Geschrieben am 27. August 2011 von für Bücher, Crimemag

Jim Thompson: Jetzt und auf Erden

Zu den Säulenheiligen der Kriminalliteratur gehört Jim Thompson. Obwohl er im deutschprachigen Raum nie wirklich bekannt und populär war. Wichtig allerdings war und ist er schon. Ein kleines Porträt von Roland Oßwald anlässlich der deutschen Erstausgabe von „Jetzt und auf Erden“:

Now And On Earth

„There are thirty-two ways to write a
story, and I’ve used every one, but
there is only one plot – things are not
as they seem.“

„Jetzt und auf Erden“ ist Jim Thompsons erster Roman. Der Sage nach reiste Thompson dafür nach New York und schrieb ihn in nur zehn Tagen, in einem Zimmer, das der Verlag zahlte, auf einer Schreibmaschine, die vom Verleger ausgeliehen war. Das Buch erschien 1942 (New York, Modern Age). Es ist eine fiktionalisierte, autobiografische Geschichte aus der Zeit, in der Thompson in einer Flugzeugfabrik in San Diego beschäftigt war. Es ranken sich einige Gerüchte um Jim Thompsons Leben und Werk. Rezensenten oder Biografen wie Michael McCauley („Sleep with the Devil“, New York, Mysterious Press) und Robert Polito („Savage Art“, New York, Vintage) weisen darauf hin, dass sie während ihrer Recherchen auf Diskrepanzen stießen zwischen realen Nachweisen und den Büchern oder Anekdoten, die Thompson selbst als autobiografisch verbreitet hatte. James Sallis schreibt 1990, dreizehn Jahre nach Thompsons Tod, im North Dakota Quarterly: „Die größte Schwierigkeit lag dabei nicht in all der Zeit, die schon vergangen war und so vieles mit sich gerissen hatte, sondern in einem für viele kreative Menschen typischen Verhalten, das sich auch bei Jim Thompson findet: Er bastelte ständig an der Präsentation, also der äußeren Wahrnehmung seines Lebens herum. Was in gewissen Augenblicken wie ein privates Geständnis wirken sollte – nur für einen Freund, oder den Lektor, oder einen Bekannten –, erwies sich bei genauerem Nachforschen als genauso tolldreist zusammengesponnen wie seine schön spinnerten Roman-Autobiografien „Bad Boy“ und „Roughneck“ (die Ausnahme von der Regel ist vielleicht „Now and On Earth“ …).

In „Jetzt und auf Erden“ hat die Hauptfigur einen der schwierigsten Jobs der Welt. James Dillon ist schreibender Arbeiter. Er lebt mit seiner Frau, seinen drei Kindern, seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester in einem Häuschen in San Diego und bewirbt sich bei der ansässigen Flugzeugfabrik. Seine Zeugnisse sind ausgezeichnet, und die Fabrikleitung stellt ihn in der Buchhaltung des Zentrallagers an. Wenige Monate zuvor haben die Japaner Pearl Habour bombardiert. Die USA befinden sich im Zweiten Weltkrieg. Man stellt im Land alle Industriezweige auf Kriegsproduktion um. In der Flugzeugindustrie schiebt man daher dauernd Überschichten. Dillon, der von Flugzeugen nichts versteht, kämpft um seine Stelle. Die Kollegen sabotieren den Neuen, wo sie können. Abends, wenn er abgekämpft nach Hause kommt, türmen sich immer neue familiäre Probleme. Das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Neben Dillon bringt bloß seine Schwester Frankie noch ein kleines Gehalt mit in die Familienkasse ein. Dillons Frau führt eine ständige Fehde mit ihrer Schwiegermutter. Die Kinder verwahrlosen. Da sie selbst in einem beinahe erziehungsfreien Raum zwischen Aggression und Agonie groß werden, helfen keine Schläge mehr. Wenn jemand austeilt, sind es die Kinder, und die Eltern stecken ein. Dillon flüchtet in den Alkohol. Seine Schwester ebenfalls. Dazu sucht sie schnelle Abenteuer in der Männerwelt. Und die Mutter und Dillons Frau schrauben sich immer tiefer in die Sticheleien ihrer Hassliebe. Im Rausch und ständig von Familienmitgliedern unterbrochen setzt sich Dillon nachts mit der Schreibmaschine auf das Klo und schreibt Short Stories, um sie an True-Crime-Heftchen zu verkaufen. Unter diesen Bedingungen schafft er eine Geschichte im Halbjahr. Der Traum vom Schreiberling scheint im Hauptlager der Flugzeugfabrik zu verdampfen. Privat rutscht die Familie langsam aber sicher in eine völlig aussichtslose Schuldenfalle. Der Vater, senil und verdorben in ein Altersheim abgeschoben, macht dem Pflegepersonal so viel Ärger, dass Dillon gebeten wird, den alten Herrn doch bald anderswo unterzubringen, was natürlich mit höheren Kosten verbunden wäre, oder ihn gegebenenfalls zu Hause aufzunehmen. Zu diesem Zeitpunkt wird Dillons Schwester von einem seiner Kollegen schwanger. Die Abtreibung kann sich niemand leisten. Dillon soll versuchen aus dem Kollegen das Geld für den Eingriff herauszupressen. Aber der kann die zweihundertfünfzig Dollar genauso wenig aufbringen wie sie, und der Kampf um das Geld, den Job und das letzte Fünkchen Ehre wird mit allen Mitteln ausgefochten.

Jim Thompson

Jim Thompson

Die Obduktion des amerikanischen Traums

Jim Thompson beginnt in „Now and On Earth“ mit einer persönlichen Obduktion des amerikanischen Traums. Es folgen bis 1977 achtundzwanzig weitere Bücher. Darunter „The Killer Inside Me“, „The Getaway“, „Pop. 1280“, „King Blood“ etc. Allein in den Jahren 1952 bis 1956 schreibt er dreizehn Romane. Er biedert sich immer wieder in Hollywood an. Meistens ohne nennenswerte Anerkennung. Sein größter Erfolg dürfte hier das Drehbuch zu „The Killing“ von Stanley Kubrick sein. Aber Thompsons geschriebene Realität liegt zu schwer im Bauch des amerikanischen Durchschnittbürgers. Seine Bücher, fast immer nur als Pulps am Zeitungsstand erhältlich, verschwinden im Laufe der Jahre vom Ständer. In der Filmbranche sind schizophrene Gesetzeshüter, Vertreter oder Versicherungsangestellte mit Alkoholproblemen, die kaltblütig morden, noch weniger gefragt als bei den Verlegern. Am Ende ist kein Buch mehr von ihm auf dem Markt, und Jim Thompson stirbt vergessen und mittellos 1977 in Kalifornien. Die für ihn typische Lakonie der Sprache trägt seine Absicht die Welt mal so zu beschreiben, wie er sie erlebt. In ihr geht es rücksichtslos zur Sache. Jeder Mensch ist auf der gesetzlich verankerten Jagd seinen persönlichen Vorteil herauszuschlagen. Über Leichen zu gehen beschreibt das Mark der amerikanischen Seele. Und nur selten, wenn überhaupt, bleibt die Zeit für ein Lächeln.

Thompson und die KP

Robert Polito und Micheal McCauley haben in den achtziger Jahren eine Anthologie mit dem Namen „Fireworks“ (Verlag Donald I. Fine Inc.) herausgegeben. Es handelt sich um eine Sammlung „verlorener Texte“ aus sechzig Jahren. Über den Autor Jim Thompson schreiben sie im Vorwort: „Thompsons Bücher zu lesen ist so, als säße man in einem Luftschutzkeller gemeinsam mit einem Plappermaul von Wahnsinnigem, der, ganz nebenher, als Luftschutzwart fungiert.“

Und um die Sage, dass Thompson „Jetzt und auf Erden“ in nur zehn Tagen heruntergekloppt hat, aufzulösen, kann man in Robert Politos Thompson-Biografie nachlesen, dass Thompson wie geschildert 1941 nach New York gereist war, um einen Roman zu schreiben. Allerdings besuchte er dort alte Freunde und ehemalige Parteigenossen. Jim Thompson war zwischen 1935 und 1938 Mitglied der Kommunistischen Partei. Insbesondere in New York zählte die KP viele Künstler und Intellektuelle in ihren Reihen. Als Genosse gehörte man zur Avantgarde. Thompson wohnte bei einem befreundeten Journalisten und seiner Frau. Sie liehen ihm die Schreibmaschine und unterstützten ihn finanziell. Er schrieb in vier Tagen 15.000 Worte. Die ersten Kapitel von „Now and On Earth“ . Er schickte sie einem Verleger, der sofort Interesse bekundete und einen Vorschuss zahlte. Mit dem Geld ging Thompson erst einmal auf Zechtour. Zehn Tage lang. In der Folge litt er unter schweren Magen- und Blasenbeschwerden. Er hustete Blut. Panikattacken setzten ihm zu. Nach einer kurzen Regenerationsphase setzte er sich wieder an das Buch. Insgesamt waren es wohl wenige Wochen, die Thompson an dem Roman schrieb. Unter solchen Umständen eine beeindruckende Leistung. Dann starb in Oklahoma sein Vater, und Thompson veränderte sich. Die Politik und Genossen interessierten ihn immer weniger. Er zog sich mehr und mehr aus dem Sozialleben zurück. Den New Yorker Gastgebern erklärte er seine künftigen, literarischen Absichten: „No more of that esoteric shit! I want to write books about the way people really live. I’ll show those motherfuckers.“

Roland Oßwald

Jim Thompson: Jetzt und auf Erden (Now And On Earth, 1942) Roman. Deutsch von Peter Torberg. München: Heyne Hardcore 2011. 334 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Thompson bei kaliber.38

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