Geschrieben am 12. Februar 2011 von für Bücher, Crimemag

David Osborn: Jagdzeit

Die Methoden des Machtkampfes

– In diesem Frühjahr erscheinen in einer Neuauflage zwei lange vergriffene Klassiker amerikanischer Spannungsliteratur: James Dickey, Flussfahrt (280 Seiten, 14 Euro, Seeling Verlag, Frankfurt) und David Osborn, Jagdzeit (272 Seiten, 10,95 Euro, Pendragon Verlag, Bielefeld). Beide Romane haben einen vergleichbaren Ausgangspunkt. Beide wurden Weltbestseller und beide wurden verfilmt – der eine mit Burt Reynolds, der andere mit Peter Fonda in der Hauptrolle. Der eine Film ist längst ein Klassiker, der andere ein weitgehend vergessenes B-Movie. Für sein Nachwort zu „Jagdzeit“ hat sich Frank Göhre auf Spurensuche nach dem einst populären Autor David Osborn begeben. Hier die um einige Passagen erweiterte Fassung…

Osborn im Klassiker-Check, Teil 1

Was sich in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in einem nordamerikanischen Städtchen hinter gutbürgerlichen Fassaden abspielte, hat der seinerzeit in Ipswich/Massachusetts lebende Autor John Updike in seinem 1968 erschienenen Roman „Couples“ (deutsch: „Ehepaare“, Reinbek, 1969) erzählt. Zehn Ehepaare finden zu einem promiskuitiven Reigen zusammen, in dem nach unausgesprochenen Regeln ein Kult des Sexuellen zelebriert wird – lustvoll und bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Wobei, wie dann wenig später Gay Talese im Verlauf  seiner letztlich neunjährigen Recherche für die Mammutreportage „Thy Neighbor’s Wife“, 1981, (deutsch: „Du sollst begehren. Auf den Spuren der sexuellen Revolution“, Berlin, 2007) notierte, die Initiative zum außerehelichen Quickie nicht ausschließlich von den Männern ausging: „Im Motelzimmer entledigte sie sich hastig ihrer Kleider. Bullaro betrachtete erneut ihren bemerkenswerten Körper, und wie früher legte sie auch diesmal eine gewisse Aggressivität an den Tag, als sie nackt ins Bett kletterte und ihn bestieg.“

Bereits Anfang der Fünfziger hatte der Sexualforscher Alfred Kinsey das Bild der vermeintlich prüden Amerikanerin, der keuschen Braut und treuen Gattin, zurecht gerückt. Als Ergebnis einer Befragung von 6000 Frauen im Alter von zwanzig bis Mitte/Ende vierzig hatte sich gezeigt, dass die Lust auf anonyme One Night Stands und Überschreitung jeglicher Tabugrenzen sich nicht nur in den Köpfen der Probandinnen abspielte sondern bei einem Großteil der Befragten bereits konkrete Erfahrung war. Damals taten sie es zumeist noch heimlich, spätestens aber mit dem Beginn der Hippie-Ära machten viele Frauen keinen Hehl mehr aus ihren sexuellen Bedürfnissen. Sie traten selbstbewusst und fordernd auf – während Präsident Lyndon B. Johnson zigtausend Männer nach Vietnam schickte, wo sie neben der Bombardierung von Dörfern und dem Einsatz von Napalm das taten, was Männer in Kriegen bisher immer getan hatten, nämlich einzeln und/oder in Gruppen Frauen zu vergewaltigen und zu töten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Amerikaner damit auch ihre vermeintliche Schwäche und Unterlegenheit im heimischen „Geschlechterkampf“ kompensierten.

Der 1923 als Sohn vermögender Eltern in New York geborene David Osborn war nicht in Vietnam, hat aber all das aufmerksam registriert. So ist ein starkes Leitmotiv seiner seit Anfang der siebziger Jahre veröffentlichten Romane „die schonungslos offene Darstellung aller, auch der subtilsten Methoden und Mechanismen des Machtkampfes, eines Gesellschaftsspiels, in dem persönliche oder politische Motive sich in gefährlicher Weise verquicken und der Zweck alle Mittel zu heiligen scheint.“ (Klappentext zur deutschen Ausgabe von „The French Decision“, 1979 („Der Maulwurf“, Wien/Hamburg, 1980).

Harmonische Kindheit in der Natur

Osborns Kindheit und Jugend verlaufen äußerst harmonisch. Er verbringt die Sommermonate in Hudson Valley und Rhode Island, lernt früh reiten und segeln. In New Mexiko absolviert er  die High School und unternimmt mit seinem Onkel, dem in Albuquerque ansässigen Anthropologen und Pulitzer Preisträger Oliver La Farge („Laughing Boy“, 1929, deutsch: „Indianische Liebesgeschichte“, Weinheim, 1979) längere Streifzüge durch die Reservate der Navajos. Gleich nach dem Schulabschluss lässt sich der Achtzehnjährige bei der Armee zum Piloten ausbilden und fliegt bis zum Ende des 2. Weltkriegs Einsätze im Südpazifik. Anschließend ist er kurze Zeit als Ausbilder und Testpilot tätig. Neben seinem Studium an der Columbia University jobbt er dann als PR-Mann für Off-Broadway-Theater und den populären New Yorker Radiomoderator und Komiker Jimmy Durante. Mit Achtundzwanzig wird er Chef der Presseabteilung bei „Transfilm“, dem größten Produzenten von Werbefilmen. Nach vier arbeitsintensiven Jahren jedoch gerät er ins Visier des Kommunistenhassers, -jägers und -anklägers Senator McCarthy: David Osborn hatte spezielle Radioprogramme für Afroamerikaner entwickelt und wird nun als antiamerikanisch und subversiv gebrandmarkt, zumal er auch einen Angestellten beschäftigt, der verdächtigt wird „mit einer kommunistischen Partei in Verbindung zu stehen“.

Es ist das Jahr 1955 und der erst zehn Jahre zuvor für seine Verdienste im Krieg noch hoch dekorierte David Osborn gilt als Landesverräter. Angewidert von den Praktiken des McCarthy-Systems zieht er einen radikalen Schlussstrich unter seinen bisherigen „American Way of Life“ und emigriert nach Frankreich. Was diesen Schritt auslöste, bleibt unvergessen und wird von Osborn später in dem Politthriller „Love and Treason“, 1982 (deutsch: „Schach der Dame“, Wien/Hamburg, 1986), thematisiert: Die Machenschaften eines Politikers, der Informationen über ihm nicht genehme Personen unter dem Deckmantel des selbstlosen Patrioten manipuliert und missbraucht.

Großes im Sinn

Knapp 27 km nördlich von Cannes liegt das Städtchen Le Bar-sur-Loup.

Durch die schmalen Gassen dieses provenzalischen Orts führt der Weg an einer alten Wasserleitung vorbei zu einem Steinbruch. David Osborn erwirbt und betreibt ihn fortan. Tagtäglich schuftet er mit den Arbeitern vor Ort und kann nach und nach auch Gewinne verbuchen. Aber er hat Größeres im Sinn. Abend für Abend setzt er sich an seine Reiseschreibmaschine und entwickelt ein erstes Drehbuch. Die Story: Nach dem Ableben ihres wohlhabenden Vaters lebt die junge Alleinerbin Kim zurückgezogen in ihrem Elternhaus am Meer. Da taucht ein Jahr später ein Mann auf und behauptet, ihr verunglückter Bruder Ward zu sein. Der geheimnisvolle Unbekannte kann seine Behauptung auch belegen, und selbst Kims Onkel Chandler identifiziert den Fremden als Ward.

Es ist ein mysteriöser Thriller, den Douglas Fairbanks Jr. mit Michael Anderson als Regisseur und Anne Baxter und Richard Todd in den Hauptrollen in London und der Grafschaft Hertfordshire realisiert. 1958 hat „Chase A Crooked Shadow“ (deutsch: „Flüsternde Schatten“) Premiere. Der Schwarzweißfilm wird immer wieder mal im deutschen Fernsehen gezeigt und steht bei der „British Academy of Motion Picture“ auf der Liste der zehn besten und spannendsten Drehbücher, die jemals geschrieben wurden.

Für Osborn beginnt eine lang anhaltende Karriere als Autor für britische Film- und Fernsehproduktionen. Er schreibt mehrere Originaldrehbücher, arbeitet an Serien mit und adaptiert u.a. den Agatha-Christie-Krimi „16 Uhr 50 ab Paddington“ mit Margaret Rutherford als Miss Marple. Der nach seinem Script gedrehte kanadisch-britische Spielfilm „The Trap“ (deutsch: „Wie ein Schrei im Wind“, 1966) wurde als bester ausländischer Film für den „Oscar“ nominiert: Es ist die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen einem ungehobelten Trapper (Oliver Reed) und einem stummen Waisenmädchen (Rita Tushingham). „Prisma Online“ schreibt: „Regisseur Sidney Hayers verband hier Westernmotive mit einem romantischen Drama und fing in der Wildnis Kanadas faszinierende Naturaufnahmen ein. ‚Wie ein Schrei im Wind‘ gilt heute als ein wichtiger britischer Kinofilm der sechziger Jahre und lebt vor allem auch von seinen hervorragenden schauspielerischen Leistungen. Bis zu diesem Zeitpunkt war Hauptdarsteller Oliver Reed nur ansatzweise gefordert worden, hier ist er einfach brillant in der Rolle des muffeligen Trappers La Bête. Und Rita Tushingham steht ihm als stumme junge Frau in nichts nach.“

Frank Göhre

Der 2.Teil des Beitrags folgt am nächsten Samstag.

Bibliografie:
The Glass Tower, 1971
Open Season, 1974 (deutsch: Jagdzeit, Wien/Hamburg, 1975)
The French Decision, 1979 (deutsch: Der Maulwurf, Wien/Hamburg, 1980)
Love And Treason, 1982, (deutsch: Schach der Dame, Wien, 1983)
Heads, 1985, (deutsch: Köpfe, Wien, 1985)
Jessica And The Crocodile Knight, 1984
Murder On Martha’s Vineyard, 1988 (deutsch: Mord auf Martha’s Vineyard, München. 1993)
Murder On The Chesapeake, 1992 (deutsch: Mord an der Chesapeake Bay, München, 1993)
Murder In The Napa Valley, 1993 (deutsch: Mord im Napa Valley, München, 1994)
The Last Pope, 2004

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