Geschrieben am 19. Januar 2013 von für Bücher, Crimemag

Antonio Hill: Der Sommer der toten Puppen

snapDer Traum vom perfekten Familienglück

– Zu den besten Zeiten von Andreu Martín oder Francisco González Ledesma war Barcelona una ciutat molt negre, dann kam viel mainstream und allmählich nur noch sehr wenig interessante Kriminalliteratur … Immerhin, das Debüt von Antonio Hill: „Der Sommer der toten Puppen“ ist keine Avantgarde, aber ein solider Anfang. Henrike Heiland ist nicht unangetan.

Héctor Salgado, Argentinier und Polizist in Barcelona, hat gerade keine gute Phase. Seine Frau Ruth hat ihn verlassen, weil sie sich in eine andere Frau verliebt hat. Den gemeinsamen Sohn hat sie mitgenommen, Héctor fühlt sich zunehmend entfremdet von dem Jungen und vermisst Ruth. Auch beruflich läuft es eher ruppig als rund. Nachdem er einen dringend Tatverdächtigen während der Ermittlungen gegen einen Mädchenhändlerring krankenhausreif geschlagen hat, sollte er sich eine Weile zurückhalten, und nun, da er von einem ausgedehnten Argentinienaufenthalt zurück ist, bekommt er einen scheinbar leichten Fall, bei dem er nicht viel verkehrt machen kann, so die Überzeugung seines Vorgesetzten: Der neunzehnjährige Marc ist in der Johannisnacht aus einem Fenster gestürzt. Die Mutter des Jungen, die jahrelang durch Abwesenheit glänzte und keinen Kontakt zu ihrem Kind hatte, behauptet, etwas stimme nicht mit seinem Tod. Salgado soll einen Blick auf die Sache werfen, die Mutter beruhigen und die Akte schließen. Doch kaum unterhalten Salgado und seine neue junge Kollegin sich mit den Freunden des Toten stolpern sie über Ungereimtheiten, die schnell nur einen Schluss zulassen: Jemand hat nachgeholfen.

Die Ermittlungen gestalten sich für Salgado aus verschiedenen Gründen schwierig: Die Familien des Opfers und seiner Freunde, allesamt der besseren Gesellschaft Barcelonas zugehörig, wollen mit der Polizei nichts zu tun haben und stellen sich der Untersuchung in den Weg. Es kommt zu einem weiteren Todesfall, der vermeintlich alles erklärt, in Wirklichkeit aber nur weitere Fragen aufwirft. Und ein Herumstochern in der Vergangenheit führt letztlich zu dem dramatischen Todesfall der zwölfjährigen Iris – zu dem Sommer der toten Puppen, bei dem Salgados Vorgesetzter eine nicht ganz nachvollziehbare Rolle gespielt zu haben scheint.

Abgesehen von seinem privaten Liebeslebenleid muss Salgado dann noch gegen den Verdacht kämpfen, selbst zum Mörder geworden zu sein, und ein Unbekannter bedroht ihn und seine Exfrau.

Viel Stoff, viel Atmosphäre …

Es ist viel Erzählstoff, dem sich Hill hier widmet. Er gibt seinen Figuren Raum, sich zu entwickeln, beschreibt sie lebendig und lebensnah, legt den Fokus, auch bei den Ermittlern, auf das Thema Familie, denn das ist letztlich der Kern dieser Geschichte: Wie weit ist jeder einzelne bereit zu gehen, wenn es darum geht, die eigene Familie zu schützen?

Interessant, dass Hill bei den Szenen, die die Vergangenheit – Iris’ Tod – betreffen, ins Präsens wechselt, was dem Ganzen einen eigentümlich unheimlichen Reiz gibt. Erzählerisch und sprachlich kann man nicht viel meckern, außer vielleicht zum Ende hin, wenn er einer Zwölfjährigen zutraut, in Briefform seitenweise sehr reflektiert ihre Situation zu schildern. Doch sonst? Ein solider Ermittlerkrimi, eine spannende Geschichte, die etwas braucht, um wirklich zu fesseln, aber die Zeit sollte man ihr geben. Schön auch zu sehen, wie Hill mit wenigen Mitteln viel Atmosphäre schafft und die Stadt Barcelona dadurch zu mehr als nur Kulisse werden lässt.

Unterm Strich also ein bemerkenswertes – wenn auch kein furioses – Debüt. Und nicht zuletzt, weil es einen Teil gibt, der nicht zu Ende erzählt wird, darf man auf die Fortsetzung gespannt sein.

Henrike Heiland

Antonio Hill: Der Sommer der toten Puppen (El verano de los juguetes muertos, 2011, unter dem Namen Toni Hill). Roman. Deutsch von Thomas Brovot. Berlin: Suhrkamp 2012. 369 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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