Geschrieben am 25. Juni 2011 von für Bücher, Crimemag

Gabriel Kuhn: Unter dem Jolly Roger / Daniel Heller-Roazen: Der Feind aller

Geld oder Leben?

– Piraten sind Grenzgänger zwischen fiktionalen und realen Welten. Historisch und aktuell. Metaphorisch und referentiell. Zwei neue Bücher über ihr Wesen und Treiben auf dem Meer und in der politischen Philosophie stellen die Jungs mit dem Messer zwischen den Zähnen in die jeweiligen Kontexte. Friedemann Sprenger freut sich …

Piraten gehören zum Grundbestand populärer Mythen. Sie gehören historisch und aktuell zur Realpolitik. Piraten sind Outlaws, und als solche sehr dialektisch besetzt: als „Feinde aller“ oder als Rebell, gar Revolutionär, als subversives Element. Bemerkenswerterweise beschäftigen sich gleich zwei Sachbücher mit dieser Metaphorik, wobei das Interesse an Piraten von genau diesen beiden Pole ihrer Semantik gespeist wird – von der Beliebtheitswelle der lustigen Streiche von Johnny Depp in der Pirates-of-the-Carribean-Saga und von der immer mehr zum Thema werdenden realen, eher sehr unromantischen Piraterie vor Somalia und anderswo. Der Zusammenhang ausgerechnet der somalischen Piraterie mit dem globalen „Kampf gegen den Terror“ wiederum verweist auf einen größeren rechtsgeschichtlichen und für die Neuzeit wieder legitimatorisch nützlichen Begriff von „Piratentum“, den der Literaturwissenschaftler Daniel Heller-Roazen in seiner Studie seit den Zeiten des Römischen Imperiums ventiliert und mit Kant bis heute nachzeichnet – als philosophisch fundiertes Eingeständnis, dass auch bei noch so intensiver Begriffsauslegung der „ewige Krieg“ global – also zu Lande, zu Wasser und in der Luft – „im Namen des ewigen Friedens“ vermutlich immer und fortwährend, wenn auch in jeweils in veränderlichen „Zonen der Gewalt“ stattfinden wird. Die literarische Begleitmusik dazu wäre der Polit-Thriller, der die jeweiligen Gewaltzonen des Globus immer wieder neu vermisst.

Kant, Depp, Nietzsche

Gabriel Kuhns Studie hingegen sucht nach der „anderen“ Wahrheit der Piratenmetaphorik und denkt darüber nach, wo deren heute noch gültigen emanzipatorischen Anteile liegen. Er rechnet einerseits historisch mit der Verklärung des realen „Goldenen Zeitalters“ der karibischen Piraterie im 17. und 18. Jahrhundert ab (nein, sie waren keine nette seefahrenden Wohngemeinschaften, die ein bisschen auf Mundraub aus waren), geht aber dennoch der „linken Bezugnahme“ auf die Piratensymbolik (der Jolly Roger, die Totenkopfflagge) ein. So rücken die Piraten in die Nähe des Hobsbawm’schen „Banditen“ – irgendwo zwischen blanker Kriminalität und kontingenter emanzipatorischer Rhetorik –, schrammen gar an Nietzsches „dionysischer Philosophie“ entlang und können sich dann als Referenzpunkt für „zeitgenössische politische Bewegungen“ profilieren. Dann aber, das sagt Gabriel Kuhn zwar nicht, aber man ergänzt es unwillkürlich, geraten auch seine Piraten in das Interpretationsmuster der „Feinde aller“ nach Heller-Roazen.

(Quelle: http://i15.photobucket.com/albums/a396/ariellaisadore/12052009042.jpg)

Die literarische Begleitmusik dazu wäre dann der roman noir. Und natürlich kann man Captain Blood und ähnliche Schmöker sogar als solche lesen. So wie man Elmore Leonards historische Gangsterromane (etwas „The Hot Kid“)  oder Joe Lansdales Country Noirs („Die Wälder am Fluß“, „Kahlschlag“) als landgestützte Piratenromane lesen kann. Piraten bleiben faszinierend.

Friedemann Sprenger

Daniel Heller-Roazen: Der Feind aller. Der Pirat und das Recht. (The Enemy of All. Piracy and the Law of Nations, 2009). Deutsch von Horst Brühmann. Frankfurt am Main: S. Fischer (Wissenschaft) 2011. 348 Seiten. 22,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch

Gabriel Kuhn: Unter dem Jolly Roger. Piraten im Goldenen Zeitalter. (Life Under the Jolly Roger: Refelctions on the Golden Age of Piracy, 2010) Dteutsch vom Autor. Berlin/Hamburg: Assoziation A 2011. 230 Seiten. 18 Euro. Verlagsinformationen zum Buch

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