Geschrieben am 11. März 2009 von für Bücher, Crimemag

Joseph Wambaugh: Sunset Boulevard

Nur ein Upgrade

Joseph Wambaugh, der – wie sein deutscher Verlag völlig richtig verlauten lässt – als Begründer des modernen Polizeiromans gilt, brach mit dem Erscheinen von Hollywood Station im Jahr 2006 (in deutscher Übersetzung 2008) sein jahrelanges Schweigen und ist zurück auf seinem vertrauten Posten als „Grand Master“ der Copnovel. Nun liegt auch die deutsche Übersetzung des Sequels Sunset Boulevard vor. Und der Leser darf wieder den Polizisten des LAPD (Los Angeles Police Department) bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen und sie in ihren Streifenwagen von den Niederungen kaputter Cristal Meth-Ecken über den Hollywood Drive bis hinauf in die Hills, wo Geld und schöne Frauen locken, begleiten. Susanna Mende auch …

Versiert verknüpft Wambaugh mehrere Handlungsstränge und fächert das ganze Panorama einer unübersichtlichen, multi-ethnischen Community (im Großraum Los Angeles sollen 224 verschiedenen Sprachen gesprochen werden) auf, mit deren Konflikten und Friktionen die Gesetzeshüter auf manchmal drastische, manchmal absurde und manchmal auch lebensbedrohliche Weise konfrontiert sind und selbst immer wieder auf skandalöse, hilflose und unangemessene Weise reagieren.

Das ist doch nichts Neues, werden Sie jetzt leicht naserümpfend sagen – korrupte, gewalttätige und desillusionierte Cops kennt man zuhauf, und ich gebe Ihnen Recht. Nur sollten wir uns kurz daran erinnern, dass diese ausgesprochen vertraute Thematik, die viele größtenteils aus Kino und Fernsehserien kennen, Wambaugh als Erster aufgegriffen und bereits Anfang der 70er Jahre (!) zu so großartigen und paradigmatischen Romane wie The New Centurions oder The Choir Boys verarbeitet hat, um nur zwei seiner bekanntesten Titel zu nennen. Seine Romane haben, neben zahlreichen Kinoadaptionen, vor allem dem Fernsehen zu den charakteristischen Elementen des damals noch neuen und über alle Maßen erfolgreichen Formats der Polizeiserie verholfen. Kurz gefasst: ohne Wambaugh kein „Hill Street Blues“ (eine der ersten Cop-Serien Anfang der 70er und Emmy-Preisträger), kein „NYPD Blue“ (das 1993 debütierte und dessen Detective John Kelly von keinem anderen als David Caruso gespielt wird, der heute den Senior Lieutenant Horatio Caine in CSI Miami gibt) und kein „The Shield“, die wohl härteste und realistischste Cop-Serie der letzten Jahre.

Nach diesem Exkurs müsste auch Wambaugh-Neulingen dämmern, dass es sich hier um ein literarisches Urgestein handelt, was durchaus schmeichelhaft gemeint ist, gilt Schreiben doch, wie alle kreativen Tätigkeiten, an sich als alterslos. Mit dem Begriff Urgestein ziele ich allerdings auf einen Aspekt des künstlerischen Schaffens, den Gottfried Benn in seinem 1954 gehaltenen Vortrag „Altern als Problem für Künstler“ folgendermaßen auf den Punkt gebracht hat: „Wenn etwas fertig ist, muss es vollendet sein.“

Anders gesagt: Dass Wambaugh Ende der 90er Jahre öffentlich das Ende seiner schriftstellerischen Tätigkeit verkündete, legt nahe, dass es sich um einen sehr bewussten und wohlüberlegten Entschluss handelte. Seine Rückkehr 2006 hat natürlich erst einmal neugierig gemacht und die simple Frage aufgeworfen: Hat Joseph Wambaugh uns noch etwas zu sagen?

Nachdem er in den 90ern ebenfalls als True-Crime-Autor erfolgreich und Gesellschaftsromancier weniger erfolgreich gewesen war, kehrt er mit Hollywood Station und Sunset Boulevard zu seinen literarischen Wurzeln zurück und versucht an sein erstes großes Thema anzuknüpfen, indem er den normalen Wahnsinn der Polizeiarbeit in LA beschreibt. Nach einem mit Anekdoten überfrachteten und lieblos gestrickten Plot in Hollywood Station, findet er in Sunset Boulevard wieder zu einer gewissen Raffinesse zurück: Die Spannungsbögen funktionieren besser und das Verweben realpolizeilicher Gegebenheiten in die verschiedenen Handlungsstränge ist stringent und glaubwürdig.

In Sunset Boulevard wendet sich Wambaugh außerdem einer besonders kuriosen Abteilung zu, nämlich dem Hollywood Divison Community Relations Office, kurz CRO genannt, dessen Mitarbeiter sich selbst ironisch als „crows“ (Krähen) bezeichnen, was im Deutschen ungefähr dem mit dem Wortungetüm bezeichneten „Kontaktbereichsbeamten“ entspricht. Im Vergleich zu der harten Straßenarbeit ist das ein recht beschaulicher Job, sofern man die Geduld aufbringt, sich mit verärgerten Zivilisten über falsch geparkte Autos, herrenlose Einkaufswagen, bissige Hunde und Bürgerrechte im Allgemeinen zu unterhalten.

Es ist auch wieder ein kritischer Blick auf absurde Polizeivorschriften, die – so die Perspektive des Erzählers – einer übereifrigen Political Correctness entspringt, gesetzlich manifestiert in dem 2000 erlassenen Federal Consent Decree, zu dem das LAPD nach den Übergriffen, die unter dem Namen Rampart Scandal gekannt wurde, verdonnert wurde. Der Leser wird also auf den aktuellen Stand gebracht, was Polizeiarbeit und gesellschaftliche Gemengelage in LA betrifft, und das auf sehr schwarzhumorige und unterhaltsame Art. Doch hinterlassen zweierlei Dinge einen etwas faden Nachgeschmack: Wambaugh knüpft nicht nur inhaltlich, sondern auch erzähltechnisch an die 70er Jahre an und strickt nach bewährtem Muster das Immergleiche. Der zweite Aspekt ragt ein gutes Stück in den Bereich der Spekulation, konnte ich mich während der Lektüre doch nicht des Untertons des „Früher war alles besser“ erwehren. Wenn aber die Perspektive durch rückwärtsgewandte Wertung verstellt und die erzählerischen Mittel in fast 40 Jahren nicht erneuert wurden, steht zu befürchten, dass – um bei Benn zu bleiben – Wambaugh hier keine Fortschritte macht, was die Vollendung seines Werks betrifft.

Susanna Mende

Joseph Wambaugh: Sunset Boulevard (Hollywood Crows, 2008 ) Roman. Deutsch von Rainer Schumacher. Bergisch-Gladbach: Bastei Lübbe 2009. 382 Seiten. 8,95 Euro.