Geschrieben am 9. Mai 2009 von für Bücher, Crimemag

Didier Goupil: Castro ist tot!

Monsieur Goupils Gespür für Kuba

Wer sich in Kuba öffentlich von den Gebrüdern Castro abwendet, landet meist früher oder später im Knast. Und dort geht es in Kuba noch etwas ungemütlicher zu als in Europa. Der Franzose Didier Goupil hat sich mittels Doku-Fiction der Verhaftungswelle von 2003 genähert, aber der ultimative Roman über den sogenannten schwarzen März, sein gesellschaftliches Umfeld und die Situation kubanischer Gefangener steht weiterhin aus, befand Eva Karnofsky nach eher beschwerlicher Lektüre.

Die größte der Antilleninseln ist wahrhaftig eine Fundgrube für die schreibende Zunft. Gut 50 Jahre Sozialismus à la Castro haben sich tief in ihr Gesicht gefräst. Wie tief, offenbaren bereits die gewaltigen Schlaglöcher, die wenigen, meist uralten Autos auf dem Weg vom Flughafen in die Hauptstadt und die vielen Ruinen am Straßenrand. Nein, übertreiben muss man wirklich nicht, will man hierzulande Interesse für Kuba wecken. Leonardo Paduras Krimis sind ein Beispiel dafür, Bernd Wulffens Sachbücher ein weiteres.

Und doch scheint die Maßlosigkeit des Regimes in seiner Verachtung gegenüber den eigenen Bürgern auch gelegentlich einfliegende Schriftsteller und Reporter zur Maßlosigkeit anzuregen. Unerreicht Matthias Polytickis Menschenopfer-Fantasien und jener FAZ-Artikel, dessen Autor während der Balsero-Krise 1994 die Leichen Ertrunkener im Wasser vor der Strandpromenade von Havanna hatte liegen sehen. Die Balseros, die sich auf einem wackeligen Floß Richtung Florida aufmachen, um dem tropischen Sozialismus zu entfliehen, fordern offenbar zum Übertreiben heraus. Meist kommen sie um, schreibt Didier Goupil, als wäre es nicht genug, dass jeder vierte Floß-Flüchtling dem Meer zum Opfer fällt, wie die Katholische Kirche Kubas errechnet hat. Und als wäre eine dreijährige Wehrpflicht – inzwischen auf zwei Jahre reduziert – nicht lang genug gewesen, muss Goupils Protagonist Juan Valero gleich vier Jahre ableisten.

Gut, man mag einwenden, Goupil hat einen Roman vorgelegt, und da sind Übertreibungen erlaubt, doch über weite Strecken ist Castro ist tot! eben keineswegs Fiktion, sondern eine Reportage in Ich-Form über das Havanna des Jahres 2003, als Fidel Castro, damals noch im Vollbesitz seiner körperlichen Kräfte, 77 Dissidenten festnehmen und einkerkern ließ. In diese Reportage flicht der Autor fiktive Elemente über eben jenen Juan Valero ein.

Auch Juan Valero hat einen Paten in der Wirklichkeit: den Dichter Raúl Rivero, der 1995 CubaPress gründete – eine Agentur kubanischer Journalisten, die ausländische Medien mit unabhängiger Information über die Insel versorgte –, und der zu den im Jahr 2003 Verhafteten zählte. Goupil wandelt Riveros Vita geringfügig ab, er lässt Valero etwa im Boniato-Gefängnis einsitzen anstatt in Ciego de Ávila. Doch schon den Namen von Valeros Frau, Blanca, hat er der Realität abgeschaut. Valeros Frau, mit der sich unser Havanna-Besucher trifft, teilt mit Blanca Reyes, der Ehefrau Riveros, die beschwerlichen Besuche im Gefängnis und die Angst um ihren Mann, der ihr in seiner Zelle vermeintlich unpolitische Gedichte schreibt.

Zweifellos ist es von Wert, sich der entwürdigenden Behandlung der politischen Häftlinge auf Kuba anzunehmen, doch über das, was Blanca Reyes sowie die übrigen Ehefrauen von einsitzenden Dissidenten in ihren Interviews darüber berichtet haben, geht Goupil nicht hinaus. Wer diese Interviews gelesen hat, findet nichts Neues im zweiten ins Deutsche übersetzten Roman des Franzosen.

Rivero lebt heute in Madrid, doch Valeros Schicksal nimmt auf den letzten Seiten des Buches einen anderen Verlauf, der hier nicht vorweggenommen werden soll. Nur so viel sei verraten: Etwas wirklich Überraschendes, Überzeugendes ist Goupil nicht eingefallen.

Zurück zur Reportage. Sie beginnt, wie eine gute Reportage eigentlich nicht beginnen sollte: mit der Landung in Havanna. Dann Treffen mit einem Vertreter der französischen Botschaft und endlose Taxifahrten durch die Stadt. Auch Taxifahrer als Informanten sind im Übrigen im Journalismus verpönt. Und ob die dichterische Freiheit es erlaubt, den Namen eines Stadtviertels zu verdrehen – darüber mag man streiten.

„Als richtige Kubanerin hatte sie lange Zeit Amouren, Abenteuer und Liebhaber gesammelt“, glaubt Goupil über den weiblichen Teil der Inselbevölkerung urteilen zu müssen. Und an Überheblichkeit kaum zu überbieten ist die Behauptung, dass Fidel Castros Stimme omnipräsent sei „im Kopf jedes Kubaners, die den Geist vernebelte und ihn daran hinderte, eigenständig zu denken“. Die Liste der dümmlichen Verallgemeinerungen lässt sich fortsetzen und sorgt dafür, dass der Roman, der nicht Spannung, sondern Langeweile aufbaut, auch als Informationsquelle über einen traurigen Moment der jüngsten kubanischen Geschichte nur wenig taugt.

Eva Karnofsky

Didier Goupil: Castro ist tot! (Castro est mort!, 2007). Roman.
Aus dem Französischen von Ines Schütz.
Innsbruck-Wien: Haymon Verlag 2009. 120 Seiten. 14,90 Euro.