Geschrieben am 15. Dezember 2016 von für Bücher, Crimemag

Hans-Jürgen Jakobs: Wem gehört die Welt?

Wem gehoert die Welt von Hans-Juergen JakobsVorwärts und nicht vergessen …

– Ein dickes Buch, 680 Seiten, ein ambitioniertes Projekt, ein Rechercheteam von mehr als 50 Personen, sogar noch zu einem Lesebändchen hat es gereicht. Aber ausgerechnet an den 20 Seiten, die das Buch benutzbar machen würden, wurde gespart. Alf Mayer rauft sich die Haare, und wenn er schon am Kritisieren ist, dann wird am Ende auch noch die „Kuhle Wampe“ ausgepackt, denn natürlich hat das Ganze System … äh, ist System. DAS SYSTEM.

Ich habe Gabor Steingart schon immer für überschätzt gehalten. Dicke Backen, starker Auftritt, aber dann hält die Luft nicht immer für so richtig lange. Bin fassungslos, wie bei einem solchen Projekt, das Ganze eine Visitenkarte der Verlagsgruppe Handelsblatt, der Hauptautor Ex-Chefredakteur und direkter Nachfolger Steingarts beim „Handelsblatt“, dem Pflichtblatt der Wertpapierbörsen in Frankfurt am Main und Düsseldorf, das Buch immerhin teilweise eigentlich formidabel illustriert (die berühmten Synergie-Effekte wohl) und so hochgehängt präsentiert wie es nur irgendwie in unserer Finanzrepublik geht, nämlich im Saal der Bundespressekonferenz, mit Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) am Lobhudelmikrofon –, wie bei einem solchen Prestigeprojekt irgendein Sparbrötchen im Gefüge es verhindert hat, dass dieses Buch wirklich benutzbar ist. Dafür mache ich, wie das im Journalismus üblich ist, hier den Chef und Geist des Unternehmens verantwortlich. Falsch entschieden, Herr Steingart. Und falsch mitgetragen, Herr Jakobs. Wie konnte man?

680 Seiten über „200 der einflussreichsten Kapitaleigner und Macher des Neokapitalismus“ unter Mitwirkung von 20 Auslandskorrespondenten und 30 Fachredakteuren des „Handelsblatts“ sowie der Hilfe von Mitarbeitern des von Bert Rürup geleiteten Handelsblatt Research Instituts, der Hauptautor monatelang freigestellt und in den Rang eines Senior-Editors erhoben, ein Buch über 200 Leute, die zusammen 47 Billionen Dollar „verwalten“ (welch ein Euphemismus) – und irgendeine Nase im Reiche der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck GmbH (GvH), zu der auch zur Hälfte die „Zeit“ sowie die Verlage epubli, S. Fischer, Rowohlt, Kiepenheuer & Witsch, Droemer Knaur, Henry Holt, Tom Doherty Associates, Farrar, Straus and Giroux, Macmillan Audio, Picador, Pan Macmillan und St. Martin’s Press gehören, hat entschieden, dass solch ein Buch KEIN REGISTER BRAUCHT, auch kein Glossar oder kein Stichwortverzeichnis, von Bibliographie ganz zu schweigen.  Habt Ihr sie noch alle, bei Holzbrink? Transparenz, die herzustellen das Buch behauptet, sieht anders aus. Das ist Behinderung.

Eine Kiste Cuba-Zigarren für Gerd Schröder

Die entsprechende Tisch- oder Beschlussvorlage, die E-Mail, den Schnösel-Tweet, die Milchmädchenrechnung würde ich gerne kennen, mit der das begründet worden ist. Was immer und wer immer hier mit Kostenargumenten gewedelt hat, um mehr als Einsparungen in der Größe einer Kiste Cuba-Zigarren für Gerd Schröder kann es nicht gegangen sein (fällt mir ein, so richtig zu den Oligarchen findet man ohne Index im Buch leider nix). Bei 680 Seiten Vierfarbendruck schlagen die Papierkosten für 20 Seiten kaum zu Buche, für eine Registererstellung gibt es längst sogar PC-Programme als Freeware. Ein Buch über die 200 Schwerreichen der Welt, mit einem Titel, der den ganz großen Maxen gibt – „Wem gehört die Welt? Die Machtverhältnisse im globalen Kapitalismus“, nichts weniger wird hier versprochen – und dann solch eine Billignummer, das muss man erst mal bringen. Ich hätte erwartet, dass jemand wie Gabor Steingart  ein Register notfalls aus der eigenen Portokasse zahlt. Hat er aber nicht.

Vielleicht wird ja in sechs Wochen beim „Handelsblatt“ eine Bezahlfunktion für ein Register freigeschaltet, oder was immer an „neuen Geschäftsmodellen“ hinter der Kooperation mit dem Verlag Albrecht Knaus stecken mag. Ich erinnere mich daran, dass die verkaufte Auflage des „Handelsblatts“ ein Minus von gut 24 Prozent seit 1998 aufweist. Sparen ist nicht immer das beste Rezept.

„Ein Buch über die 200 Schwerreichen der Welt“ hatte ich eben gerade geschrieben, aber das stimmt nicht. Es sind nicht „die“, es sind „200 der“ Schwerreichen der Welt. Auch der Lufthansa-Chef Carsten Spohr zählt dazu. Aha. Irgendeine Proporz-Arithmetik hat ihn unter die 200 gebracht, so ganz erschließen tut sich sowas nicht immer. Klar ist das Buch gegliedert, klar wurde dafür auch Gehirnschmalz investiert. „Das Kapital und seine Macher“ heißt Teil Eins und wir treffen neun Vermögensverwalter, zehn Chefs von Pensionskassen, dreizehn Vorsitzende von Staatsfonds, acht Haie der Private Equity, acht von Hedgefonds und dann superreiche Familien quer durch die Welt. Dazu kommen neun Bankenporträts, sieben Versicherungsbosse. Und dann wird „Das Kapital und seine Märkte“ in Automobile, Handel, Chemie/ Pharma, Freizeit/ Entertainment, Energie/ Rohstoffe, Konsumgüter, Industrie, Hightech und Logistik aufgegliedert.

Der Journalist als Begleiter und Mitesser

Dagegen ist nichts einzuwenden. Außer, dass anstelle der weit hinten im Buch geballten Infografiken (von Seite 597 bis 652) eine Aufteilung vielleicht sinnvoller gewesen wäre, ebenso eine Einführung je in die Kapitel, in der die jeweiligen Branchen oder Vermögenssektoren einer globaleren Betrachtung unterzogen und die jeweiligen Firmen/Personenporträts je einer Einordnung ins Gefüge unterzogen würden. So gibt es viele Fliegenbeine, pardon: Porträts, es gibt eine Ahnung von Netz, aber richtiger Durchblick wird – fast systematisch fürchte ich – verhindert und verschleiert. Je näher man das Buch anschaut, desto ferner schaut es zurück. „Viele Auslandskorrespondenten und Fachredakteure des ‚Handelsblatts‘ haben zum Gelingen wesentlich beigetragen, sie beobachten und begleiten die porträtierten, oft pressescheuen Macher des globalen Kapitalismus seit Jahren. Ihre Expertise und Einschätzung war ungemein wertvoll“, heißt es in der Danksagung von Hans-Jürgen Jakobs.
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Aha. „Begleiten“, süßes Wort im Finanzjournalismus. Im Firmenjet mitfliegen dürfen, zu coolen Pressekonferenzen um die Welt gejettet werden? Aber die Bretter bloß nicht zu tief bohren? Karl Kraus nannte das „kritisches Mitessertum“. Ob es über die Umschlagillustration ebenso viel (oder wenig) Diskussion gegeben hat wie über die Registerfrage, weiß ich nicht. Die Zeichnung mit der Erdkugel an Marionettendrähten sieht ja nett kritisch aus, wobei das unterm Strich „Kritik“ ist, mit der die 200 Einflussreichen gewiss gut leben können.

Auch die Porträts selbst lesen sich zum Teil wie ein modernes „Who’s Who“ der Finanz- und Vorstandshengste der Welt, wobei es längst Geschäftsmodelle gibt, die sich das Vorkommenlassen in diesem ehrwürdigen Buchtitel bezahlen lassen. So wie das „Handelsblatt“ natürlich mit von den Firmen-Abonnements lebt, so kann auch dieses Buch in den Konzernbüros, die darin vorkommen, auf den Coffeetables ausliegen. Blut fließt hier nirgends. Hier schnurrt-knurrt der sprichwörtliche Tiger, der als Bettvorlage landen will. (Man darf gar nicht an die Verbrechen denken, die für die Akkumulation der 47 Billionen Dollar notwendig gewesen oder in Kauf genommen worden sind – aber es gibt kein Stichwort und kein Register z.B. für „Waffenhandel“ oder „Klimaschädlinge“ oder „Blutdiamanten“ oder „Korruption“ oder „Parteispenden“.)

Auch das „Handelsblatt“ wird eben, wie die meisten Zeitungen weltweit „nur auf den Rückseiten von Anzeigen gedruckt“, und nur auf diesen Rückseiten „findet die Pressefreiheit statt“, wie FDP-Generalsekretär Karl-Hermann Flach das für die deutsche Presse lakonisch schon 1960 postulierte. Natürlich ist das „Handelsblatt“ so etwas wie der „L‘Osservatore Romano“ der Kapitalwelt, allzu Ketzerisches und Systemkritisches darf man sich hier nicht erwarten. Das wäre ja sonst als wenn der „L’Osservatore“ Karlheinz Deschners „Kriminalgeschichte des Christentums“ als Fortsetzungsgeschichte drucken würde. „Den Weg öffnen für den Herrn“, die aktuelle Aufmacher-Überschrift der „Papstzeitschrift in deutscher Sprache mit Informationen direkt aus dem Vatikan“ kann man fürs „Handelsblatt“ übersetzen mit „Die Wege öffnen für die Herrn“. Folglich, heißt es in dem Buch „der Neokapitalismus meistens unsichtbar. Unsichtbar wie Ozon. Man sieht, fühlt und hört ihn nicht…“ Aha, danke „Handelsblatt“-Fachleute. Ist ja echt schockierend. Und das hat jetzt sehr geholfen.

wem-gehoert-watchdogcoverDer Wachhund, der nicht bellte

Bei keinem der 200 Porträtierten wird Gabor Steingart dieses Buches wegen je von einer Party ausgeladen werden. „The Watchdog Which Didn’t Bark. The Financial Crisis and the Disappearance of. Investigative Journalism“ heißt die bezeichnenderweise nie in Deutschland veröffentlichte große Studie von Dean Starkman (Columbia University Press, 2014) über das Versagen des Finanz- und Wirtschaftsjournalismus vor, während und nach der Bankenkrise. Die Presse als zahnloser Wachhund der Finanzbranche, das ist leider so.
Als Zeitungsartikel mögen viele der Buch-Porträts funktionieren – sie waren es vermutlich auch einmal zu weiten Teilen -, im Buch bleiben viele von ihnen eigentümlich flach und fahrig. Schon die Einstiege deuten manchen Rauchring an:
„Der Name Rockefeller hat nicht nur in den USA einen fast magischen Klang.“ (Rex. W. Tillerson)
„Es gibt zwei Bilder und eine dramatische Geschichte dazwischen.“ (Maria-Elisabeth Schaeffler-Thuman)
Die Besucher der Boeing Seafair Airshow in Seattle erlebten am 5. August 2016 Geschichte.“ (Jeff Bezos)
„Für jemanden, der alles haben kann, ist es schwer, auf etwas zu verzichten, über das die wichtigsten Konkurrenten verfügen.“ (David Bondermann)
„Japaner gelten als zurückhaltend.“ (Hiroaki Nakanishi; Hitachi)
Oder, meine Lieblings-Investigativstelle:
„Chauffeur oder doch lieber Hubschrauber? Das sind Alltagsfragen des Lebens, wenn er im Four Seasons Hotel in Genf steht und nach Davos muss, gut 420 Straßenkilometer entfernt. Laurence Douglas Fink, den alle nur „Larry“ nennen …. usw….“

dark-money-3dSo viel Sachverstand, solch lohnenswertes Vorhaben, solch ein dickes Buch, aber beim Nähertreten dann eben doch weithin eher eine kostenoptimierte Zeitung. Es gibt die anderen Fälle – siehe zum Beispiel, was der Buchverlag NZZ Folio der „Neuen Zürcher Zeitung“ mit dem Talentpool der Redakteure und Korrespondenten macht (CM-Beispiele hier und hier, mit etwas Scrollen) – wo sich Synergien wirklich bündeln. Ich hatte mich auf das Buch gefreut, fand es ein eher kühnes Unternehmen. Dann aber wollte ich es nutzen, wollte ein paar Namen aus der kommenden Trump-Milliardärs-Regierung nachschauen. Die (Stand 15.12.16) bisher 17 von Trump ausgesuchten Kabinettsmitglieder kommen zusammen auf ein Vermögen 9,5 Milliarden US-Dollar, es ist die mit weitem Abstand reichste US-Regierung fer Geschichte. Sie haben zu siebzehnt mehr Geld auf dem Haufen, als die 43 Millionen ärmsten Amerikaner zusammen, das „untere Drittel“. Und selbst Amerikaner mit dem Durchschnittseinkommen ($83.200) müssten es 120.000 sein, um die vier reichsten Kabinettsmitglieder aufzuwiegen: Betsy DeVos, Wilbur Ross Jr., Linda McMahon, und Rex Tillerson.

Aber nur wenn man im Inhaltsverzeichnis unter „Energie/Rohstoffe“ zu suchen weiß, kann man zum Beispiel zu Exxon-Chef Rex W. Tillerson finden, der von Trump als US-Außenminister vorgesehen ist. Im Buch wird er ein wenig wie ein Auslaufmodell vorgestellt, dem wenig mehr eingefallen sei, „als taktieren, tarnen und täuschen“ und der sich vor seiner eigenen Privathaustür gegen Fracking gewehrt habe. Beeindruckende Substanz hat das nicht sonderlich.
Oder nehmen wir die Brüder Charles und David Koch. Man sollte für die Light-Version, die das Buch bietet, lieber nicht Jane Mayers großes Muckraking-Buch Dark Money. The Hidden History of the Billionaires Behind the Rise oft he Radical Right gelesen haben. Oder zu Larry Fink von Blackrock (dem mit Chauffeur oder Hubschrauber?) Elke Buchters „BlackRock. Eine heimliche Weltmacht greift nach unserem Geld“ (Campus Verlag, 2015, CrimeMag-Besprechung hier).

Helene Weigel, Ernst Busch sowie 4.000 Arbeitersportler und Arbeiterchöre

Bei der Buchvorstellung in Berlin (Bundespressekonferenz, der BDA-Hauptgeschäftsführer als Promoter) wurde natürlich auch „kritisch“ gefragt und geredet und mal wieder über die Kontrolle und die Selbstheilungskräfte des „Marktes“ sinniert (Pun intended). Die Frage, wer denn den Blackrock-Chef Larry Fink kontrollieren könne – unvorstellbare 4,9 Billionen Dollar werden hier „verwaltet“ -, wurde dort so beantwortet: „Wenn er nicht gut performed, dann ziehen die Kunden ihr Geld ab.“ Aha. Gut gemacht, Wachhund Presse. Sitz!

Und BDA-Hauptgeschäftsführer Kampeter lobte: „Jakobs ist ein Aufklärer im besten Sinne. Eine kluge und streitbare Analyse.“ Mit anderen Worten: Damit können wir Kapitalisten alle gut leben.

Das bringt mich zum eigentlichen Urheber des Buchtitels, zu Bert Brecht und Slatan Dudow und dem Film „Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt?“ von 1932. Berlin in den dreißiger Jahren, zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, Arbeiter jagen in der Hoffnung auf einen Arbeitsplatz mit ihren Fahrrädern von Fabrik zu Fabrik, zerfleischen sich zu Hause, werden als arbeitsscheu beschimpft. Dazwischen Balladen und Lieder, gesungen von Helene Weigel und Ernst Busch sowie 4.000 Arbeitersportlern und Arbeiterchören (echt), der einzige offene kommunistische Film der Weimarer Republik. Am Ende fatalistisch:

wem-gehoert-a793ec99d8888708e2_308„Ja wir beede, wir wern de Welt ooch nich ändern.“
Und dann die Frage: „Und wer wird sie verändern?“
Darauf die Antwort von Gerda: „Die, denen sie nicht gefällt.“

Dann das große Schlusslied, das bis heute so beliebte Lied von der gro-ho-ho-sen So-li-da-ri-tä-ät:

Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht!
Beim Hunger und beim Essen, vorwärts und nie vergessen- die Solidarität!

Bis zur fünften Strophe:
Proletarier aller Länder, einigt euch und ihr seid frei.
Eure großen Regimenter brechen jede Tyrannei!
Vorwärts und nicht vergessen und die Frage korrekt gestellt
Beim Hungern wie beim Essen:
Wessen Morgen ist der Morgen?
Wessen Welt ist die Welt?

Alf Mayer

Hans-Jürgen Jakobs: Wem gehört die Welt? Die Machtverhältnisse im globalen Kapitalismus. Verlag Albrecht Knaus, München 2016. Hardcover mit Lesebändchen. 680 Seiten, über 50 Infografken und Tabellen und 200 Porträtfotos, 36,00 Euro. Verlagsinformationen.

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