Geschrieben am 27. Februar 2013 von für Bücher, Litmag

Evelio Rosero: Gute Dienste

Evelio_Rosero_Gute_DiensteVerruchte Priester in Bogotá

– Der neue Roman von Evelio Rosero (*1958, Bogotá) mit dem Titel „Gute Dienste“ ist in Wirklichkeit schon etwas angestaubt. Er erschien ursprünglich 2001 in Kolumbien und wurde 2006 vom spanischen Tusquets Verlag wiederaufgelegt. Bei uns kam er erst nach Roseros hochkarätigem „Zwischen den Fronten“ (2008) heraus und ist mit Vergleich zu diesem ein enttäuschender Abstieg. Besser hätte ihm bekommen, als vielversprechende Vorankündigung auf die späteren Werke des Autors gelesen zu werden. Von Doris Wieser

Ein buckliger junger Mann namens Tancredo betreut die Armenspeisungen einer Kirchengemeinde in Bogotá. Das ist ein Knochenjob, vor allem am Tag der Verköstigung der Alten, die er danach aus dem Gemeindehaus zerren muss, weil sie nicht freiwillig gehen. Wohin auch? Obwohl die Darstellung der Speisungen am Anfang viel Raum einnehmen, geht es in Evelio Roseros Roman „Gute Dienste“ darum nur am Rande.

Zentraler als die karitativen Werke der Kirche und ihr fragwürdiger Sinn sind die Beziehungen innerhalb des kleinen Personenkreises, der diese organisiert und betreut: Pater Almida und dessen drei Haushälterinnen, die nicht nur alle Lilia heißen, sondern sich auch mit den Jahren mimetisch aneinander angeglichen haben. Außerdem gehören dazu der Küster Machado und dessen Patentochter Sabina. Die Verworrenheit des Beziehungsnetzes wird allerdings erst sichtbar, als Pater und Küster verreisen müssen, um einen ominösen Spender günstig zu stimmen, und Pater Matamoros als Vertretung einspringt.

Befreiungsschlag und Skandalon

Matamoros wird zum Befreiungsschlag und Skandalon zugleich. Er singt in der Messe so schön und beseelt, dass er die ganze verstockte Gemeinde mitreißt. Diese Hochstimmung muss er sich jedoch vor und während des Gottesdienstes mit einer gehörigen Dosis Schnaps antrinken – ein waschechter Alkoholiker also, der den Altar mit seinem Laster schändet und sich den Mund an der Stola abwischt. Parallel dazu bedrängt Sabina Tancredo permanent mit ihrer sexuellen Begierde.

Tancredo weicht ihr aus, aus Angst, zum Tier zu werden und seinen ganzen Daseinsfrust in sündhaftem Sex ohne Liebe zu kanalisieren. Dazwischen tauchen Truhen voller Geld auf und dies obgleich immer wieder auf sie spärlichen Mittel der Pfarrei hingewiesen wird (die Armenspeisungen bestehen lediglich aus Kartoffeln und Tancredos Studium kann nicht finanziert werden), und in der Küche treiben räuberische, nach Päpsten benannte Katzen ihr Unwesen, bis die drei Lilias diese schließlich im Brunnen ertränken.

Und was sagt uns das jetzt alles? Der erste Roman Roseros, der ins Deutsche übersetzt wurde („Zwischen den Fronten“ bei CULTurMAG), darf mit gutem Recht als poetisch dichtes Kleinod bezeichnet werden. Dass der Verlag nach diesem Erfolg den ganzen Rosero nach und nach herausbringen möchte, ist auch klar und sinnvoll. Man will das Gesamtpaket anbieten, den Autor sichtbarer machen, ihm zu einem besseren Standing verhelfen, dem Leser ermöglichen, alle Werke des Autors kennenzulernen, und dies alles natürlich vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Überlegungen.

Trotzdem, „Gute Dienste“ ist ein ziemlich schwaches Werk eines an und für sich exzellenten Autors. Dies gilt zumindest, wenn man aus europäischer oder vielmehr deutscher Sicht argumentiert, Atheist oder zumindest Agnostiker ist und moralische Verfehlungen innerhalb der (katholischen) Kirche als seit jeher bekannte Tatsache einstuft.

Neuralgische Punkte

Aus dieser Perspektive gelesen, trifft der Roman einfach keine neuralgischen Punkte oder tippt sie nur oberflächlich an: Aspekte rund um Kirche, Moral, sexuelle Übergriffe von Priestern, Veruntreuung der Almosen, Knechtschaft im Dienst der Kirche, Sinn und Zweck von sozialer Nothilfe etc. All dies ist zwar irgendwie vorhanden, aber eben nur das. Genauso die Frage: Warum sind Menschen eigentlich gläubig? (ich frage das einfach mal ganz naiv).

Im Grunde handelt es sich bei „Gute Dienste“ um eine ziemlich simple Geschichte, in der aber vieles nicht klar wird und man sich fast alles, was daran interessant sein könnte, dazudenken muss. Dass der Roman mit einem Doppelmord endet, macht die Sache nicht besser: Die Vorzeichen sind einfach zu eindeutig, geradezu glasklar. Der Erzähler stößt uns so exponiert mit der Nase auf die Tötung des „undankbaren“, „diebischen“ Katers Almida, dass der Mord am „undankbaren“ und „diebischen“ Pater Almida nur noch ein Gähnen auslöst.

Und dann ist da die Sache mit Sabina: Obwohl sie nach eigenen Aussagen hundertfach als Kind von ihrem Patenonkel Machado vergewaltigt wurde (nebenbei gesagt vergeht sich Pater Almida angeblich an Frauen bei den Armenspeisungen), wird die junge Frau von einer Sexbesessenheit getrieben, die weder von ihrem Ursprung her erklärt, noch metaphorisch in eine gewisse Richtung gelenkt wird.

Klar, dazudenken kann man sich so manches, zum Beispiel, dass dies etwas mit Sabinas Bedürfnis nach Freiheit zu tun hat. Aber es bleibt dabei, alles, was an dieser Geschichte den Genuss-Kick für den Leser bringen könnte, muss er selbst in seinen Gedanken ergänzen, so dass ihn am Schluss das unbefriedigende Gefühl von Beliebigkeit und Irrelevanz beschleicht. Auch die poetische Sprache, für die Rosero fast immer gelobt wird, vibriert dieses Mal weniger stark und wächst nur in seltenen Momenten über die Geschichte hinaus.

Wertmaßstäbe

Aber so ist das mit der Bewertung von Literatur. Gregor Ziolkowski (Rezension bei dradio) beobachtet im Prinzip dasselbe an „Gute Dienste“. Nachdem er in einem ganzen Absatz Fragen an den Text gerichtet hat, resümiert er: „Der Text liefert kaum Antworten“. Dies führt bei ihm aber keineswegs dazu, dem Roman Qualität abzusprechen, die, wenn ich Ziolkowski richtig verstehe, für ihn in seinem „schauerlichen“ Ambiente und seinem Unterhaltungswert liegt.

Unterhalten hat mich Rosero nun aber wirklich nicht. Die Lektüre hatte eher etwas von einem Sich-geduldig-Weiterhangeln-in-der-Hoffnung-dass -noch-etwas-Spannenderes-kommt; und von der „unbändigen Lust am Erzählen“, die Ziolowski entdeckt haben will, habe ich dieses Mal leider auch nichts mitbekommen, sorry to say, lieber Evelio.

Wenn man jedoch bedenkt, dass der Roman sich in erster Linie an ein kolumbianisches oder lateinamerikanisches Publikum wendet, dann mag die Wirkung doch eine andere, eine positivere sein. Dort mögen moralische Verfehlungen von Priestern vielleicht noch entsetzen, zumindest in bestimmten Kreisen.

Und in einer Gesellschaft, in der der sonntägliche Gottesdienst, Glaube und Zusammenhalt in der Gemeinde zentraler sind als bei uns, ist wahrscheinlich auch das äußerliche Antippen von Missständen schon genug.

Doris Wieser

Evelio Rosero: Gute Dienste. (Los almuerzos, 2009). Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. Berlin: Berlin Verlag 2012. 141 Seiten. 17,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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