Geschrieben am 12. September 2009 von für Bücher, Crimemag

Ian Rankin: Sein Blut soll fließen

Konditionierung humana

Mancher stutzt vielleicht, wenn er liest, dass Ian Rankin auch unter Pseudonym Romane veröffentlicht hat. Nach seiner Reihe mit John Rebus, die 2007 – vorläufig – nach 18 Bänden endete, erscheinen jetzt, vielleicht in der Ahnung großer Auflagenverluste, die vier Bände unter dem Pseudonym Jack Harvey bzw. Ian Rankin als Jack Harvey mit großer Verzögerung und doch wie Hundewelpen in kurzen Abständen hintereinander. SUSANNA MENDE ist gespannt.

Die Mittneunziger als Handlungszeitraum lassen sich an einem Themenstrang ablesen, den Rankin in seinem Roman Sein Blut soll fließen aufgreift: BSE. Stimmt, da war doch was, wird sich der geneigte Leser erinnern. Geradezu erschütternd zeitlos wirkt allerdings der Kontext, in den der Autor die Thematik einbettet. Und die Tatsache, dass die Ursache für die „Bovine spongiforme Enzephalopathie“ bis heute nicht genau geklärt ist, gibt Rankins Fokus auf die Gewinninteressen des Agrarmarkts, Sektion Fleischproduktion, auch nach anderthalb Jahrzehnten noch eine Legitimation, die einen vertrauensvollen EU-Bürger das Gruseln lehren kann.

Doch der Reihe nach: Der Protagonist Gordon Reeve, ehemaliger Agent der Spezialeinheit SAS (Special Air Service) führt ein recht beschauliches Dasein mit Frau und Kind in den schottischen Highlands, wo er als Survival Trainer seinen Lebensunterhalt verdient. Als er vom Tod seines Bruders Jim erfährt, der sich auf Recherchereise an der Westküste der USA befand, fliegt er hin, um den Leichnam zu überführen. Als ehemaliger Agent hat er eine Nase für seltsame Vorgänge, vor allem wenn die Polizei mit drinsteckt. Dies und der flüchtige Blick auf das Gesicht eines Mannes, der längst totgeglaubt war, veranlassen ihn, den Recherchen, die sein Bruder angestellt hat, selbst nachzugehen.

Von diesem Zeitpunkt an befindet sich Gordon Reeve in höchster Lebensgefahr und muss all seine Fähigkeiten, die er als Agent einer Spezialeinheit erlernt hat, zum Einsatz bringen. Er ist gezwungen, seine Familie zu verstecken, damit sie geschützt und er nicht erpressbar ist, er muss einen Goliath, den Chemieriesen CWC, an seinem empfindlichsten Punkt treffen, was ihm in einer raffinierten und atemberaubend spannenden nächtlichen Aktion gelingt, und er muss seine Rachegelüste in höchst sublimierter Form ausagieren, als ihm ein Feind aus den alten Tagen des Falklandkriegs begegnet, mit dem er noch eine dicke Rechnung offen hat. So jagt er von der amerikanischen Westküste zurück nach England, von dort nach Frankreich zu einer wichtigen Informationsquelle seines Bruders, wieder nach England, um mehr über dessen Arbeit herauszufinden, noch einmal in die USA und dann zurück auf sein vertrautes Terrain auf einer der Hebrideninseln, ständig verfolgt von ganzen Trupps von Killern, die gegen Geld eines zahlungskräftigen Großkonzerns zu allem bereit sind.

Als ob das nicht genug wäre, gibt es da noch einen inneren Feind, den es unter Kontrolle zu halten gilt, mit dem Rankin seinem Helden eine düstere Tiefe verleiht: Gordon tötet gern. Töten war Teil seines Jobs als SAS-Mann. Jetzt ist er – unfreiwillig – wieder gezwungen, seine Körperkräfte und diverse Waffen zum Einsatz zu bringen, um zu überleben. Gordon kennt den Blutrausch, und er weiß um den Kick. Er weiß auch, dass er dem eigentlich in weitem Bogen aus dem Weg gehen muss. Es ist, als bewegte er sich auf einem schmalen Grat zwischen perfekter Konditionierung als Kämpfer, der dem Feind überlegen ist, weil er dessen und sein Vorgehen kühl und intelligent überdenkt, und völligem Kontrollverlust, der ihn als Mitglied einer Zivilgesellschaft nicht mehr tragbar machen würde. Diese Gratwanderung wird von Rankin nicht als moralische Kategorie verhandelt, sondern als anthropologische Konstante, die nicht wegzuleugnen ist. Das ist Hochspannung im doppelten Sinne!

Susanna Mende

Ian Rankin: Sein Blut soll fließen (Bloodhunt, 1995). Roman.
Deutsch von Giovanni und Ditte Bandini.
München: Goldmann Verlag 2009. 540 Seiten. 8,95 Euro.