Geschrieben am 14. November 2009 von für Bücher, Crimemag

Jussi Adler-Olsen: Erbarmen

Don Camillo und Peppone auf Dänisch

Wenn ein Buch Probleme mit dem Anfang und dem Ende hat, wie das bei Jussi Adler-Olsens Roman Erbarmen der Fall ist, dann hat das Buch offensichtlich ein Problem – Aber Henrike Heiland ist erst einmal gutwillig …

Merete, eine junge, erfolgreiche Politikerin, verschwindet eines Tages spurlos von einem Fährschiff. Der Fall landet nach umfangreichen Ermittlungsarbeiten bei den Akten mit dem Vermerk, dass es sich wahrscheinlich um einen Unfall handelte, die Frau könnte ins Meer gestürzt sein. Was im erzählten Heute keiner weiß: Merete wurde entführt. Ihre Entführer sperren sie in eine Druckkammer, erhöhen jedes Jahr den Luftdruck ein kleines bisschen mehr, schauen zu, wie sie darauf reagiert, als wäre sie ein Versuchskaninchen. Und jedes Jahr an ihrem Geburtstag wird sie gefragt, ob sie eine Idee hat, warum man sie gefangen hält. Merete hat keine Ahnung, aber den eisernen Willen, sich ihren Peinigern nicht geschlagen zu geben.

Fünf Jahre nach ihrem Verschwinden gründet die Polizei in Kopenhagen das Sonderdezernat Q, das sich ungelöste Fälle noch einmal mit frischem Blick vornehmen soll. Leiter des Sonderdezernats Q wird Carl Mørck, eigentlich Mordermittler, aber im Moment gerade schwer traumatisiert, nachdem man an einem Tatort auf ihn und seine beiden Teamkollegen geschossen hatte. Einer starb, einer liegt von den Schultern abwärts gelähmt im Krankenhaus, und Carl, der nur einen Streifschuss abbekommen hat, quälen seither Schuldgefühle. Da er ohnehin ein eher schwieriger Typ ist, sieht sein Chef im Sonderdezernat Q eine prima Gelegenheit, ihn aus dem Weg zu haben, sich gleichzeitig aber seine hervorragenden Ermittlerfähigkeiten zunutze zu machen. Carl bekommt auch einen Assistenten, den Syrer Assad, eigentlich nur Hilfskraft zum Saubermachen und Kaffeekochen, wie sich aber unerwartet herausstellt ein unglaublich gewiefter, schlauer und fähiger Kerl, der so manchen dänischen Polizisten in die Tasche steckt. Das ungleiche Paar macht sich als erstes an Meretes Fall und stößt schon bald auf brauchbare Hinweise.

Ermittler – ein Duo mal wieder …

Die beiden Ermittlerfiguren sind dabei ganz schön geraten: Carl ist gar nicht so ein düsterer Melancholiker, wie man zunächst befürchten könnte. Er ist nur ein bisschen faul, ein bisschen griesgrämig, mag die wenigsten seiner Kollegen, ansonsten handelt es sich aber um einen geselligen Typen ganz ohne Depressionen oder Alkoholismus, der mit seinen Nachbarn grillt, die laute Musik seines Stiefsohns regelmäßig abwürgt und Frauen gegenüber kein grundsätzliches Problem hat. Assad hat die dankbare Buffo-Rolle und bleibt dabei nicht ohne ein streng gehütetes Geheimnis um seine Herkunft. Das ist also schon mal ganz brauchbar und macht Lust auf mehr. Auch die parallel erzählte Geschichte von Meretes Gefangenschaft macht über weite Strecken einen guten Eindruck.

Das Buch hat allerdings zwei große Probleme: den Anfang und das Ende. Jussi Adler Olsen beginnt mit einem Prolog, der schon mal Spannung erzeugen soll mit etwas, das im Buch eigentlich erst so in Richtung Seite 100 was zu suchen hätte. Okay, kann man machen, ist aber immer ein deutliches Zeichen dafür, dass der Autor seinen Anfangskapiteln nicht traut. Zurecht. Die schnarchen nämlich wirklich ein wenig zäh vor sich hin. Bis Meretes Vorgeschichte durchgekaut ist, bis Carls Lebensumstände und die Begebenheiten bei der Kopenhagener Polizei erklärt sind, vergehen wertvolle Seiten. Und immer wieder kommt die Politik am Rande ins Spiel, da denkt man dann sehnsüchtig an die wohlig-düsteren Bilder des Zehnteilers um Kommissarin Lund. Wie gesagt, das legt sich, das Buch gewinnt an Fahrt, Carls Erzählstrang ist ganz amüsant, Meretes Geschichte beklemmend.

Aber jedes Buch muss ja auch irgendwann mal zu einem Ende kommen, und da hakt es dann wieder: Längst kann sich der Leser denken, worauf das alles hinauslaufen wird, da wurschteln die Ermittler noch kompliziert vor sich hin. Wenn dann wirklich offiziell feststeht, wer wen und warum, bleibt die Enttäuschung über einen merkwürdig hinkonstruierten Plot mit einem doch sehr gewollten Motiv und ziemlich, ähm, karikaturhaften Täterfiguren nicht aus. Wer echte, solide Bösewichte erwartet, wird mit herumstümpernden Kleingeistern belohnt (am Ende fragt auch noch der Drahtzieher, wie man ihm um alles in der Welt auf die Schliche gekommen sei, da fühlt man sich als Leser doch ein wenig, nun, peinlich berührt), und rückblickend, ganz ehrlich, ist es schon ziemlich gewagt, dass ein lustloser dänischer Polizist und seine syrische Hilfskraft, so clever sie auch sein mögen, in ein paar Tagen einen Fall aufklären, an dem sich seinerzeit die Besten der Besten die Zähne ausbissen.

Grausam …

Nun denn. Erbarmen war als dämonischer Psychothriller angekündigt, auf dem Cover steht außerdem noch was von „ungewöhnlich grausam und todspannend“, aber das ist es irgendwie dann doch nicht. Ja, es gibt da ein paar Stellen in der Merete-Handlung, die sind wirklich nicht sehr appetitlich und erzeugen Mitgefühl, und irgendwann will man natürlich schon wissen, ob sie nun befreit wird oder nicht, ob sie überhaupt so lange überlebt, um befreit zu werden, was man sich eben so fragen sollte bei einer spannenden Geschichte. Aber bei diesem ganzen Buchvermarktungstheater um „Wer hat den Härtesten geschrieben“ fällt natürlich hinten runter, dass Jussi Adler-Olsens Stärke vielleicht doch eher in der lakonisch-lustigen Parallelhandlung liegt. Wie Carl und Assad so ganz nebenbei den aktuellen Fall der Mordkommission lösen und wie die Kollegen sich daraufhin aufführen, das hat schon viel Schönes. Gleichzeitig aber wirkt alles etwas unentschieden, weil ja zwischendrin immer wieder der Thrill bemüht werden soll. Oder muss. Wie auch immer, ein dämonischer Thriller … da erwartet man dann doch irgendwie was anderes.

Henrike Heiland

Jussi Adler-Olsen: Erbarmen (Kvinden i buret, 2008) Roman.
Deutsch von Hannes Thiess.
München: dtv 2009. 418 Seiten. 14,90 Euro.