kinder vom eingesetzten Geld profitierten. Und der Waisenjunge, der sich jetzt als hochqualifizierter Kämpfer für den Erhalt der Coltanminen und des Waisenhauses einsetzt, ist auch nicht übel beschrieben. Gerne hätte man davon etwas mehr – und ein bisschen mehr Hemmung beim Laden.
Lena Blaudez
Andy McNab: Die Abrechnung ( Recoil, 2006). Roman. Deutsch von Andreas Brandhorst. Blanvalet 2008. 442 Seiten. 8,95 Euro.