Geschrieben am 1. Mai 2010 von für Bücher, Crimemag

Kjell Eriksson: Rot wie Schnee

Wohin nur mit der Spannung?

Wohin nur mit der Spannung?, mag sich Kjell Eriksson gefragt haben, während er das Buch schrieb. Wohin nur mit all den aufregenden, bewegenden, berührenden Momenten und Ereignissen, die in seiner Geschichte stecken? Er hat eine radikale, eine konsequente Lösung gefunden. Kirsten Reimers reibt sich die Augen.

„Wohin nur mit der Spannung?“ Das mag sich der Autor beim Schreiben des Buches gefragt haben. Schließlich geht es in Rot wie Schnee um Drogen, um mächtige Kartelle, eiskalte Killer und hasserfüllte Rächer. Es geht um Jugendkriminalität und um die Gefahren, die im Dunkeln lauern. Mütter bangen um ihre Kinder, Kinder um ihre Eltern, Geschwister um ihre Brüder. Es geht um Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, die im schwedischen Uppsala, im Restaurant „Dakar“ aufeinandertreffen: in der Küche, an der Bar, an den Tischen. Menschen, die einander näherkommen, einander berühren, belügen, verletzen.

Wohin nur mit der Spannung, die aus der Konfrontation gegenläufiger Lebensentwürfe entsteht? Die aus entgegengesetzten Träumen entspringt? Die aufkommt, wenn selbstbewusste, ehrgeizige Menschen mit unterschiedlichen Zielen und unbedingtem Willen aufeinanderstoßen?

Wohin nur mit der intensiven Spannung? Schließlich geht es hier um Macht, Gewalt, Sex, Drogen, Essen, Liebe, Mord. Um unerfüllte Liebe, um missbrauchte Gefühle, um zarte Sehnsucht. Um bedrohte Unschuld und tiefe Verdorbenheit. Um die schnelle Gelegenheit zur kleinen Bereicherung, um lang geplante Verbrechen.

Vollkommen überraschungsfrei

Wohin nur mit der großen Spannung, mag sich der Autor beim Schreiben gefragt haben – und er hat eine radikale, eine konsequente und überraschende Lösung gefunden: weg damit! Raus mit der Spannung aus diesem Buch! Weg mit Lust und Leidenschaft, mit Ironie und Humor! Mit Leben! Weg, weg, weg! Lieber faltet Eriksson pastellfarbene Figürchen aus Papier und klebt ihnen kleine Charakter-Post-its auf (böse; naiv; gierig), die beim ersten Atemhauch davonflattern. Statt knisternde Spannung zwischen Menschen spürbar zu machen, lässt der Autor seine Figuren Dialoge führen, die starren vor staubtrockenem Gutmenschentum. Da raschelt noch nicht einmal Papier.

Eine ungewohnte, eine bestechende Lösung – und wahrhaft vollkommen überraschungsfrei.

Kirsten Reimers

Kjell Eriksson: Rot wie Schnee (Mannen från bergen, 2005).
Aus dem Schwedischen von Sigrid Engeler.
München: dtv 2009. 428 Seiten. 8,95 Euro.

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