Meisterdieb Charlie oder der Griff in die Mottenkiste
In Amsterdam kann man schon mal verloren gehen, aber eher in space denn in time. Die Lektüre von Chris Ewans Roman namens Amsterdam hat Susanna Mende aber ein klein wenig verwirrt.
Nach der Lektüre von Amsterdam, dem Erstling des britischen Autors Chris Ewan, habe ich vorsichtshalber einen Blick auf den Kalender geworfen und beruhigt festgestellt, dass wir uns, wie ich angenommen hatte, im Jahr 2009 befinden. Beim Zuklappen des Buchs hatte ich mich in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückversetzt gefühlt, die Zeit nämlich, in der Agatha Christie anfing, ihre Hercule-Poirot-Romane zu schreiben.
Wenn mir ein Autor schon mit diesen abgenutzten, literarischen Zauberkunststückchen kommt, die Entlarvung des Bösewichts als gemeinsames Rätselspiel (der Leser macht – angeblich – mit) zu inszenieren, bei dem der Held Beweisstücke wie Kaninchen aus dem Zylinder zaubert und ihm seine „kleinen grauen Zellen“ zu messerscharfen Schlüssen verhelfen, die er der versammelten Runde sämtlicher direkt und indirekt beteiligter Personen mitteilt, um dann triumphierend auf den Mörder unter ihnen zu zeigen, möchte ich mich zumindest in einem hübschen Setting wie einem Orientexpress befinden und nicht auf einem Fabrikhof. Außerdem stehen krimischreibende Helden bei mir unter Generalverdacht, weil dieses pseudointellektuelle Geplänkel über die großen Vorbilder im Text meist nur peinlich ist.
Doch immer der Reihe nach: Der Held der Geschichte heißt Charlie Howard, schreibt Kriminalromane und betätigt sich nebenbei als Dieb. Er ist britischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Amsterdam, hat einen diskreten Auftragsvermittler für anspruchsvolle Diebstähle in Paris und eine pfiffige Lektorin in London, die ihn auf die logischen Brüche in seinen Kriminalromanen aufmerksam macht.
Als er für einen Amerikaner an einem Abend zwei Einbrüche verüben soll, bei denen jeweils eine kleine Gipsfigur zu entwenden ist, wird eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, die Charlies bis dahin meist beschauliches Leben ziemlich durcheinanderbringt. Sein Auftraggeber wird ermordet und für die beiden Objekte, in deren Besitz er ist, interessieren sich noch andere Personen, die leider mit Baseballschlägern bewaffnet sind. So mutiert der Dieb und Krimiautor denn unfreiwillig zum Detektiv und versucht herauszufinden, was so besonders an den Figürchen ist, dass plötzlich Mord und Totschlag geschehen.
An manchen Unternehmungen Charlies lässt uns der Autor teilhaben, andere werden uns durch die Telefonate mit seiner pfiffigen Lektorin in London referiert, denn klar ist ja: So eine Krimilektorin ist natürlich auch eine tolle Detektivin.
Nach ein paar durchaus einfallsreichen Wendungen hat unser Protagonist natürlich herausgefunden, was es mit den Figürchen auf sich hat und setzt den Leser in einem langen, wortreichen Showdown über das ins Bild, was er zuvor nicht erzählen wollte, besser gesagt, nicht konnte, da die Geschichte natürlich weit, weit zu einem Verbrechen zurückreicht, das wieder den Kreis zum Auftraggeber und dessen Vorgeschichte schließt. Können Sie mir noch folgen?
Ich jedenfalls hatte einfach irgendwann keine Lust mehr, dem Autor bzw. seinem Protagonisten bei seinen Ausführungen zu folgen, weil so viel referiertes Geschehen einfach langweilig ist und erzähltechnisch einen Griff in die Mottenkiste bedeutet.
Das Einzige, was mich an diesem Buch wirklich beschäftigt hat, war die Frage, warum es Amsterdam heißt. Bis auf die Tatsache, dass der Protagonist mehrmals Fahrräder klaut, einmal auf einem Hausboot einbricht und die Kellnerin kifft, könnte die Handlung auch an jedem anderen urbanen Ort spielen.
Lesen Sie lieber einen Reiseführer über Amsterdam, das ist bestimmt spannender!
Susanna Mende
Chris Ewan: Amsterdam: Ein Meisterdieb jagt seinen Schatten (The Good Thief’s Guide to Amsterdam, 2007). Roman. Deutsch von Stefanie Retterbush. Bergisch-Gladbach: Bastei Lübbe 2008. 333 Seiten. 7,95 Euro.