„Ein Mann nach meinem Herzen“
Die knapp über 70.000 Einwohner große Stadt Galway liegt an der Westküste Irlands. Nora Barnacle stammte aus Galway. Sie brannte mit dem jungen James Joyce durch und heiratete ihn. Nora war amüsant, leidenschaftlich, mutig, spontan und verstand es sich auszudrücken – direkt und, wenn sie wollte, auch vulgär. Sie verlieh sämtlichen weiblichen Hauptfiguren in Joyce Werk ihre Stimme, vor allem der Molly im Ulysses. Was das mit dem irischen Autor Ken Bruen zu hat, verrät Ihnen FRANK GÖHRE …
Ken Bruen lebt nach 25 Jahren als Englischlehrer in Afrika, Japan, Südostasien und Südamerika heute in Galway und schreibt Kriminalromane – leidenschaftlich, mutig und mit „Totenkopf-Humor“, so in einer Rezension der „New York Time Book Review“. Galway ist offenbar ein guter Nährboden für sprachliche und schriftstellerische Kreativität. Ken Bruens jetzt im Atrium Verlag erschienener Krimi Jack Taylor fliegt raus – übersetzt von Harry Rowohlt, der über den Autor sagt: „Ein Mann nach meinem Herzen“, obwohl er Kriminalromane gar nicht mag – ist ein literarisches Highlight, ein Lesegenuss nicht allein für die, die ohnehin Monat für Monat neu auf der Suche nach guten Krimis sind. Was angesichts der in den Buchhandlungen stapelweise ausliegenden „gängigen“ Titel nicht gerade einfach ist.
Umso entschiedener die Forderung, Ken Bruen einen Platz gleich neben der Kasse einzuräumen und ihn jedem Kunden zu empfehlen. Niemand wird nach der Lektüre dieses ersten „Jack Taylor“-Romans enttäuscht sein.
Er beginnt mit der Feststellung „Es ist fast unmöglich, bei der Garda Síochána rausgeschmissen zu werden.“ Garda Síochána – Friedenswächter – heißen in Irland die Polizisten. Jack Taylor ist Polizist und ihm gelingt das fast Unmögliche. Fortan betätigt er sich als Privatdetektiv, oder besser, als jemand, der Hilfe leistet. Gelegenheit dazu bekommt er, wenn er in Galways ältester unveränderter Kneipe sitzt, dem Grogan’s – „ein ernsthafter Ort für ernsthaftes Trinken.“ Die Frau, die zu ihm kommt, hat eine etwas ungewöhnliche Bitte. Ihre 16-jährige Tochter hat Selbstmord begangen, aber sie will es nicht glauben. Taylor soll aufklären, was wirklich geschehen ist.
Virtuos gesetzt
Es ist kein allzu langer Weg bis zur Lösung, aber danach geht es erst richtig los. Jack Taylor muss sich ausnüchtern und entgiften lassen. Er sinniert über sich und sein bisheriges Leben nach. Die Bilanz ist deprimierend. Viele verpasste Chancen, und viel Scheiß gebaut in all den Jahren. Ken Bruen erzählt das in kurzen Kapiteln. Einige füllen gerade mal eine oder eineinhalb Buchseiten. Hin und wieder ist ein Zitat vorangestellt – von Ed McBain, Walter Mosley, Elmore Leonhard und George P. Pelecanos, aber auch Sprüche wie „Was übrig bleibt, ist nicht immer die schlimmste Hinterlassenschaft“ oder ein Rezept für die Aufzucht eines Poeten: „Soviel Neurose, wie das Kind verträgt.“
Das alles ist virtuos gesetzt – inhaltlich und auch – Kompliment an die Herstellung des Verlags – formal. Das Tempo des Roman steigert sich von Kapitel zu Kapitel und hat ein Jack Taylor von den Schatten seiner Vergangenheit befreiendes Ende: „Hob die irdene Flasche auf und roch daran. Die Kraft durchfuhr mich bis zu den Zehen. Ich holte aus und warf sie in hohem, weiten Bogen ins Meer.“ Man darf gespannt sein, wie es mit Taylor weitergeht.
Harry Rowohlt hat bereits den nächsten und auch schon den dritten Jack Taylor-Roman übersetzt (insgesamt sollen es vier sein, vorerst), und er verrät: „Am Anfang hat Jack ja nur gesoffen, aber jetzt kokst er auch.“
Wir werden hoffentlich nicht allzu lange darauf warten müssen.
Ken Bruen hat in diesen Tagen den Grand Prix de Littérature Policière gewonnen. Herzlichen Glückwunsch!
Frank Göhre
Ken Bruen: Jack Taylor fliegt raus (The Guards. 2001). Roman.
Deutsch von Harry Rowohlt.
Zürich: Atrium Verlag 2009. 302 Seiten. 16,00 Euro.