Gut frisiert in den emotionalen Abgründen des Münchner Anglistikinstituts
Zum dritten Mal schickt Christian Schünemann seinen Münchner Starfrisör Tomas Prinz auf Mörderjagd. Kirsten Reimers folgte ihm in eine fremde Welt zwischen Glätteisen und Enlightener und ist betört von dem unaufdringlichen Charme des Whodunit.
Tot liegt der Dekan der Fakultät für Sprach- und Kulturwissenschaften der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in seinem Büro – gestorben an einer Überdosis Digitalis. Galt der Anschlag womöglich seiner Frau Mara Markowski, der frisch berufenen Professorin für englische Literaturwissenschaft? Oder wollte jemand mit drastischen Mitteln gegen die „Markowski-Mafia“ vorgehen, wie unzufriedene Privatdozenten das Paar hinter vorgehaltener Hand betiteln? Da auch Rosemarie, Au-pair-Mädchen der Schwester des Starfrisörs Tomas Prinz, Anglistikstudentin und seit neuestem studentische Hilfskraft der Professorin, sich verdächtig macht, nimmt der Coiffeur der Extraklasse die Ermittlungen auf. Und zwar auf seine eigene charmant-zurückhaltende Weise.
Denn Tomas Prinz ist und bleibt im Hauptberuf Frisör. Sein erster Blick wandert stets zu der Frisur seines Gegenübers, fachmännisch begutachtet er Schnitt und Farbe. Bei Mara Markowski fällt ihm zum Beispiel das gepflegte Haar in perfekter Länge ins Auge: „Und die Haarfarbe war dieser raffinierte Braunton mit dem leichten Stich ins Violette, wie ihn Frauen tragen, die ihre Zurückhaltung ins Rampenlicht stellen und dadurch umso wertvoller wirken.“ Als Starfrisör hat Prinz einen Blick für Details und für die Widersprüche in Inszenierung und Erscheinen der Menschen. Dies ermöglicht ihm, seine anspruchsvolle Klientel optimal zu beraten, eröffnet ihm aber auch eine Ahnung der verborgenen Leidenschaften und Verletzungen. In der Welt der Universität ist er ein Außenseiter – umso leichter fällt es ihm, hinter die vermeintlich rationalen Fassaden zu blicken. Und dort lauern wie überall Neid, Eifersucht, enttäuschte Hoffnungen und unerbittliche Konkurrenz.
Frisieren und Ermitteln
Auch während seiner Tätersuche bleibt Prinz seiner Haupttätigkeit treu – Frisieren und Ermitteln verzahnen sich. Das ist besonders anschaulich in den Passagen, in denen der Coiffeur seinen Kunden die Haare schneidet und gleichzeitig über den Fall nachdenkt: „Ich zog die Strähnen flach heraus, fing an zu stufen und beobachtete dabei, wie das Haar fiel. Jeden Einzelnen dort an der Uni, das gesamte Umfeld von Mara Markowki müsste die Polizei sich vorknöpfen (…). Um den Hinterkopf herum zog ich einen Scheitel, einen nach dem anderen, und schnitt immer gerade ab.“
So sinnlich beschreibt Christian Schünemann die Arbeit des Frisörs, so plastisch und detailliert, dass man meinen könnte, er hätte selbst eine entsprechende Lehre gemacht. Aber der Autor zählt eindeutig zur schreibenden Zunft: Nach dem Slawistikstudium absolvierte er die Evangelische Journalistenschule in Berlin und ist heute zwischen den Frisörkrimis tätig als Storyliner für tägliche Fernsehserien – unter anderem für „Verbotene Liebe“ und „Verliebt in Berlin“. Die umfangreichen Frisurenkenntnisse stammen von einem echten Coiffeur: Ulrich Graf, dessen Münchner Salon Christian Schünemann nahezu eins zu eins in seinen Bücher abbildet. „Ulrich Graf und seine Farbstylistin Moni sind meine ersten Leser“, berichtet Schünemann. Von Anfang an planen sie mit ihm die Schnitte und Farbtechniken und sorgen später für den fachspezifischen Feinschliff des Textes. Da aber hören die Berührungspunkte auch schon auf: „Als Figur ist der Frisör und Ermittler Tomas Prinz eigenständig, eine Kunstfigur“, versichert der Autor.
Kein Drama, Baby!
Ein Storyliner für tägliche Serien, der Krimis um einen schwulen Starfrisör im Münchner Glockenbachviertel schreibt – das klingt, als müssten seine Bücher von schrillen Exzentrizitäten nur so wimmeln. Doch Schünemann verzichtet bewusst auf alles Grelle und Überzogene, ebenso auf die naheliegenden Klischees: „Gerade weil es sich so anbietet, fahre ich es ein bisschen herunter und mache es dezenter.“ Auch der Abstand zur täglichen Serie ist eindeutig: „Beim Schreiben grenze ich mich richtig ab“, erklärt Schünemann. „Es gibt bestimmte Formulierungen, diese schon hundertmal benutzten Floskeln in der Storyline, die ich automatisch im Roman nicht verwende – das gehört halt zur Storyline, das ist eine ganz andere Schublade.“
Und das ist auch gut so. Christian Schünemann erfindet zwar mit seinen Frisörkrimis den Whodunit nicht neu, aber er füllt die Form souverän. Überzeugend ist vor allem die konsequente Perspektive des Frisörs, sein Stil, sein Auftreten, sein Denken, die leise Selbstironie als Grundhaltung. Und wie der Frisör – so auch die Sprache: elegant, stilsicher, leichtfüßig und unaufgeregt. Das entfaltet einen betörenden, unaufdringlichen, geradezu seidig schimmernden Charme. Im Vergleich zu den vorangehenden Krimis, Der Frisör und Der Bruder, ist Die Studentin zudem straffer konzipiert: Neben- und Umwege sind keine Abwege mehr, sondern in irgendeiner Weise schlüssig mit dem aktuellen Fall verbunden. Das gibt dem Krimi Halt und Schwung wie bei einer guten Frisur: vom Detail bis zum Gesamterscheinen in sich stimmig.
Kirsten Reimers
Christian Schünemann: Die Studentin. Roman.
Zürich: Diogenes 2009. 260 Seiten. 9,90 Euro.