„Destiny Titles“ oder Was tun gegen die neue Seuche?
– Ein neues Buch von Claus Cornelius Fischer und ein paar sehr grundsätzliche Gedanken über Titelgebung und andere Malaisen. Von Klaus Kamberger.
Das musste ja mal so kommen. Wir müssen es uns nur etwa so vorstellen: Da hockt in einem unserer richtungsweisenden Buchverlage eine hochmotivierte Truppe von superkreativen Marketing-Fuzzis auf ihren Designer-Stühlen und verbrainstormt die ultimative und noch nie da gewesene Idee, wie man den Hauptverkaufstitel im neuen Programm so in die Hirne aller Bücherfreaks gebrannt kriegt, dass sie gar nicht mehr anders können als – ja, was schon? – zugreifen, kaufen, Umsatz machen.
Bei Heyne haben sie das ja kürzlich erst so exemplarisch wie beinhart vorgemacht: alliterierend, ohne Punkt und Komma, dafür mit virtuellem Ausrufezeichen. War das ein Auftritt! „Verblendung“(!) – „Verdammnis“(!!) – „Vergebung“(!!!). Na ja, gar so neu war es nun auch wieder nicht gewesen, aber in dieser trilogierenden Ballung schon ein Knaller, oder?
Das können wir auch, knurrten da die Kollegen bei Random/Blessing und dtv und holten, nein, nicht zum Gegenschlag aus, aber sie löffelten doch gierig einen passenden Nachschlag auf die hauseigenen Dessertteller. „Schändung“, grummelte man bei dtv, „Erbarmen“ war die mitmenschliche Folge. Schließlich verdienen Geschändete unser aller Mitgefühl. Und nicht zuletzt, weil wir uns alle einem geistig-moralischen Erbe verpflichtet wissen, steht am Ende eine Verheißung, und die lautet halt „Erlösung“. Na gut, nicht immer, aber immer öfter. Denn auch im Hause Random/Blessing besann man sich wohl seiner einstmals pietistischen Konglomeratswurzeln im fernen Gütersloh und blökte dito: „Erlösung“.
Erlöst uns …
Nun haben beide den Salat. Zu Beginn des Jahres preschte Blessing vor und verhieß seine Version der „Erlösung“ (gebunden, mehr als 500 Seiten dick, angerührt von C.C. Fischer). Im Juli zog der Deutsche Taschenbuch Verlag, weil auch er sich einen „Erlösung“-Erlös verspricht (diesmal geklebt und aus der Feder von Jussi Adler-Olsen).
Wer aber, zum Donnerwetter, kümmert sich nun eigentlich um den armen Konsumenten am Stapeltisch, hin und her gerissen zwischen der Skylla an Münchens Bayer- und der Charybdis an der Friedrichstraße ebendort? Von wem soll er sich denn jetzt erlösen lassen? Eines ist klar: Bei Blessing kostet das Ganze um die 5 Euro mehr, während man sich beim dtv – immer die Bestsellerliste hilfreich im Auge – aber auf sichererem Terrain wähnen darf: Dort wird nämlich schon auf Platz 1 erlöst.
Bleibt nur noch die eine Frage zu diesen Wechselbälgern im Doppelpack: Warum eigentlich hatten bei unseren Marketing-Experten nicht schon längst die Alarmglocken geschrillt? Dass sie nämlich mit aller Wucht dabei waren (und wohl noch immer sind), eine öde Masche endgültig zu Tode zu strapazieren.
Mal ehrlich: Wen nervt das alles nicht längst, dieses Herumgespritze mit dreifach verdünnter Tinte, das uns Cornelia Funke zuzumuten beliebte („Tintenherz“, „Tintenblut“, „Tintentod“)? Und erst recht Stephenie Meyers‘ allgegenwärtige Bis(s)-igkeiten, mit denen der Carlsen Verlag von morgens bis abends und in der Nacht all jene heimsuchte, die – zur Schonung ihrer Hälse – freiwillig die Portemonnaies hinhielten?
Schänd mich …
Wie immer wir es aber auch wenden mögen, im Moment herrscht er noch ungebrochen, dieser Terror unserer Marktschreier. Schauen wir doch nur mal auf die aktuelle Sellerliste der Media Control und damit in ein wahres Inferno ominöser, nennen wir sie mal schick: „destiny titles“. Geleiten sie uns doch vom Schrecklichen zum Letalen und dann fernabdonnernd ins Nichts, endlich aber steil hinan zum Tröstlichen (nur die Reihung müsste noch besser tariert werden): „Schändung“ (Platz 5), „Todesstoß“ (Platz 6 ), „Verwesung“ (Platz 9); doch dann winkt, gratias agimus, ganz oben die „Erlösung“ (Platz 1).
Es sieht so aus, als lägen die Wiederkäuer in den Münchner Verkaufsbuden voll im Trend. Doch in Wirklichkeit hinken sie nur noch hinter sich selber her. Im notorischen Haus Heyne hat man es nämlich vor Jahren schon, wenn auch in derivater Form, vorgemacht. Und dieses Stephen-King-Virus, mit dem der Buchmarkt – Knall, Schrei, Seufz, Peng – einst so nachhaltig infiziert wurde, grassiert halt noch: „Es“ – „Sie“ – „Drei“ – „Puls“ – „Wahn“ – „Qual“ – und immer so weiter.
Verdamm Dich …
Trotzdem: Könnten bei unseren „Erlösern“ ob ihres Missgeschicks wohl neue Einsichten aufkeimen? Eher nicht, steht zu fürchten, jedenfalls nicht, solange der Überdruss des p.p. Publikums an dieser Marktschreierei nicht zu empfindlichen Einbrüchen führt. Fügen wir uns also in unser Schicksal und geben dem Affen lieber noch eine kleine Maso-Prise Zucker obendrauf. Wie wäre es, liebe Titelhuber, wenn ihr mal fix Titelschutz auf alle Wörter anmelden würdet, die im Duden, sagen wir, etwa mit „Ver-“ beginnen. Ver-dammt gute Idee, oder? Immerhin schlappe 48 Spalten oder 16 Seiten Stoff! Okay, nicht alles wird brauchbar sein. „Verdrängung“ geht eher nicht (klingt zu sehr nach Freud), „Vermeidung“ (kriecht der FDP und ihrem Steuerkomplex hinten rein), „Verzauberung“ (passt eher für eine Romantik-Seller-Serie). Aber wie wär’s mit „Verarschung“? Zu grob? Vielleicht, aber irgendwie passend, oder?
Doch zurück zum Anlass unseres Diskurses. Wie gehen, fragt man sich betroffen, nun eigentlich die beiden Verlage mit ihrer „Erlösung“ im Doppelpack um? Werden sie einander den Titel urheberrechtlich um die Ohren hauen, vulgo Klage erheben, auf Schadensersatz oder Einstampfen? Ach wo, sollen doch die Käufer/Leser schauen, wo sie bleiben … Wir durften nämlich erfahren, dass man sich gütlich auf einen bedauerlichen Unfall geeinigt hat und damit dem Markt die Entscheidung überlässt, von wem sich der Krimi-Leser am Ende erlösen lassen will.
Verarsch uns …
Ehrlich gesagt, von C.C. Fischer lieber nicht. Es sei denn, man möchte sich wieder einmal exemplarisch vor Augen führen lassen, nach welch immer gleicher Rezeptur derzeit gerne Thriller angerührt werden, die den guten alten, vielen aber als abgestanden eingeredeten Polizei- und Detektivroman zu ersetzen versprechen. Die Masche läuft übrigens so ab: Man greife sich ein Thema, das der Menschheit weltbewegend unter den Nägeln brennt (Lehman-Crash, Bankenkrise, Islam und Öl, Atom), lasse eine Handvoll düsterer Drahtzieher damit ihr böses Spiel treiben, unterfüttere alles mit einer ungesühnten „Schuld“ aus vergangenen Tagen, baue eine aufrecht-nette Identifikationsfigur ins krude Geschehen ein, in ein Geschehen, das natürlich von einer gigantischen Verschwörung dieser drahtziehenden Finsterlinge gelenkt wird, und dann geht es am Ende natürlich nur noch um die Weltherrschaft – was sonst? Gottlob hält in unserem Fall der Autor ja eine „Erlösung“ bereit.
Nichts als Meterware. Und selbst die will uns im Falle Fischer/„Erlösung“ der Verlag dann auch noch als mehr oder weniger „literarisch“ andienen. Jedenfalls zitiert Blessings Presseabteilung nicht ohne Stolz einschlägige Pressestimmen, die früheren Werken C.C. Fischers ein „literarisches Schwergewicht“ attestieren. Vor solcher (externer) Hochschätzung müssen dann dem verlagsinternen Lektorat doch ganz schön die Knie geschlottert haben. Anders scheint jedenfalls die Masse an schiefen Metaphern und verdrehten Bildern nicht erklärbar, die nicht lektoraler Fahrlässigkeit zuzuschreiben sein dürften, sondern einem nur noch kopfscheu zu nennenden Respekt vor angeblicher „Literatur“.
Ein paar Kostproben gefällig?
- „Augen, grau wie das Meer an bedeckten Tagen, wenn das Licht am Wasser abzuprallen schien.“ (Widerfährt allerdings nur grauen Augen. Blaue schaffen den Durchbruch, wie eine andere Fundstelle belegt:) „… tiefseeblaue Trauer im Blick.“
- „Bis ihr Gehirn wund war …“ (Gut, dass sie sich nicht auch noch die Füße wund gelaufen hat.)
- „Die Iris darunter erinnerte an helle Oliven, winzig klein und in Calvados eingelegt.“ Und etwas später: „… die Olivenaugen drohten einen Moment, im Calvados zu ertrinken.“ (Aha, Eingelegtes kann also auch noch ertrinken.)
- „Sie lachte, die horizontale Flamme ihres Mundes flackerte.“ (Wie geht denn das? Rein physikalisch flackern Flammen ja von unten nach oben, also vertikal. Fürs Horizontale brauchen wir da schon einen Flammenwerfer, oder?)
- „Annikas Lächeln konnte das Rote Meer teilen, sogar wenn es sanft war.“ (Fragt sich nur, wer da nun sanft war. Das Lächeln? Das Meer?)
- „… in der Telefonzelle, vor der Dany unruhig auf und ab schlenderte.“ (Wie geht denn das: Unruhig schlendern? So, wie ruhig trippeln? Stoisch den Fuß wippen lassen?)
Sorry, das ist längst nicht alles, sondern nur eine kleine Auswahl.
Es geht übrigens das Gerücht, dass Lektorinnen und Lektoren heutzutage nicht nur Bücher verwalten, Klappentexte entwerfen und gestanzte Absagebriefe schreiben, sondern ab und zu auch ganze Manuskripte lesen sollen, mit dem Stift in der Hand. Wie gesagt: ein Gerücht …
Wie dem hier auch gewesen sein mag: aus dem Hause Blessing diesmal keine Erlösung. Ob es dtv besser gemacht hat, wird CrimeMag später ins Auge fassen. Man soll ja nie aufhören zu hoffen …
Klaus Kamberger
Claus Cornelius Fischer: Erlösung. München: Blessing Verlag 2011. 528 Seiten. Gebunden.19,95 Euro.
Verlagsinformationen zum Buch
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