Geschrieben am 23. Mai 2009 von für Bücher, Crimemag

Charlie Huston: Das Blut von Brooklyn

Koschere Beißerchen

Früher war alles besser. Na ja, aber immerhin war der Clou beim klassischen Vampir-Roman eben, dass die Viecher ihre Geschlechtswerkzeuge im Gesicht trugen. Okay, das ist vielleicht über Jahrhunderte hinweg wenig abendfüllend, aber keusche Vampire mit Beißhemmung wie die von der Lady mit dem religiösen Hintergrund —, neee, das muss nicht sein. Glücklicherweise gibt es derlei Unfug nicht bei Charlie Huston und seiner Hauptfigur Joe Pitt. Da wird noch zugebissen, dass das Blut fröhlich spritzt. Recht so, findet Thomas Wörtche, der den dritten Teil der Saga gelesen hat …

Die Frage musste ja mal gestellt werden: Wie sieht’s eigentlich mit jüdischen Vampiren und der koscheren Küche aus? Kann man alles essen? Oder muss man seine Nahrung nach eigenen Regeln und Ritualen vor- und zubereiten? Joe Pitt, der Vampir mit Disziplinproblemen, der hilflos verstrickt ist in die Kämpfe verschiedener Beißer-Clans, die New York City unter sich aufgeteilt haben, wie weiland die „Fünf Familien“ oder andere Gangs of New York, bekommt es mit ein paar ganz hartgesottenen jiddischen Kollegen aus Brooklyn zu tun. Brooklyn war ja nicht umsonst u.a. Heimat und Amtssitz von Murder Inc. – also von Jungs mit so schönen Namen wie Lepke Buchalter, Gurrah Shapiro, Bugsy Siegel, Abe Reles oder Bugsy Goldstein. Heute also Vampire, die ja, wie alle einschlägigen Typen bei Huston nicht einfach – metaphysisch gesehen – Blutsauger sind, sondern von einem „Vyrus“ befallen, der eine bösartige Mutation normaler Viren ist. Sogar ein Gegenmittel möchten manche erfinden und für die Integration der Befallenen in die Gemeinschaft aller Menschen streiten. Auch ein paar besonders durchgeknallte Vampire, die eine Art Eso-Fraktion im Konzert der verschiedenen Clans bilden.

The Vampires of New York

Huston persifliert fröhlich Vampir-Mythen, alle Arten von NYC-Mythen, Grand Guignol, Privatdetektivroman, Mafia-Roman und alles andere Genre- und Subgenretypische, was nicht niet und nagelfest ist, aber wunderlicherweise gehen seine Bücher in einer solch postmodernen Spielerei nicht auf, obwohl sie als solche schon sehr gelungen sind. Hin und wieder schafft er es, ein paar Momente voller dunkler Magie und verblüffender, intensiver Bilder und Passagen herbeizuzaubern, die das reine Amüsement ein wenig relativieren. Hier ein wirklich ekelhafter Freakshow-Zirkus (mit besten Grüßen an Todd Browning), der atmosphärisch ungemein dicht und intensiv geschildert ist und noch ein paar tragische Implikationen enthält, die erst später im Buch wichtig werden; und die Passagen, in denen Pitt das alte, aber grundsätzlich aktuelle Problem hat, wie er mit seiner todkranken Freundin umgehen soll: Sterben lassen, wie sie es vermutlich gerne hätte oder sie infizieren und damit ganz massiv in ihr Leben eingreifen …

Anyway, bis auf solche Momente, die zeigen, dass man durchaus zwischen Klamauk und etwas substantielleren Passagen blitzschnell hin und her switchen kann, ohne etwas falsch zu machen, sind Hustons Bücher die reine Freude. Lakonisch sowieso. Und das ist die halbe Miete.

Thomas Wörtche

Charlie Huston: Das Blut von Brooklyn. Ein Joe-Pitt-Roman. (Half the Blood of Brooklyn, 2007). Roman.
Aus dem Amerikanischen von Kristof Kurz.
München: Heyne 2009. 319 Seiten. 8,95 Euro.