Geschrieben am 18. Mai 2013 von für Bücher, Crimemag

Frank Göhre zu The Great Gatsby

r.gatsbyErinnerungen an F. Scott Fitzgerald

– 1974 war es Robert Redford, der in dem Hollywood Film des Briten Jack Clayton den Millionär und undurchsichtigen Geschäftsmann Jay Gatsby darstellte. Das Drehbuch nach F. Scott Fitzgeralds berühmten Roman „Der große Gatsby“ schrieb Francis Ford Coppola. Doch die 6,5 Millionen Produktion war an der Kinokasse ein Flop. Jetzt ist es Leonardo DiCaprio in 3D, der zum Soundtrack des Rappers Jay–Z den New Yorker Emporkömmling der 20er Jahre mimt. Die Deutschland Premiere des Films war vorgestern, am 16. Mai 2013.

Frank Göhre erinnert aus diesem Anlass an F. Scott Fitzgeralds letzte Lebensjahre als Drehbuchautor in Hollywood – unter Verwendung einiger Passagen aus seinen Stories und Romanen und aus „Der lange Abschied“ von Raymond Chandler (auch er ein „Schreibknecht“ in der Traumfabrik):

Francis_Scott_Fitzgerald_1937_June_4_(1)_(photo_by_Carl_van_Vechten)Tod in Hollywood.

Verdammt, ich hab nicht ausgetrunken, schoss es ihm durch den Kopf. Doch dann war auch schon Ende – in der großen Abspannschrift einer David O. Selznick-Produktion.

Die Sonne war bereits bilderbuchmäßig hinter den Palmen untergegangen, aber es waren noch immer angenehme 15 Grad. Aus dem Rettungswagen sprangen ein Notarzt und zwei Sanitäter. Eine attraktive Blondine öffnete ihnen die Tür. Über ihre Wangen rannen Tränen. Der Mann lag vor dem Kamin auf dem Boden. Er lag auf der Seite, eine Hand an der Brust. Er trug ein weißes, aufgeknöpftes Hemd, eine graue Hose und Slipper ohne Socken. Neben ihm lag ein ihm vermutlich aus der Hand gefallenes Highballglas. Die Eiswürfel waren noch nicht gänzlich geschmolzen. Es war Samstag, der 21. Dezember des Jahres 1940. Es war 17.15 Uhr, und in dem nach wie vor eingeschalteten Radio lief Benny Goodmans Coverversion des Louis Prima-Hits Sing, Sing, Sing. In den Restaurants am Hollywood Boulevard gingen die letzten Reservierungen für den Abend ein.

Es war eine von jenen Nächten, wo die Luft schwer ist und die Nachtgeräusche gedämpft scheinen und weit weg. Der Mond stand hoch, umnebelt, indifferent. Ich ging im Zimmer auf und ab, spielte ein paar Platten und hörte sie kaum. Es war mir, als hörte ich ständig irgendwo etwas ticken, aber es gab im Haus nichts, was hätte ticken können. Das Ticken war in meinem Kopf. Ich war eine Ein-Mann-Totenwache.

Er war ein Mann von vierzig Jahren, und diesmal wollte er es richtig angehen. Zweimal bereits hatte man ihm erst geschmeichelt und ihn dann kalt lächelnd abserviert – ohne seine erbrachte Leistung entsprechend zu honorieren. Das sollte ihm nicht mehr passieren, und so handelte er gleich zu Beginn ein festes Wochengehalt von 1.000 Dollar aus. So viel brauchte er ohnehin, um seine Schulden im fünfstelligen Bereich abstottern zu können. Er hatte seit jeher weit über seine Verhältnisse gelebt.

Er wollte von früher Jugend an dazugehören. Zu den oberen Zehntausend. Zu den Reichen und Mächtigen. Das war sein Ehrgeiz. Und zugleich seine Tragik. Er soff.

Bevor er im Sommer 1937 nach Hollywood kam, ging es ihm richtig dreckig: Seine Nerven machten nicht mehr mit: „Zu viel Zorn und zu viele Tränen.“ Er klappte zusammen. Jetzt, bei seiner Ankunft in Movieland (Jerome Charyn) war er fest entschlossen, zumindest seine Alkoholexzesse in den Griff zu bekommen. Er quartierte sich im Garden of Allah am Sunset Boulevard ein, in einem der fünfundzwanzig Bungalows im spanischen Stil, die um einen wie das Schwarze Meer geformten Pool gruppiert waren. Irgendwo auf dem Gelände war immer eine Party. Doch er blieb trocken. Vorerst jedenfalls.

Joan Crawford, Standfoto von 1928

Joan Crawford, Standfoto von 1928

Er aß mit dem Oscar-Preisträger Frederic March zu Abend. Der hatte ein Jahreseinkommen von weit über 400.000 Dollar. Er plauderte mit Frederics Schauspielkollegen Robert Taylor. Taylor hatte einen Vertrag für die Hauptrolle in Broadway Melodie 1938 on der Tasche. Er begleitete Joan Crawford ins MGM-Studio. Sie sprachen über ein gemeinsames Projekt. Mit Ginger Rogers wirbelte er über die Tanzfläche, und im Ciro’s unterhielt er sich mit Robert Montgomery. Montgomery war soeben mit Night Must Fall für den Oscar nominiert worden.

„Alles wunderbare Menschen“, sagte er, „sehr charmant, sehr witzig und sehr, sehr erfolgreich.“ Er war gern mit ihnen zusammen, obwohl er eigentlich keine Zeit dafür hatte. Er musste sich auf seine Drehbücher konzentrieren und sich auch grundsätzlich neu in die Materie einarbeiten.

Die Bar war ziemlich leer. Drei Nischen weiter saßen ein paar Ganeffs und verkauften sich gegenseitig einen Schinken der Twentieth Century Fox nach dem anderen, wobei die Bezahlung ganz offensichtlich in großkotzigen Gesten erfolgte. Sie hatten ein Telefon zwischen sich auf dem Tisch, und alle zwei oder drei Minuten gab es die gleiche Balgerei, wer zuerst Zanuck anrief mit einer neuen Mordsidee. Sie waren jung, braungebrannt, hitzig und voller Vitalität. Sie investierten in ein Telefongespräch ungefähr so viel Muskelkraft, wie ich hätte aufwenden müssen, um einen Mann mit Wohlstandsbauch vier Treppen hoch zu tragen.

Auf dem Weg in den Autorentrakt versorgte er sich mit Cola und Eis und rauchte die dritte Zigarette des Tages. Das neue Mädel erwartete ihn schon. Er begrüßte sie, legte sein Jackett ab und schlug die Seiten der Rohfassung auf. „Bild 38“, begann er, „Außen, Tag. Lee am Steuer seines Cabrios. Er fährt auf das College zu. 39, Vor dem Hauptgebäude. Eine Gruppe junger Studentinnen in sommerlicher Kleidung. Sie spazieren über den Rasen, kichern und tuscheln. Blicke zur Kamera hin. Voice over Lee: ‚Einige verdammt flotte Käfer erwarteten mich‘.“ Das neue Mädel sah verwirrt auf. „Soll ich das wirklich so hinschreiben?“ – „Logisch“, sagte er. – „Es ist sehr salopp ausgedrückt.“ – „Natürlich ist es das. Aber wenn ich ihn sagen lasse ‚Ich sah einige nette Mädels‘ macht ihn das zu einem furchtbaren Langweiler. Würden Sie ein Date mit einem Langweiler wollen?“

Er arbeitete hart, und er wollte verdammt noch mal nüchtern bleiben. Beides zusammen war allerdings im Hollywood jener Jahre keine leichte Übung. Er traf seinen Kollegen und Saufkumpanen Ernest Hemingway. Er mimte bei einer Party mit Thomas Mann den most charming boy. Doch er baute bereits ab. Er war angeschlagen. Er war müde. Morgens weckten ihn Benzedrin, Kaffee und mehrere Liter Coke. In seinen Füßen machte sich eine alte Nervenentzündung wieder bemerkbar.

Er nahm die Einladung zu einer Verlobungsparty an. Sie fand in einem der benachbarten Bungalows statt. Es war wie in seinen besten Jahren. Wehmut überkam ihn: „Aus meines Nachbars Hause hörte man an Sommerabenden Musik bis tief in die Nacht. Im blauen Dämmer der Gärten war von Männern und Mädchen ein Kommen und Gehen, wie Mottengeschwirr, und Flüstern und Sekt unter Sternen … Auf improvisierten Büfetts glänzten die garnierten Horsd’œuvres, drängte sich pikanter gebackener Schinken vor Phantasiesalaten, und Ferkel und Puter waren in rotgoldene Pasteten verhext. In der großen Halle war eine Bar mit richtigem Messinggeländer aufgebaut – ein Arsenal von Gin, Cordial Medoc und Likören, die man nur noch vom Hörensagen kannte, so dass die meisten weiblichen Gäste zu jung waren, um die Marken auseinander halten zu können.“

Aber auch an diesem Abend nahm er nichts Alkoholisches zu sich, obwohl er wirklich allen Grund dazu gehabt hätte. Ihn traf der Blick der Frau, die er hinter den Mauern einer Anstalt wusste – der Blick seiner Frau: „Nur durch eine Armlänge Mondlicht von ihm getrennt, waren die Augen, die er kannte, auf ihn gerichtet, eine Locke wehte leicht auf einer vertrauten Stirn, das Lächeln verweilte, veränderte sich wie bei ihr, die Lippen öffneten sich auf die gleiche Art.“

Zelda_Fitzgerald_portrait

Zelda Fitzgerald (1919)

Sie war schon seit einiger Zeit in psychiatrischer Behandlung. Einst war sie eine Südstaaten-Schönheit, eine Scarlett O’Hara. Sie hatte Bewunderung gefordert und mit einer naiven Kindlichkeit kokettiert. Er schenkte ihr einen seidenen Pyjama, einen Fächer aus flamingofarbenen Federn, eine mit Brillanten besetzte Armbanduhr und auch den Verlobungsring seiner Mutter.

Mit dem Verkauf seiner Stories verdiente er damals schon überdurchschnittlich gut. Sie heirateten und ließen es jetzt richtig krachen. Hotelsuiten de luxe, rauschende Feste ohne Ende und der Champagner floss wie der Niagara. Sie waren das Glamourpaar der „Roaring Twenties“. Er war vernarrt in sie, und sie langweilte sich nicht an seiner Seite. Sie liebten beide Gin und Zigaretten, aber als sie dann auch zu schreiben begann, taten sie sich gegenseitig gar nicht mehr gut. Dezent formuliert. Sie landete in der Klinik, und er hatte einen ersten Zusammenbruch.

„Ich wollte über einen Freund von mir mit Ihnen reden. Es geht ihm ziemlich dreckig. Er ist Schriftsteller. Massenhaft Geld, aber kaputte Nerven. Braucht Hilfe. Er lebt tagelang von nichts anderem als Schnaps. Er braucht ein bisschen was extra, Sie verstehen. Sein eigener Arzt will nicht mehr mitmachen.“

Sein erster Roman war ein Bestseller. Innerhalb eines Jahres gingen 50.000 Stück über den Ladentisch. Für seine Stories zahlte man ihm anfangs 40, dann 150, 400 und letztlich auch mal 4.000 Dollar. Hinzu kamen die Einnahmen aus dem Verkauf der Filmrechte. Lange bevor er in einer der MGM-Schreibklausen darüber zu grübeln hatte, „wer die Bombe in den Koffer gesteckt hat und warum“, war er in Hollywood bekannt.

Er nahm sich die erste Seite vor und schrieb „Zweite Fassung“ unter den absolut bescheuerten Titel des Scripts. Dann brachte er in verbissener Arbeit mehrere Dutzend kleinerer Änderungen an. Er ersetzte das Wort „Verdufte!“ durch „Geh mir aus den Augen!“, er schrieb „in der Bredouille“ statt „in Nöten“ und für „Das wirst du bereuen!“ wählte er das treffende „Oder ich …“ … Er wollte noch die Nummer mit dem Krieg einbauen, aber die Zeit drängte. Trotzdem befahl er dem Boten, sich zu setzen, während er mühevoll mit Bleistift auf die letzte Seite schrieb: „NAH: Boris und Rita. Rita: Was kümmert uns das jetzt noch! Ich habe mich freiwillig als Rotkreuzschwester gemeldet. – Boris (bewegt): Der Krieg reinigt und regeneriert! (Er umarmt sie hitzig. Die Musik braust auf. AUSBLENDEN.)“

A-Yank-at-Oxford-1938Der College-Stoff für Robert Taylor wurde ihm entzogen. Jüngere Kollegen arbeiteten sich an dem Buch ab. Es dauerte dann aber doch noch, bis es produziert werden konnte. Natürlich tauchte sein Name nicht in den Credits von A Yank at Oxford auf. Und sein Projekt für einen Film mit Joan Crawford wurde abgelehnt: „Wir haben ein Stunde und fünfundzwanzig Minuten auf der Leinwand. Sie zeigen eine Frau, die einem Mann für ein Drittel dieser Zeit untreu ist, und erwecken dann den Eindruck, dass sie zu einem Drittel eine Hure ist.“

Einzig und allein bei der Verfilmung des Erich Maria Remarques Romans „Drei Kameraden“ wurde er als Drehbuchautor genannt. Der Produzent allerdings hatte das Script dermaßen stark „überarbeitet“, dass er sich veranlasst sah, darauf zu reagieren: „Zu behaupten, ich sei enttäuscht, ist noch harmlos ausgedrückt. 19 Jahre lang, unterbrochen von 2 Jahren Krankheit, habe ich Unterhaltung geschrieben, die sich hervorragend verkauft hat, und meine Dialoge sind wahrscheinlich das Beste, was Du kriegen kannst … ich bin ein guter Schriftsteller.“

„Er sagte, er wäre müde und wollte ins Bett. Ganz vernünftig, fand ich.“ – „Wenn das alles war, was er geredet hat, ja. Also dann, gute Nacht und vielen Dank für den Anruf, Mr. Marlowe.“ – „Ich habe nicht gesagt, es wäre alles gewesen, was er geredet hat. Ich habe gesagt, dass er das sagte.“ – Eine Pause entstand, dann: „Jeder hat von Zeit zu Zeit mal phantastische Einfälle. Nehmen Sie Roger nicht zu ernst, Mr. Marlowe. Schließlich ist seine Phantasie ziemlich hoch entwickelt. Ganz natürlicherweise. Er hätte nach dem letzten Mal nicht so schnell wieder etwas trinken sollen. Bitte versuchen Sie, das doch alles zu vergessen. Ich nehme an, er war ziemlich rüde zu Ihnen – unter anderem.“ – „Er war durchaus nicht rüde. Was er sagte, hatte eine Menge Sinn. Ihr Mann ist ein Mensch, der sich selber ins Auge sehen kann und feststellen, was los ist. Das ist keine sehr verbreitete Gabe.“

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Bei einem Abendessen der Drehbuchautorengewerkschaft im Ambassador Hotel traf er das Ebenbild seiner psychisch kranken Frau wieder. Er kam ohne Umschweife zur Sache: „Ich mag sie.“ Ihre Antwort war: „Ich mag sie auch.“ Sie war 13 Jahre jünger als er, war in einem Waisenhaus aufgewachsen und hatte sich als Dienstmädchen und Verkäuferin durchgeschlagen, bevor sie einen Job bei der Presse ergatterte und ihren Lebenslauf radikal fälschte. Als er ihr seine Zuneigung gestand, war sie bereits eine der bekanntesten Klatschreporterinnen Hollywoods.

Es war der Beginn seiner letzten und keineswegs unproblematischen Liebe. Nach einem Treffen mit seiner nach wie vor in Behandlung befindlichen Ehefrau, brauchte er einen ordentlichen Drink. Es ging also wieder los: „Er blickte in die Ecke, in die er am Vorabend die Flasche geschleudert hatte. Sie starrte in das attraktive Gesicht, das weich und trotzig zugleich war – sie fürchtete sich, auch nur die kleinste Bewegung zu machen, denn in jener Ecke – das wusste sie – genau in der Richtung seines Blicks hockte der Tod. Sie kannte den Tod, sie hatte ihn gehört, seine unverkennbare Ausdünstung gerochen, aber sie hatte ihn noch nie leibhaftig gesehen, bevor er in einen Menschen eingetreten war, und dieser Mann – auch das wusste sie – hatte ihn in der Ecke des Badezimmers erblickt.“

61-1Zitronensaft, ein Schuss Zuckersirup und reichlich Gin auf Eis, aufgefüllt mit Soda – drei, vier Tom Collins zur Beruhigung. Eine ganze Flasche Gin auf einem Kurztrip nach Chicago, Bier und als Upper Champagner, und doch schaffte er es irgendwie immer noch, ein paar Seiten zu tippen: Von September 1937 bis Mai 1941 immerhin 13 Stories, fast ausschließlich für das Männermagazin Esquire, an das auch Hemingway einige Geschichten verkaufte und in dem später Reportagen von Tom Wolfe, Norman Mailer und Gay Talese erschienen.

Ich starrte sie an. Sie bemerkte mein Starren. Sie hob den Blick nur einen halben Zoll, und ich war weg. Aber wo ich auch war, ich hielt jedenfalls den Atem an.

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Sheilah Graham Westbrook

Er war in die Promi-Reporterin verliebt, aber sie musste erkennen, dass sie sich mit einem Alkoholiker eingelassen hatte. Einem nicht mehr trockenen. Jeder Klinikbesuch bei seiner Frau führte zu einer längeren Unterredung mit „Mr. Gorden’s Gin“. Doch im Autorentrakt auf dem Markt der schönen Lügen (Otto Friedrich) brachte er es noch. Er haute sein Pensum an Seiten runter, so solide jedenfalls, dass MGM seinen Vertrag um ein Jahr verlängerte und sein Honorar auf 1.250 Dollar die Woche erhöhte. Er versicherte seiner Geliebten, sich scheiden zu lassen und unterwarf sich einer Entziehungskur. Danach checkte er im Garden of Allah aus und zog für 300 Dollar Monatsmiete in ein kleines Haus in Malibu.

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Er sah sonnengebräunt aus und machte einen guten Eindruck. Ein Tintenfleck war an seiner Hand, und an der einen Seite seiner Nase klebte ein Schmier Zigarettenasche. Er führte mich ins Arbeitszimmer und pflanzte sich hinter seinen Schreibtisch. Ein dicker Stapel gelber Manuskriptseiten lag darauf. Ich hängte meine Jacke über einen Stuhl und setzte mich auf die Couch. – „Danke, dass Sie gekommen sind, Marlowe. Was zu trinken?“ – Ich zog jenes Gesicht, das man macht, wenn einen ein Säufer zum Trinken auffordert. Ich spürte es direkt. Er grinste. – „Ich nehme eine Cola“, sagte er.

Die Geliebte behielt ihre Stadtwohnung, war aber oft bei ihm draußen. Seine Scheidung war erst mal kein Thema mehr. Bei seiner Arbeit an Synopsen, Treatments und ersten Drehbuchfassungen funktionierte er einigermaßen. Glücklich damit wurde er nie: „Das sind gute Schriftsteller“, erklärte der Hollywood Mogul , „und gute Schriftsteller sind rar.“ – „Wieso, Sie können doch jeden beliebigen engagieren!“ – „O ja, wir engagieren sie, aber wenn sie dann kommen, sind es keine guten Schriftsteller. Also müssen wir mit denen arbeiten, die wir haben.“ – „Zum Beispiel?“ – „Mit jedem, der das System akzeptiert und sich einigermaßen nüchtern hält – wir haben Leute aller Art – enttäuschte Dichter, Dramatiker mit Eintagserfolg, College-Girls. Wir setzen sie paarweise auf eine Idee an, und wenn sie nachlassen, setzen wir zwei weitere Schriftsteller dahinter. Ich habe schon bis zu sechs paarweise, unabhängig voneinander, an denselben Ideen arbeiten lassen.“ – „Tun sie das gern?“ – „Wenn Sie es wissen, nicht. Es sind keine Genies – keiner von ihnen könnte auf irgendeine andere Weise so viel Geld verdienen.“

63110Die Drehbücher zu Marie Antoinette, Madame Curie und The Women stemmte er nach Ansicht der Produzenten nicht. Sie setzten die jungen „Ganeffs“ dran. Seine Dialoge des Scripts Gone With The Wind gefielen schlichtweg nicht – er hatte die Schnauze voll. Sein Alkoholkonsum stieg mehr und mehr. Doch mit dem, was noch an Kraft vorhanden war, genährt von Enttäuschung Wut (auch auf sich selbst), begannt er den ultimativen Hollywoodroman zu schreiben. Er blieb unvollendet.

Ich stand auf und warf Geld auf den Tisch. „Sie reden ganz entschieden zu viel“, sagte ich, „und ganz entschieden zu viel über sich selber. Bis später.“ – Ich ging hinaus und ließ ihn dort sitzen, bestürzt und mit weißem Gesicht, soweit ich bei dem Licht, das sie in solchen Bars haben, sehen konnte. Er rief mir irgendetwas nach, aber ich ging weiter. Zehn Minuten später tat es mir leid. Aber zehn Minuten später war ich längst anderswo. Er kam nie mehr ins Büro zu mir. Überhaupt nie mehr, kein einziges Mal.

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F. Scott Fitzgerald, geboren in St. Paul, Minnesota, starb am 21. Dezember 1940 in Hollywood, Los Angeles, an koronarer Arteriosklerose. Er wurde 44 Jahre alt.

Frank Göhre

Zitiert wurde aus:
F. Scott Fitzgerald: Der große Gatsby. Zürich 1974; Der letzte Taikun. Zürich 1977; Der letzte Kuss. Zürich 2009.
Raymond Chandler: Der lange Abschied. Zürich, 1975.
Anregungen aus:
Michaela Karl: Wir brechen die 10 Gebote und uns den Hals, Zelda und F. Scott Fitzgerald. Eine Biografie. Salzburg 2011.
Pietro Citati: Schön und verdammt. Ein biografischer Essay über Zelda und F. Scott Fitzgerald. Zürich 2009.
Fotos: Fitzgerald, Crawford, Westbrook, Grab, Ambassador, Malibu: wikimedia commons, public domain.

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