Er lebt
‒ Er wurde immer wieder totgesagt, der Regionalkrimi, doch am Niederrhein lebt er. Zwar sieht man hier schon morgens, wer abends zu Besuch kommt, weil es so schön flach ist, doch die Mörderinnen und Mörder an Rhein, Lippe und Issel wissen sich in den Auen der Tiefebene gut zu verbergen. Und so sind Kommissare und deren weibliche Ausgaben sowie neuerdings sogar eine Apothekerin und eine Spezialistin für Telefonsex unermüdlich unterwegs, ihnen auf die Spur zu kommen. Eva Karnofsky ist ihnen gefolgt.
Was Helmut Toppe für Kleve, ist Karin Krafft für Wesel und Umgebung: nicht mehr wegzudenken. Fast jeder kennt sie, und ja, es ist nicht zu leugnen: Sie werden geliebt. Nicht zuletzt von der Lokalpresse, sind sie doch immer wieder für eine Story gut. Wobei der Chef der Klever Kripo seiner Weseler Kollegin ein paar Dienstjahre voraushat. Seit 1992 ließ das „Trio Criminale“ ‒ Hiltrud und Artur Leenders sowie Michael Bay ‒ Toppe und sein Team fast zwanzig Fälle lösen, und die Klever werden’s nicht müde, die Lesungen sind bestens besucht, so lasen die drei auch vor vollen Stühlen, als sie „Spießgesellen“ kürzlich in einem Autohaus ihrer Stadt vorstellten.
Am unteren Niederrhein hat man es gern gesellig, und so entspringen auch die Krafft-Krimis nicht schöpferischer Einsamkeit. 1997 ermittelte die resolute Kommissarin zum ersten Mal, gerade erschien mit „Die Spinne“ der zehnte Fall. Wenn das Duo Thomas Hesse und Renate Wirth mit ihrer Karin Krafft auftreten, sind die Reihen in Wesel, Xanten oder Schermbeck ebenfalls gefüllt.
Was einst der Heimatroman eines Ludwig Ganghofer, ist heute der Regiokrimi: Der Leser findet sich und seine nächste Umgebung darin wieder. Wat isset doch schön, wenn die Karin wie du und ich bei Glatteis auf der A3 Richtung Dinslaken im Stau steht oder Toppe und das niederrheinische Urgestein Hauptkommissar Ackermann die Hoffmannallee sperren, weil dort gegen den Rechtsradikalismus demonstriert wird. Man kannet sich so richtich vorstellen, wat da los is, wenn der Weg nach Aldi gesperrt is. Nach Aldi, nicht zu. So würden es Ackermann und der gemeine Niederrheiner ausdrücken.
Irgendwelche Bösewichte stören, wie einst bei Ganghofer, die geregelte Ordnung in der Stadt und ihren umliegenden Gemeinden, und Toppe und Krafft nebst Team stellen sie wieder her. Das Happy End ist garantiert, bis zur nächsten Episode, auf die die Anhänger immer schon gespannt warten. Der Weg zurück zur Idylle führt über bekannte Straßen und Plätze, und in der einen oder anderen Gestalt glaubt man auch, eine lokale Größe wiederzuerkennen. Karin Krafft etwa bekommt es in „Die Spinne“ mit einer Figur zu tun, für die der Dinslakener Schlagersänger Michael Wendler Pate gestanden haben dürfte.
En passant werden zur Freude der Anhänger ‒ und zu ihnen zählt die Rezensentin ‒ der eine oder andere lokale Missstand, die Bürokratie und der örtliche Filz kritisiert, und auch der Humor kommt nicht zu kurz, wenn in dem an Hässlichkeit kaum zu überbietenden Bau des Weseler Polizeipräsidiums mitten im Winter die Heizung ausfällt und Kraffts Team einen Kampf gegen die Verwaltung führt. Oder wenn Ackermann sich einen Anzug für die Hochzeit einer seiner Töchter kauft, die dann doch nicht stattfindet.
Wer einen Krimi der beiden niederrheinischen Autoren-Teams kauft, weiß, was er bekommt: Bekannte Figuren, die wie die Autoren (und ihre Leser) langsam älter werden, sich verlieben, sich scheiden lassen, an Grippe erkranken oder befördert werden – kurz: erleben, was normale Menschen so erleben. Im Übrigen sind die Krimis sauber und ordentlich konstruiert, die Autoren wissen, was ein Spannungsbogen ist, und ihre Schreibe ist eingängig. Da sind Profis am Werk, die ihr Handwerk verstehen. Und von Experimenten die Finger lassen.
Während Hesse/Wirth es eher psychologisch lieben und ihre Mörder meist an alten Verletzungen kranken, dafür Rache nehmen und/oder extrem geldgierig sind, mag das Klever Trio es gern politisch. Der neueste Fall führt Toppe & Co. in das Umfeld einer neu gegründeten rechtspopulistischen Partei, die in Kleve ihren ersten Parteitag plant, zu dem auch bekannte Politiker gleicher Couleur aus den benachbarten Niederlanden anreisen wollen. Unter den Gegnern, die gegen die bräunliche Zusammenkunft protestieren wollen, gibt es einen Toten. Bei den Ermittlungen stellt sich heraus, dass der Parteigründer in diverse dubiose Immobiliengeschäfte verwickelt ist und auch der Tote damit zu tun hatte.
Karin Krafft hat gleich eine ganze Serie von Frauen-Morden aufzuklären, und stießen sie und ihre Leute im Laufe der Ermittlungen nicht immer wieder auf das Bild einer stilisierten Spinne, vermuteten sie nicht einmal, dass da immer wieder derselbe Täter sein Unwesen treibt. Vieles deutet auch auf eine Täterin. Es geht um Selbstjustiz, und die überraschende Lösung des Falls lässt Karin Krafft an ihrer Menschenkenntnis zweifeln.
Doch es sind auch neue Gestalten am Niederrhein unterwegs, wenn auch nach dem alten Schema des Heimatromans: Erst die Idylle, dann der Mord, und nach den Ermittlungen ist alles wieder gut. Da ist Christiane Wünsches Apothekerin Ella Berger, die, als sie zum Malen an die Kaarster Windmühle fährt, einen erdrosselten Jungen auffindet. Und Lotte Mincks Loretta Luchs, die sich ‒ eine nette Idee ‒ ihr Geld mit Telefonsex verdient, ihren untreuen Freund verlässt und in der Ruhrpott-Laubenkolonie (ja, auch der Ruhrpott zählt zumindest teilweise zum Niederrhein), in der sie unterkriecht, auf diverse Männerleichen und mehr oder weniger zufällig auf die Mörder stößt, nachdem sie auch kurzfristig selbst unter Verdacht gerät.
Mincks „Radieschen von unten“ sind nichts für Freunde harter Krimis, doch wer Heiteres zum Thema Machos und wie man sie sich vom Hals schafft sucht, liegt bei dem Buch richtig. Manchmal spürt man, dass Minck nicht die Routine der beiden Trupps vom unteren Niederrhein hat. Sprachlich schießt sie mit ihren saloppen Sprüchen gelegentlich über das Ziel hinaus und kommt dann eher abgedroschen als witzig daher. Die Spießigkeit der Laubenkolonie irgendwo im Ruhrgebiet zeichnet sie jedoch sehr treffend.
Auch Christiane Wünsche fehlt noch der letzte Schliff. Ihre Apotheken-Ella spürt in „Mühlenschweigen“ dem Kindsmörder nach, weil sie die Leiche gefunden hat – kein sonderlich schlüssiger Grund, um das eigene Leben aufs Spiel zu setzen. Wenn Minck manchmal zu übertrieben frech formuliert, wird Wünsche gelegentlich zu getragen und verbreitet durchgängig Grabesstimmung: Ein Quäntchen Humor hätte dem Roman gutgetan. Auch wenn es Tote hagelt – das Leben ist nicht nur schrecklich. Umso interessanter aber ist das Thema: Die Bürger wehren sich dagegen, dass sich ein Kinderschänder, der seine Strafe abgesessen hat, in der Stadt niederlässt. Und für all die ehrbaren Leute steht auch gleich fest, dass nur er der Kindermörder gewesen sein kann. Obendrein geht es um das Mobbing von Migranten-Kindern und den Dünkel der sogenannten gutbürgerlichen Schicht. Zielsicher lotst Wünsche durch die Stadt, und die Kaarster können nun endlich auch auf einen Regiokrimi verweisen. Auch wenn der sie nicht von ihrer besten Seite zeigt.
Eva Karnofsky
Thomas Hesse/Renate Wirth: Die Spinne. Niederrhein Krimi. Köln: Emons Verlag 2013. 315 Seiten. 10,90 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autoren.
Hiltrud Leenders/Michael Bay/Artur Leenders: Spießgesellen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 2013. 223 Seiten 9,99 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autoren.
Lotte Minck: Radieschen von unten. Eine Ruhrpott-Komödie. Düsseldorf: Droste Verlag 2013. 255 Seiten. 10,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Christiane Wünsche: Mühlenschweigen. Niederrhein Krimi. Köln: Emons Verlag 2013. 240 Seiten. 9,90 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autorin.
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