Geschrieben am 1. Februar 2014 von für Bücher, Crimemag

Don Winslow: Vergeltung

Winslow_Vergeltung_groß
PFA, VTT, MAM, EKIA, BoNT, CRRC und die anderen kleinen Strolche

‒ Großes Getöse in den letzten Tagen um Don Winslows neues Buch „Vergeltung“. Nachdem TW (Deutschlandradio Kultur) und Tobias Gohlis (TG-Blog) kritisch vorgelegt hatten, gab es eine schöne Gegenrede von Marcus Müntefering (SPON) und ansonsten viel Ratlosigkeit und Gefühligkeitsgedöns.

Thomas Wörtche hat noch ein paar Gründe mehr, Winslows Werk suspekt zu finden.

Irgendwie fühlt man sich verpflichtet, erst einmal zu Protokoll zu geben: Don Winslow ist spätestens nach seinem kapitalen Roman „Tage der Toten“ einer der wichtigsten und besten Autoren von Kriminalromanen und damit einer der bemerkenswertesten Schriftsteller unserer Tage. Winslow erzählte bisher zeitgeschichtliche Sachverhalte brillant, weil er stets ästhetische Lösungen gefunden hatte, die mit den moralischen und politischen Komplexitäten umgehen konnten. „Tage der Toten“ und andere Romane aus dem „War on Drugs“ waren analytisch scharfsinnig, radikal, wütend und literarisch virtuos komponiert. Die Figuren allesamt hochauflösend, die Konflikte oft tragisch, die Sprache und die Dialoge sprühten vor Witz und Intelligenz (Winslow bei CULTurMAG).

Aliens?

Dieser Vorspann aus Beschwörungen und Versicherungen hat angesichts des neuen, mit großer Spannung erwarteten Buchs „Vergeltung“ die Funktion, eine Fallhöhe zu schaffen. Nämlich für das Entsetzen, das sich bei zunehmender Lektüre des Romans ausbreitet und an dessen Ende die schlichte Frage steht, ob Aliens Don Winslow entführt und an ihm schlimme Experimente vor allem im vorderen Großhirnbereich vorgenommen haben. Zumindest für den Fall, Don Winslow persönlich habe diesen Roman geschrieben.

Winslow_Vergeltung Fickt New York!

Mit dem Cover  fängt es an: Ein brennender Flieger rast auf die Skyline von New York City zu. Die leicht erhabene Schrift ist das einzig „moderne“ Element des auf retro getrimmten Umschlags eines durchschnittlichen Krawallkrachers der 1970er oder 1980er Jahre. Und der natürlich mit der Kombination aus Manhattan und Flieger alle Assoziationen zu 9/11 aufruft. So weit, so klar, so schlicht.

Spannender ist da ein Detail: Der Flieger rast deutlich auf eine leuchtende Öffnung im „Unterleib“ der Stadt zu, er wird sie dort – daran lässt das Bild keinen Zweifel – in den nächsten Sekunden penetrieren, wie der Zug in Hitchcocks „North by Northwest“ den Tunnel oder Mike Hammers Kugel den Ort der Sünde seiner Widersacherin in „I, the Jury“.

Leider ist dabei nicht die geringste Ironie im Spiel (zumindest sehe ich keine Ironiesignale im ganzen Coverdesign), und insofern bezieht sich das Bild (bewusst oder unbewusst ist bei dem erheblichen kommunikativen Potential der Ikonographie unerheblich) auf die zutiefst puritanische Wollust, mit der in der amerikanischen Populären Kultur die beiden Großstädte Los Angeles und New York City immer wieder und wieder zerstört werden, von Aliens gekocht, überflutet, eingefroren, von Biestern zertrampelt, genuket, von Zombies überrannt, von Vampiren übernommen oder sonst wie der Zerstörung anheimgegeben, die der „großen Hure Babylon“ nun einmal zukommt – aus der Perspektive der bibelfesten Christen auf dem Lande.

davis-the_ecology_of_fearMike Davis hat diesem Topos ein sehr unterhaltsames Kapitel in seiner „Ecology of Fear“ gewidmet – weil die Angst vor Sittenverfall, Promiskuität und Verweichlichung zu dem eisernen Repertoire und zum Antriebsriemen  religiös begründeter Zivilisationskritik gehört. Wenn Manhattan also von einem brennenden Flieger in die Katastrophe gefickt wird, dann hat das schon etwas zu sagen (egal, wie scheinheilig dann die Einzelschicksale der Opfer beklagt werden, das gehört zu diesem Narrativ dazu). Ironischerweise führt genau dieser graphische Hinweis zum ideologischen Kern von Winslows Buch – und der ist nicht nur politisch reaktionär bis auf die Knochen, sondern entwirft dazu auch die passende Nicht-Ästhetik des Kitsches.

Die Handlung geht ungefähr so: Frau und Sohn eines Ex-Special-Forces-Kämpfers, Dave Collins, jetzt Sicherheitschef des John-F-Kennedy-Flughafens, kommen ums Leben, als ihr Flieger in die Weihnachtsferien von arabischen Terroristen über New York City abgeschossen wird. Die US-Regierung leugnet das Attentat und fingiert einen Unfall, weil sie feige keine vergebliche Terroristenjagd riskieren will. Unser Held kauft eine Schar der „besten Söldner der Welt“ zusammen und rottet systematisch die Urheber des Anschlages aus. Am Ende, als die Söldner-„Brüder“ sich zum Sterben im allerletzten Gefecht gegen Mudschahedin-Horden bereitmachen, rückt doch noch ein aufrechter US-Admiral an und rettet das Häuflein.

hitchcock_north-by-northwestAbstürze

Tatsächlich ist dieser Plot so schlicht, wie er da steht. Der Absturz des getroffenen Fliegers wird einlässlich mit rhetorischer Wucht und pathetischer Überhöhung geschildert: „Ein brennender Engel stürzt zur Erde.“ Ein Boeing 747 als Engel? Gefallen? Der Geschichte? Auch -. aber ebenso eine Parallelstelle zur Vergeltung. Denn als viel später der Hubschrauber mit dem fliehenden Oberschurken abgeschossen wird, heißt es, nachdem das Ereignis fast mit den gleichen Worten geschildert worden war, am Ende: „Dann stockt der Helikopter und bricht entzwei. (…) Ein Feuerball auf verbrannter Erde.“ Transzendenz versus banaler „Vergeltung“. Das Heilige und Säkulare – damit wir das nie vergessen, wie die Welt sortiert ist.

Vamos a matar …

Die „Terroristen“ sind unfassbar böse und unfassbar dumm, sie lassen sich zu Hunderten abknallen, das ist nämlich das, was man so mit Terroristen macht und was sie gerne mit sich machen lassen. Auch wenn immer wieder betont wird, welch gute Kämpfer sie sind, die Terroristen – die Erzählung sagt etwas anderes:

„Dave bewegt sich, nimmt zwei Stufen auf einmal.
Er kommt oben an und sieht einen Mudschahed.
Er zielt mit seiner Kalaschnikow, versucht ihn in der Dunkelheit auszumachen. Mit einer geschmeidigen Bewegung hebt Dave seine MK23, markiert den Brustkorb des Tangos mit dem Laser und drückt zweimal ab. Blut spritzt über die Wand.
(…)
Weiter.
Dave bleibt kurz über der Leiche stehen.
(…)
Dave schießt dem Tango zur Sicherheit noch zwei Mal in den Kopf und geht weiter die Treppe hinauf.“

Saustall, schwarzer …

Und die Söldner sind erst recht Klischeefiguren der flachsten Art. Einer opfert sich, um den Rückzug der Kameraden zu decken. Der andere, im Gefecht verwundet, erschießt sich, um die Mission nicht zu gefährden, ein Dritter verrät die Truppe und akzeptiert, dass man ihn dafür hinrichtet. Der Kollege von der Bundeswehr hat dort gekündigt, weil das politische Mandat (= „die Idioten in der Regierung“) ihm verboten hat, nach gusto Terroristen zu töten.

Noch grenzwertiger wird es bei dem Kollegen aus Rhodesien (!) – auch hier ist die Sprache beredt: Rolf von den Selous Scouts („eine nicht mehr existierende Militäreinheit eines nicht mehr existierenden Regimes“, so kann man das ausdrücken, wenn man möchte, und anscheinend möchte Winslow das) wurde Opfer der politischen Verhältnisse:

„Die Politiker in Salisbury und London hatten nicht die Eier, zu kämpfen, und aus Rhodesien wurde ‚Simbabwe‘. Sie verschleuderten das beste Land der Welt an einen Haufen schwarzer Kommunisten und Gangster.
Und wir sind in alle Winde verstreut. Einige hat es nach Südafrika verschlagen, auch so einer von Schwarzen regierter Saustall (…)
Wildgänse.

Ronin.
Söldner.“

Wir können jetzt spekulieren, was das ist: Rollenprosa, personales Erzählen aus dem Kopf von Rolf heraus? Warum aber wird dann bis zum deutlichen „wir“ die Erzählinstanz unkenntlich gemacht? Und in der Winslow-typischen Reihung „Wildgänse – Ronin – Söldner“ (fast alle neueren Winslow-Romane bedienen sich dieser typographisch prononcierten, minimalistischen Reihung) die Vereindeutigung wieder aufgehoben? Gerade da, wo im Kontext der Kritik an der Obama-Regierung – wir erinnern uns: Das sind Feiglinge, die nix machen gegen Terroristen –  „Schwarze“ als besonders unfähige und verwerfliche Leute benannt werden.

Und selbst dort, wo der auktoriale Erzähler an dieser Stelle wieder einsetzt – „Rolf verließ Rhodesien, bevor die Schwarzen die Macht übernahmen“ – wird diese Konnotation quasi bestätigt. Das ist die Ästhetik der Landser-Heftchen (oder der Soldaten-Rehabilitationschriften eines Paul Carell, die nach dem 2. Weltkrieg nicht frank und frei das Loblied der großdeutschen Wehrmacht (und der „anständigen“ Waffen-SS) singen konnten, aber keinen Zweifel ließen, wo die Sympathien liegen, ohne dass man sich nicht ein paar semantische Unschärfen gestattete, die rechtliche Konsequenzen abwehren sollten.

Als Profi, der genau weiß, how to do things with words, kann Winslow sich an solchen Stellen nicht ernstlich als „naiv“ oder „unbedarft“ herausreden. Als „gescheitert“ schon eher, aber an was? Oder aber: Genau das will der Roman uns zeigen. Denn die theoretische und kategoriale Distanz zwischen Autor und Erzähler ist nur das: theoretisch – und nicht durch Textsignale belegbar.

Altbacken

Besonders altbacken und zopfig ist die Dramaturgie des Feldzugs: Anwerbung, Ausbildung, Triumph, Niederlage, letztlicher Triumph ist penibel uralten Söldnerfilmschwarten wie „Die Wildgänse kommen“ nachgebaut. Nicht modern inszeniert, sondern brav und bieder kopiert – oder zitiert, wobei nicht klar ist, was da warum zitabel wäre. Die Strapazen, das Kerlsgaudi, das Loblied der Kameradschaft, die Rivalitäten und die respektvolle Versöhnung, das Übersichhinauswachsen des Soldaten, die „Pflicht“ und andere Kategorien, an denen sich Ernst Jünger stählern ergötzt und Tom Clancy sich markig erbaut hätten – und die Klaus Theweleit in seinen „Männerphantasien“ längst als das auseinandergenommen hat, was sie sind: Kitsch von rechts.  Und der korrespondiert prächtig mit dem politischen Kitsch, dass man nicht gegen „den Terrorismus“ Krieg führten muss, sondern gegen „die Terroristen“, wie es an einigen Stellen des Buches sinngemäß heißt. Meine Güte, sancta simplicitas und Don Winslow auf dem Niveau irgendwelcher Sonntagsredner und Stammtischstrategen.

moore_wildgaenseHilfe!

An solchen Stellen wird das Bedürfnis besonders groß, mit der Lupe und in den letzten staubigen oder meinethalben moddrigen Ecken des Textes nach irgendetwas zu suchen, was das Buch retten könnte. Der „witzigste“ Spruch ist der des deutschen Söldners Ulrich, dass „nur wenige Probleme sich nicht mit dem gekonnten Einsatz von Sprengstoff lösen“ lassen. Ja, da kichert der verdammt knallharte Leser auf seiner Couch beifällig – so isses wohl, voll realistisch und glaubwürdig.  Aber sonst ist da ist nichts, bei Winslow: keine Komik, keine Brechung, kein überraschender Dreh der Handlung, keine Idee, kein  Esprit, keine Spur von Ironie.

Wie auch, bei einer Prosa, die bis zum Abwinken mit Abkürzungen (SPCS, DCD und ewig so weiter) und solchen Beschreibungen nervt: „Der russische Mi24 Hind-Helikopter wird auch als fliegender Panzer bezeichnet. Seine Klimow TW 3-117A Gasturbinen mit jeweils 2200 PS treiben ihn an, bei einem Rotorkreisdurchmesser von 17,3 Metern bringt er es selbst vollbeladen auf eine Höchstgeschwindigkeit von 335 Stundenkilometern. >Der UPK-23-250-Maschinenkanonen-Behälter ist mit einer doppelläufigen 25mm-Maschinenkanone GSch-23L sowie zwei UB-32 S-5 Raketenwerfern ausgestattet.“

Und nach dem wir das alles wissen, wissen wir, vom simplen Strickmuster des Romans vorgewarnt, dass auch all das nichts nützen wird: Bautz, da knallt er runter, der Heli (siehe oben) und warum das furchtbar furchtbare Nervengift, das Botulinumtoxin, mit dem die Terroristeriche die amerikanische Kultur vernichten wollen, in den „freien Himmel“ geblasen, sich dort anscheinend verströmend, und nicht als böser Fallout zurückkommt, dafür wird es sicher auch eine voll realistische Erklärung geben. (Das mit realistisch oder glaubwürdig habe ich bei ein paar Amazon- und anderen Amateur-„Rezensionen“ gefunden, die mir als Beleg ans Herz gelegt wurden, dass man das Buch auch „anders“ sehen könne – stimmt schon, kann man natürlich, cf. Aliens). Um an den Umschlag des Werkes anzuknüpfen: Ficken kann man NYC schon, nur die Ladung geht daneben. Man kann ja mal ein bisschen ruminterpretieren …

Tatsächlich kann man „Vergeltung“ ohne große Anstrengung auseinandernehmen und stößt immer wieder auf längst erledigt geglaubte Motive, Bilder und Standardsituationen. Vom Frauenbild schweigen wir lieber, der Mythos der „letzten“ Krieger wird auch nicht sinnvoller, wenn die „besten Soldaten der Welt“ jammern, dass sie bald von Drohnen ersetzt werden (topischer geht’s nimmer, Kriegerkasten jammern immer, wenn sie oder ihre seltsamen Codices unter die Räder der Geschichte kommen).

Don Winslow

Don Winslow

Auch zum Brüllen unfreiwillig komischer Blut-Kitsch à la „Wissen, dass sie es vielleicht nicht schaffen werden. Und tun es trotzdem. Keine Wissenschaft kann das erklären. Keine Biochemie. Keine Evolutionsanalyse, keine neue Hirnforschung. Einzig und allein Menschlichkeit. Erbitterte Loyalität. Außergewöhnlicher Mut. Eine größere Liebe gibt es nicht“ geht noch vielleicht im Kino als Dialog durch, bis es wieder knallt und zischt. Schriftlich fixiert als Teil vermutlich kalkulierter Prosa passen solche Peinlichkeiten so präzise zu Ko- und Kontext, dass es relativierende Interpretationen kaum geben kann:  Denn die Message, die Winslow ohne Not mit seinem ganzen Renommee verkündet ist schlicht und einfach unfaßbar doof: Wenn die Regierung nichts tut, muss Krieg eben noch mehr privatisiert werden, als er es schon ist. Pikanterweise unterstellt er den „Terroristen“ Terror als Geschäftsmodell zu betreiben und antwortet also mit einem Konkurrenzunternehmem. Apple gegen Microsoft, sozusagen.

Und, zweite Botschaft: Egal, wie böse der Feind ist, wenn man ihn nur umbringen darf, dann wird alles gut. Und wer die Guten und die Bösen sind, ist im Grunde ganz einfach auf diesem Planeten, wenn nur die Richtigen das Sagen hätten.

Literatur darf das so sehen. Klar. Wir dürfen es aber einfach bescheuert finden. Selbst wenn es sich um einen Roman von Don Winslow handelt.

Thomas Wörtche

Don Winslow: Vergeltung (Vengeance, 2013) Roman. Deutsch von Conny Lösch. Berlin: Suhrkamp Taschenbuch 2014. 491 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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