Unterirdisch
Ein Kubaner, der in Madrid lebt, schreibt einen Thriller – das Herz der hispanophilen und spannungsbegeisterten Rezensentin schlug höher. Doch schon der Klappentext dämpfte die Vorfreude: Das Schicksal der Menschheit steht auf dem Spiel. Das klang nach amerikanischem B-Film. Aber es kam noch schlimmer. Eva Karnofsky ist not amused.
Der Große Zug mit glitzernden Wagen und dem gläsernen Dach fährt von Dortmund nach Hamburg, irgendwann in der Zukunft. Daniel Kean tut als Zugbegleiter Dienst, als zweiter Angestellter im vierten Abteil. Er hat goldglitzernde Haare und ist unausgeschlafen, weil er seit neun Jahren pausenlos Überstunden macht. Verheiratet ist er auch, mit Bijou, deren Augen wie zwei offene Fenster in ihre Seele wirken. Oh je. Es gibt wahrhaftig schönere Bilder. Bijou lächelt nur selten, hat aber stets gute Laune, was ihren Gatten zu der tiefschürfenden Vermutung hinreißt, dass nur traurige Menschen es nötig haben zu lachen. Vielleicht muss sich José Somoza erst einschreiben, und der Lektor hat bei den ersten Seiten geschlafen. Also weiter.
Die Tochter des Paares heißt Yun und ist ein Retortenkind. Sie hat ein starres Kindergesicht, sie liest zu viel und beginnt deshalb, sich zu fürchten. Aha. Lesen lehrt also fürchten. Yuns Eltern lassen ihr aber, Gott sei Dank, eine ausgewogene Bildung zukommen, damit sie, wenn sie erwachsen ist, selbst entscheiden kann, ob sie eine Gläubige werden will oder nicht. Bijou glaubt nämlich, Daniel aber nicht. Was es auf sich hat mit diesem immer wieder zitierten Glauben, der sich auf irgendwelche kaum näher erläuterten Kapitel bezieht, ist nicht zu erkennen. Also zieht die Rezensentin das Nachwort des Autors zu Rate. Er hatte die Idee, in seinem Buch Fluch der Angst H. P. Lovecrafts Schaffen als eine Art Religion aufzufassen, erfährt man dort. Alles gut und schön, aber woran genau unsere Bijou nun glaubt, bleibt weiterhin Somozas Geheimnis. Ein Thriller fürs Bildungsbürgertum also, der sich nur dem erschließt, der brav die SciFi/Horror-Klassiker abgearbeitet hat.
Kneifzange im Hals
Doch zurück zum Großen Zug, dem mächtigen Riesen aus Glas und Stahl, in dem man selbst „nur ein schlichtes Atom aus Fleisch und Blut im Rumpf hochentwickelter Technologie“ ist. Naturwissenschaftlich nicht ganz korrekt, aber sei’s drum. In Daniels Abteil sitzt jedenfalls Klaus Siegel, und aus seinem langen Gewand tropft es rot und er hat eine Bombe umgeschnallt. Er verlangt, mit Daniel allein zu sprechen, um diesem mitzuteilen, dass sie beide auserwählt sind. Bevor er sich eine Kneifzange in den Hals rammt und dahinscheidet, „als hätte er seinen eigenen Tod nicht bemerkt“, raunt er David etwas Unverständliches zu. Und damit beginnt Daniels Elend, denn was Klaus da vor sich hin gemurmelt hat, war ein Code, hinter dem böse Mächte her sind, zu denen auch Olsen gehört, der Sicherheitsmann des Zuges. Daniel bleibt nur, die Flucht zu ergreifen. Zwar rennt er nun durch deutsche Lande, doch wie die aussehen, erfährt der Leser nicht.
Im Tunnel, in Japan …
Als Nächstes verschlägt es unseren Helden – der keiner sein will, weil ein Held nur jemand sein kann, der nicht geliebt wird – nach Japan, doch dort bewegt er sich ausschließlich in unterirdischen Tunneln. Dabei hätte man doch zu gern gewusst, wie die Welt aussieht, in der sich unser Zugschaffner bewegt. Irgendwann wird noch Bijou, „die Insel des Lichts inmitten der Finsternis“, von den Bösen ermordet und Yun zur Geisel genommen, um Daniel diesen Code abzupressen, den er nicht verstanden hat. Und dann, nach 134 langweiligen Seiten, war die Rezensentin die unsäglichen Metaphern, die Trivial-Philosophie und die charakterlosen Gestalten, von denen man nur erfährt, welche Kleidung sie tragen (mit aufgenähten Sternchen zum Beispiel), ebenso leid wie die steifen Dialoge und beschloss, sich Thriller-Autoren zuzuwenden, für die Spannungsbogen kein Fremdwort ist.
Eva Karnofsky
José Carlos Somoza: Fluch der Angst (La llave del abismo, 2007). Roman.
Deutsch von Matthias D. Borgmann.
Berlin: Ullstein Buchverlage 2009. 570 Seiten. 9,95 Euro.