Schlimme Dinge mit Seeigeln
– Carl Hiaasen schreibt komische Romane über Florida. Früher waren sie eher radikal, heute sind sie eher von einer gewissen Altersweisheit, aber komisch sind sie immer noch. Wenn auch ein bisschen anders als früher. Thomas Wörtche mag ihn …
Seit „Tourist Season“, seinem ersten eigenständigen Roman aus dem Jahr 1986, gehören Carl-Hiaasen-Bücher zum intellektuellen Inventar von Lesern, die dem Schrecken, dem Irrsinn und der Unvernunft der Welt nur noch mit Lachen begegnen möchten oder können. 17 Romane aus dem täglichen Wahnsinn sind es bis heute geworden, „Sternchenhimmel“ ist der 16.
Ob es jetzt ein guter, ein besserer, ein schwächerer oder gar ein katastrophaler Hiaasen-Roman ist, sollen andere diskutieren. Nach den wirklich bösartigen Rundschlägen, die der Mann vom Miami Herald in den 1980ern und 1990ern gelandet hatte – und in denen es neben der Zerstörung des Naturparadieses Florida durch hemmungslose Profitgier immer auch um die aktuellen amerikanischen Neurosen ging (Schönheitschirurgie, religiöser Wahn etc.): Am besten sollte man Hiaasen noch mal von Anfang an lesen! – ist der ganz wütende Biss natürlich weg.
Vom AK47 zur Schrotflinte …
Nicht dass Hiaasen allzu altersmilde geworden wäre, genauso wenig wie seine heimliche Hauptfigur, der Ex-Gouverneur von Florida, genannt Skink, der als eine Art benevolenter Öko-Krieger (mit leicht terroristischen Neigungen: Hier tut er unschöne Dinge mit Seeigeln und Windeln an einem Bauspekulanten) in den Sümpfen lebt, sich von Asphalt-Pizza (vulgo: roadkill) ernährt, Rastazöpfe mit eingeflochtenen Patronenhülsen zum mit rituellen Farben bemalten kahlen Schädel trägt und als einziges Zugeständnis dem Altern gegenüber von der AK47 auf eine abgesägte Schrotflinte umgestiegen ist. In diesem Buch zieht Skink sogar einen Anzug von Ermenegildo Zegna an, aber wir bewegen uns ja auch in der Welt der Stars und Sternchen, der Markennamen und des Lifestyles, des Medienhypes und der gnadenlosen Ausbeutung menschlicher Regungen fürs Showbiz. Paris Hilton & Co. sind da noch harmlosere Fälle. Es toben bösartige, miese und völlig deviante Paparazzi durch die Gegend, wir begegnen einem alten Bekannten namens Chemo (Quiz: Aus welchen Roman?) wieder – der Mann hat statt einer Hand einen Rasentrimmer und ist, nachdem er Mörder war und Immobilienhai, gerade mal Bodyguard –, und einem Jungschauspieler, der in dem aktuellen Tarrantino-Film als nekrophiler Surfer ertrunkene Touristen anal schänden muss, bevor die Rolle doch rausgeschnitten wird.

Carl Hiassen
Stille Gags
All die und einer Menge anderer Figuren, die so irre irre sind, dass sie völlig plausibel rüberkommen, bevölkern Miami und Los Angeles. Boshaft setzt Hiaasen seine stillen Pointen (wie das Entsetzen der PR-Maschinerie darüber, dass ein sonst für jeden Skandal guter Star ganz und gar nüchtern, korrekt gekleidet, ohne Hintergrundstory, ganz banal im New Yorker Straßenverkehr totgefahren wird) – die abgedrehten, krawalligen Szenen, die der Roman durchaus in erklecklichen Mengen enthält, sind raffinierterweise nicht die mit den Gags. Sie sind das völlig normale Kontinuum des Wahnsinns, die Hiaasen nicht abermals zu Pointen zuspitzt. Ach, die Handlung … Ja, so was hat das Buch auch. Ist aber nicht so wichtig, und paradoxerweise ist das hier kein Negativ-Kriterium. Au contraire.
Thomas Wörtche
Carl Hiaasen: Sternchenhimmel (Star Island, 2010). Roman. Deutsch von Marie-Luise Bezzenberger. München: Manhattan 2012, 398 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors.