Immer schwärzer:
Elfriede Müller über Dominique Manotti („Letzte Schicht“ sowie „Bien connu des services de police“ (Der Polizei gut bekannt)) und den politischen Roman Noir.
Dominique Manotti hat inzwischen sieben Romane geschrieben und das mit Bedacht. Ihr Erstling „Hartes Pflaster“ erschien 1995, (2004 auf Deutsch), ihr letzter Text 2010. „Hartes Pflaster“, 2006 in Frankreich erschienen, dokumentiert als Noir den letzten erfolgreichen Streik illegaler Arbeiter unter der Mitterrand-Regierung, an dem Manotti als Gewerkschaftssekretärin teilgenommen hatte. Man sagt der Autorin nach, dass ihre Texte immer düsterer werden. Aber vielleicht entspricht dies ja auch der Welt, in der wir leben, denn Dominique Manotti versteht sich als ihre Chronistin.
„Die letzte Schicht“ ist ein Abgesang auf die Arbeiterbewegung und auf proletarische Solidarität angesichts undurchdringlicher und unfassbarer Verhältnisse. Denn die Produktionssphäre existiert gar nicht mehr, genauso wenig wie die besetzte Fabrik, sondern ist nur noch Abzocke von EU-Mitteln. Manotti erzählt die Privatisierung des Konzerns Thomson und die Auswirkungen auf die letzten Beschäftigten, denen der Gegner abhanden gekommen ist. Sie erzählt auch die Geschichte des einst stolzen französischen Industriestandorts Lothringen, von dem nichts mehr übrig geblieben ist.
Der letzte Arbeitgeber in der Region lässt Teile herstellen, die in Polen zu Fernsehern zusammengebaut werden. Trotz vieler Arbeitsunfälle und Ausschussproduktion bleiben die Arbeiter mangels Alternative bei der Stange. Als eine Arbeiterin an einem Stromschlag stirbt, kommt es zu Streik, Fabrikbesetzung, Mord und Totschlag. In den vier Teilen des Romans werden der Betrug des koreanischen Managements und die unvermeidliche Niederlage der Belegschaft geschildert. Das gesteigerte Selbstbewusstsein der Beschäftigten ist nur ein Zwischenhoch, das angesichts der ausweglosen Lage keinen Bestand hat. Die Realität in der krisengeprägten Region geht unter die Haut. Die vor allem von den Männern immer noch hochgehaltene Stahlarbeiterkultur ist brüchig geworden. Das Panoptikum an Figuren ist überzeugend: Rolande Petit, eine Simone Signoret, die sich in einer Männerwelt am Ende als Einzige behaupten kann und einem neuen Typus von Lohnabhängigen entspricht, der Meister Antoine Maréchal, der Techniker Hafed, die Arbeiterin Aicha, der Betriebsrat Ali Amrouche und viele andere. Eine List der Geschichte und ihrer Realitätsnähe besteht vielleicht darin, dass der Generaldirektor der Firma Daewoo, Kim Woo Chong, 2006 in Korea zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde wegen Betrugs und illegalen Fondstransfers ins Ausland. Daewoo hatte sich als Käufer für Thomson beworben und ist in „Letzte Schicht“ der Arbeitgeber in Pondange, bevor das koreanische Management sich aus der Fabrik stiehlt.
Zweikampf der Ideologien
Im Vergleich zu ihrem gerade erschienenen Roman „Bien connu des services de police“ sei „Die letzte Schicht“ ein optimistisches Buch, behauptet Dominique Manotti. Der in der Série Noire erschienene Krimi handelt von einem Kommissariat in der Pariser Vorstadt Panteuil, eine Banlieue im Norden von Paris, wo der Aufstand der Jugendlichen 2005 stattfand. Auch wenn er nie namentlich genannt wird, so wird doch klar, dass es sich bei dem sicherheitsbesessenen Innenminister um den jetzigen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy handelt. Die verantwortliche Kommissarin in Panteuil will in ihrem Arbeitsfeld seine neue Politik in die Praxis umsetzen und setzt damit eine ethnische Säuberung in Gang, wobei sie sich des rechtsradikalen Milieus bedient. Zwei von Illegalen besetzte Häuser werden in Brand gesetzt und geräumt, dabei sterben 15 Menschen aus Mali. Dahinter stecken nicht nur die offizielle rassistische Politik, sondern auch materielle Interessen, Manotti ist nicht umsonst Wirtschaftshistorikerin. Panteuil soll gentrifiziert werden, die Immobilienspekulation läuft auf vollen Touren, im Wege stehen nur noch die besetzten Häuser, die bisher offiziell geduldet wurden. Neben diesem Plot geht es auch um den Alltag eines Kommissariats, das genauso unter Rationalisierungsdruck steht wie heutzutage jeder Betrieb und in dem eine Anzeige gar nicht erst aufgenommen wird, wenn es unrealistisch ist, dass der Fall auch gelöst werden könnte. Noria Ghozali – Majorin des Zentralen Nachrichtendienstes, die bereits in einem anderen Roman von Manotti auftauchte und oft selbst Opfer von Rassismus und Frauenfeindlichkeit innerhalb der Polizei wurde – ermittelt gegen die Starkommissarin Le Muir aus Panteuil, auch weil ihr die neue Direktive des Innenministeriums missfällt. Die Ermittlungen ergeben sich anfangs wie von selbst: korrupte Polizisten, Kontakte ins rechtsradikale Milieu, ständige ungerechtfertigte Übergriffe gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund. Der Zweikampf der beiden Frauen, die sich politisch und persönlich hassen, wird auch zum Kampf der Ideologien. Auch wenn es düsterer kaum werden kann, stehen in den beiden letzten Romanen von Dominique Manotti zwei positive weibliche Figuren im Mittelpunkt: Rolande Petit und Noria Ghozali, das hat es in ihren anderen Noirs nicht gegeben.
Elfriede Müller
Dominique Manotti: Letzte Schicht. Aus dem Französischen von Andrea Stephani. Ariadne Krimi 1188. Hamburg: Argument Verlag 2010. 252 Seiten. 12,90 Euro.
Dominique Manotti: Bien connu des services de police. Série Noire. Paris : Gallimard 2010. 210 Seiten. 14,95 Euro.
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Zu Dominique Manotti hier.