Geschrieben am 10. Januar 2009 von für Bücher, Crimemag

Lawrence Block: Der Keller-Zyklus

Kellers Greatest Hits

Keller, der nette Killer von nebenan, checkt nur sehr ungern in Hotels ein, in denen man nicht HBO empfangen kann – das spricht schon einmal sehr für ihn. Aber eine Menge anderer Dinge auch. Unsere pp Verlagslandschaft (re-)produziert lieber olle noir-Kamellen, statt grimmig-witziger Bücher. Vielleicht gar nicht so falsch, mein Michael Wuliger, Literatur-Redakteur der Jüdischen Allgemeinen (www.jüdische-allgemeine.de) und wundert sich höchstens über das milde Ende des kleinen Zyklus.

Killer kommen im Thriller meist schlecht weg. Das ist ein bisschen unfair. Ohne sie gäbe es das Genre schließlich nicht. Lawrence Block lässt den Tätern jetzt endlich Gerechtigkeit angedeihen. Der Held seines vier Bände umfassenden Zyklus’ „Kellers Greatest Hits“ ist ein Mörder. Und ein angenehmer Zeitgenosse dazu.

John Paul Keller ist kein psychopathischer Serientäter, der irgendwelche dunklen Triebe ausagiert. Auch kein vom Leben überforderter Kleinbürger, der ausrastet und um sich schlägt bzw. ballert. Ebenso wenig gehört er zu den Leuten, die andere umbringen, weil ihnen die Phantasie fehlt, auf, wenn nicht legale, dann doch wenigsten gewaltlose Weise, an deren Geld oder Sachwerte zu kommen. Keller tötet Menschen, weil das sein Beruf ist. Er ist Profikiller, englisch „Hit Man“, so auch der Titel des ersten Bands des Zyklus’.

Profikiller sind, glaubt man der Kriminologie, abnorme Charaktere, Soziopathen. Aber Lawrence Block erzählt in Hit Man, Hit List, Hit Parade und Hit and Run aus dem Alltag eines ganz normalen Manns in mittleren Jahren, der in seiner Eigentumswohnung in New York lebt, beim Chinesen oder Italiener isst, gelegentlich kurzzeitige Affären mit Frauen hat, die er im Central Park oder bei Vernissagen kennenlernt, und ansonsten seinem Hobby nachgeht, dem Briefmarkensammeln. Sein Job lässt ihm dafür ausreichend Muße. Von den Honoraren für fünf, sechs Aufträge im Jahr kann Keller anständig leben.

Der ganz normale Alltag

Diese Aufträge führen Keller durchs ganze Land: eine Kleinstadt im Mittleren Westen, eine Rentner-Luxussiedlung mit angeschlossenem Golfplatz in New Mexiko, die New Yorker Kunstszene in SoHo, die Major-League-Baseball-Tour. Ebenso divers sind die sozialen Milieus, aus denen seine Opfer kommen: Mal lässt ein Kleinunternehmer seinen Geschäftspartner erledigen, dann möchten Erben, etwas früher als von der Natur vorgesehen, an ihr Vermächtnis, oder Eheleute wollen ohne teure Unterhaltszahlungen neues Glück erleben. Der ganz normale amerikanische Alltag.

Seine Aufträge erledigt Keller, wie es sich für einen Profi gehört, stets mit Umsicht. Er analysiert das Problem und sucht dafür die rationellste Lösung. Selten setzt er dabei, wie man sich vielleicht vorstellt, wenn man zu viele Krimis gelesen hat, komplizierte High-Tech ein. Wozu ein teures (und viel zu auffälliges) Mannlicher-Gewehr mit computerisiertem Zielfernrohr benutzen, wenn es eine simple Drahtschlinge oder ein Brieföffner genauso gut tut? Ist der Job erledigt und bleibt ihm noch ein wenig Zeit, nutzt Keller gerne die Gelegenheit, vor Ort noch Briefmarkenhändler aufzusuchen, um seine Sammlung zu komplettieren. Danach kehrt er zurück nach New York und holt bei seiner Managerin Dot das Honorar ab.

Dot spielt in „Kellers Greatest Hits“ die tragende Nebenrolle. Die matronenhafte Endvierzigerin, die allein in einem Haus in einem Suburb in New Jersey wohnt, ist in Kellers Berufsleben für das Geschäftliche zuständig. Aber sie holt nicht nur die Aufträge herein und handelt die Honorare aus. Sie ist in Kellers Drama der griechische Chor, begleitet seine Erlebnisse, ob beruflich oder privat, mit wundervoll sarkastischen Kurzkommentaren, o­neliners, auf die Leno und Letterman neidisch sein könnten. Zu der subtilen Ironie von John Paul Kellers Reise durch das Amerika von heute liefert Dot die Punchlines.

Liebe?

Hit Man, Hit List, Hit Parade, die ersten drei Bände des Zyklus’, sind episodisch aufgebaut. Man kann die einzelnen Kapitel als abgeschlossene short stories lesen. Hit and Run, der im Sommer 2008 erschienene vierte Band, ist dagegen als Roman mit durchgehender Handlung konzipiert. Nicht nur deshalb ist er der schwächste Teil von „Keller Greatest Hits“. Denn der Autor beschert hier seinem Helden ein für dessen Charakter unpassendes Happy End, in dem Keller nicht nur die Liebe seines Lebens findet, sondern auch seinen erlernten Beruf aufgibt und auf Zimmermann umsattelt. Vielleicht ist Lawrence Block die Puste ausgegangen: Hit and Run liest sich jedenfalls wie ein Abschlussband. Danach werden wir wohl von John Paul Keller leider nichts mehr hören. Schade.

P.S. Auf Deutsch ist der Keller-Zyklus bisher noch nicht erschienen. Das ist vielleicht auch gut so, angesichts der ständig miserabler werdenden Qualität der Übersetzungen auf dem hiesigen Buchmarkt. Und soviel Englisch beherrscht der durchschnittlich gebildete Thrillerleser hoffentlich, um die ersten drei Bände dieses Höhepunkts der gegenwärtigen Spannungsliteratur im Original zu genießen. An absolute must!

Michael Wuliger

Lawrence Block: Hit Man. English. New York: Harper Torch 1999. 352 pages. $7.99.

Lawrence Block: Hit List.
English. New York: Harper Torch 2002. 348 pages. $7.99.

Lawrence Block: Hit Parade.
English. New York: Harper Torch 2007. 336 pages. $7.99.

Lawrence Block: Hit and Run.
English. William Morrow 2008. 304 pages. $24,95.