Geschrieben am 16. Dezember 2017 von für Bücher, Crimemag, CrimeMag Dezember 2017

Fotoband: Erik Chmil: Solitude

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Parkplatzpoesie

Von Katrin Doerksen

In Terminator liefern sich Kyle Reese und Arnold Schwarzenegger ohne Augenbrauen ein Shootout in einer riesigen Parkgarage, in Fargo geschieht ein Mord und in The Fast and the Furious: Tokyo Drift wird ein Parkhaus zum Veranstaltungsort illegaler Rennen. Der Parkplatz ist eigentlich ein zweckmäßiger Ort: Menschen suchen ihn theoretisch nur auf, um ihn bald darauf wieder zu verlassen. Schon die bloße Existenz eines Parkplatzes impliziert, dass es einen Grund gibt, eine wie auch immer geartete Attraktion in seiner Nähe aufzusuchen. Trotzdem – oder vielleicht gerade wegen dieser Vielfalt an Möglichkeiten – hat sich der Parkplatz als standardmäßiger Schauplatz quer durch alle Filmgenres etabliert. Dort werden Drogendeals abgewickelt oder die gehandelten Waren konsumiert, es gibt Besäufnisse, Haare werden beim Kotzen aus dem Gesicht gehalten, erste Küsse miteinander geteilt und schnelle Nummern auf der Rückbank geschoben, Streits ausgefochten, eine Rast während des Aufbruchs ins Unbekannte eingelegt.

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Erik Chmil hat Parkplätze überall auf der Welt zu seinem Motiv gemacht. Das ist umso bemerkenswerter, da er sich als Werbefotograf einen Namen damit erarbeitete, hauptsächlich die Autos renommierter Marken abzulichten. Die Parkplatzserie entstand auf den Dienstreisen in einem Zeitraum von rund 18 Jahren, gewissermaßen als Nebenprodukt und Gegensatz zu seiner Arbeit: ohne großes Team, ohne Straßensperren, ohne künstlich gesetztes Licht. Manches ist dabei biografisch motiviert – wie das Foto recht unansehnlicher Garagen in Leverkusen, zwischen denen er als kleiner Junge in den 1970er Jahren Fußball spielte. Viele Bilder zeigen aber auch besondere, gar spektakuläre Orte – wie das Foto, das auf dem Cover seines Fotobandes mit dem Titel Solitude zu sehen ist. Es zeigt die Absperrung eines Parkplatzes auf einem verschneiten Berggipfel. Direkt dahinter lauert der Abgrund. Gemeinsam ist diesen Parklätzen die völlige Abwesenheit von Menschen oder Maschinen. Meist wurden sie am frühen Morgen oder in den späten Abendstunden aufgenommen, viele während der Blauen Stunde. Die Leere zieht sich als Thema durch den Fotoband: die Typografie spielt damit, Unterstriche werden im Titel verwendet, aber auch im Seitenlayout.

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Dem Vergehen der Zeit zusehen können

Solitude – Einsamkeit – der Titel nimmt schon Chmils Perspektive auf sein Motiv vorweg: er verzeichnet die Leere nicht nur. Vielmehr poetisiert er sie, verleiht ihr so etwas wie eine überhöhende Mythologie. Da schließt sich der Kreis zu den Filmassoziationen. Viele der Fotografien bestechen durch eine geheimnisvolle Atmosphäre, ihre heruntergekommene Umgebung. Diese vage beunruhigenden Bilder würden auch als establishing shots düsterer Mysterythriller durchgehen. Oder die Orte erscheinen so funktional und von jeglichen Spuren organischen Lebens befreit, dass man sich beim Betrachten kaum entscheiden kann: sieht man die Utopie einer autofreien Zukunft – oder aber die Dystopie eines Endes der Zivilisation wie wir sie kennen?

In anderen Fotografien denkt Erik Chmil die mediale Metaebene gleich augenzwinkernd mit, fängt zum Beispiel eine Hauswand ein, auf der ein Plakat in schrillen Farben für das Computerspiel GTA: San Andreas wirbt. Darin rast man als gesuchter Krimineller mit gestohlenen Fahrzeugen durch die Straßen eines fiktiven Kaliforniens. Es müssen aber gar nicht immer die großen epischen Erzählungen sein: Die Straßenlampen in Erik Chmils Bildern sondern meist stachelige Strahlenkränze ab. Das lässt vermuten, dass Chmil mit sehr kleiner Blende fotografiert. Seine Belichtungszeiten müssen bei den schlechten Lichtverhältnissen dementsprechend lang sein, auch wenn keine Bewegungsunschärfen erkennbar sind. Betrachtet man die Fotos, schaut man dem in ihnen festgehaltenen Vergehen der Zeit zu, dem komprimierten Ablauf eines Moments.

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Oft stößt man auf Sehnsuchtsorte

Was also erzählen uns Erik Chmils Bilder in dieser Zeit? Zum Beispiel erzählen sie etwas über den Zustand des jeweiligen Landes, über die Prioritäten seiner Gesellschaft. Viele der Aufnahmen sind in Italien entstanden: je südlicher, desto abgerissener die Gebäude. Je touristischer die Stadt, desto besser ausgebaut sind die Parkplätze. Man kann sich einen Spaß daraus machen die Städtenamen am unteren Bildrand abzudecken und zu raten. Beim Entdecken stößt man oftmals auf Sehnsuchtsorte: Almería, Atacama, San Francisco, Las Vegas, New York. Man kann sich dann vorstellen, wie man am Ende einer langen Reise endlich dort angelangt, in die Parklücke rollt, die Tür öffnet und den ersten Zug der fremden Luft einatmet. Oder man mag es etwas weniger beschaulich, dann denkt man darüber nach, wie diese Orte bei Tag aussehen. Ohne die Urlauber und den Postkartengloss, wie dort Warenströme fließen, wie sich dort Macht, Reichtum, Kaufkraft konzentrieren. Dass die Fotografien von Erik Chmil diesen gedanklichen Fluss in alle Richtungen zulassen, zählt zu ihren größten Stärken.

Katrin Doerksen

Erik Chmil. Solitude. Mit Texten von Petra Giloy-Hirtz. 80 Farbfotografien. Hirmer Verlag, München 2017. 156 Seiten, 39,90 Euro. Verlagsinformationen hier.

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