Geschrieben am 19. April 2008 von für Bücher, Crimemag

Kyle Cassidy: Bewaffnetes Amerika

Keimfreier Waffenfetischismus

Warum das Gewaltmonopol des Staates ein extrem sinnvolles Prinzip ist, verdeutlich ein Blick in Kyle Cassidys Bildband „Bewaffnetes Amerika“. Von Thomas Wörtche

Ein zentrales Thema in Jan Philipp Reemtsmas kapitalem, neuen Buch Vertrauen und Gewalt ist die fatale Dialektik, derzufolge in der Moderne flächendeckende Gewaltaversion einerseits und extreme Gewalt andererseits anscheinend prächtig koexistieren können.
Besonders pointiert gilt dies für die USA, wo Ereignisse wie Columbine oder Littleton oder das tägliche kleine Massaker next door noch kein Beweis dafür sind, dass die ganze Nation nur aus gewalttätigen, sabbernden Irren mit unbegrenzter Liebe zu Schusswaffen besteht. Dennoch: Schusswaffen sind überall in den Staaten, sie taugen als Weihnachtsgeschenke für 6-jährige Kids genauso wie als Anlass für massive Geschichtsfälschungen, die das Recht auf Schusswaffenbesitz legitimieren sollen. Man lese dazu etwa das eminent lehrreiche Buch von Michael A. Bellesiles Arming America (leider nicht auf Deutsch erhältlich) oder blättere durch den Bildband Bewaffnetes Amerika von Kyle Cassidy.
Cassidy ist im Jahr 2006 mit seiner Kamera quer durch die USA gefahren und hat Menschen jedes Alters, jedes Geschlechts, jeglicher sozialer Schicht und jeder Ethnie in ihren (meist penibel und keimfrei herausgeputzten) Häusern oder Wohnungen fotografiert: mit Haustieren, Familien, Partnern oder alleine, aber immer mit den im Haushalt vorhandenen Pistolen, Revolvern, Pumpguns, Flinten, Maschinenpistolen, Scharfschützengewehren, Sportpistolen, Granatwerfern und noch erstaunlicheren Dingen. Kommentiert werden die Fotos mit knappen Statements der Porträtierten, die ihr Verhältnis zu Schusswaffen im Allgemeinen und im Besonderen zum Ausdruck bringen sollen.

Wie gruslig, rufen wir eher gewaltsensiblen und gewaltphobischen Europäer da aus, wenn wir Minderjährige, Halbdebile, anale Zwangscharaktere, tätowierten White Trash, Gangsta und angstzerpörte Spießer mit hocheffektivem Equipment hantieren sehen (wobei wir sicher sein können, dass mehr als die Hälfte mit dem Gerät nicht umgehen kann, so unegal, wie sie die Dinger in den Pfoten halten), mit dem bei uns gerade mal Spezialeinheiten von Armee und Polizei ausgestattet sind (wenn überhaupt). Halb- und vollautomatische Waffen, firepower für einen oder zwei Bürgerkriege und für faustgroße Löcher in Körpern allemal.
Und wie gruslig die Begründungen: „Mir fällt kein Grund ein, warum ich keine Waffe haben soll.“ „… dem Recht auf Selbstverteidigung und auf Widerstand gegen eine vielleicht unrechtmäßige Regierung“, „Ich habe dem Sozialismus lebenslange Feindschaft geschworen“ … und deliri, delira weiter fort. Auch wenn Cassidy ein paar wenige vernünftige Stimmen untermischt, unser alt-europäisches Entsetzen scheint mir nur allzu angebracht und richtig zu sein. Das Gewaltmonopol des Staates ist ein extrem sinnvolles Prinzip. Und diese Position ist nicht sissyhaft oder selbstgefällig, sondern vernünftig, zivilisatorisch und aufgeklärt. An diesen Werten haperts eben evidentermaßen in den USA, zumindest hinsichtlich Schusswaffen.

Und hier liegt auch das Problem des Fotobands von Cassidy. Natürlich ist er nicht der erste, der mit standardisierten und monothematischen Fotoreihen das Monströse im Normalen und das Normale im Monströsen sichtbar macht. Das hat nicht erst seit Diane Arbus gute Fototradition und ist auch im Kontext des amerikanischen Waffenfetischismus nicht originell. Die Fotografin Joan Barker etwa hat mit ihrer Schwarz-Weiß-Serie Portraits of people with guns das Makabre, das auch im amerikanischen Kontext Bizarre von Waffen und ihren dazu passenden oder eher unpassenden Trägern wesentlich präziser herausgearbeitet.
Cassidy dagegen will deutlich „objektiv“ und „gerecht“ sein und seine Waffenfreunde nicht denunzieren. Deswegen stellt er sie anscheinend nur zur Disposition und lässt die breite soziale Variabilität auf uns einwirken. Ohne Zweifel, innerhalb des Parameters gibt es potentiell Durchgeknallte, potentiell Gefährliche, potentiell Friedfertige, potentiell Vernünftige. Es ist alles dabei. Aber eben alle sind bis an die Zähne mit absolut tödlichen Instrumenten bewaffnet. Und das wird auch durch das demokratischste und vorurteilfreiste Arrangement nicht sinnvoller, vernünftiger oder normaler. Nur noch betrüblicher. Aber ob genau das zu zeigen die Intention von Cassidys schönen, bunten und heiteren Fotos ist? Interessant ist der Band aber allemal.

Thomas Wörtche

Kyle Cassidy: Bewaffnetes Amerika. Waffenbesitzer und ihr Zuhause im Portrait. (Armed America. Portraits of Gun Owners in Their Homes, 2007) Fotoband. Ins Deutsche von Nico Laubisch. Schwarzkopf & Schwarzkopf 2008.113 S. 19,90 Euro.