Geschrieben am 7. Mai 2011 von für Bücher, Crimemag

Lydia Cacho: Sklaverei

Sklaverei, Menschenhandel, Zwangsprostitution

– Mexiko gehört mehr und mehr zu den failing states. Das ist sogar schon beim Stern angekommen, Don Winslow hat die Entwicklung dahin geschildert, und Autoren wie Gabriel Trujillo Muñoz haben diesen Umstand schon immer zum Thema. Die totale Verrottung hat ihren deutlichsten Indikator in der Rolle der Warlords, der Narcotraficantes. Aber das Elend greift tiefer und ist globaler. Die mexikanische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Lydia Cacho, die Jürgen Neubauer jüngst für uns porträtiert hat, setzt beim Thema „Sexsklaverei“ ein, auch wenn ihr aktuelles Buch auf Deutsch nur „Sklaverei“ heißt.  Eine Besprechung von Friedemann Sprenger

Lydia Cacho

Ein wichtiges, mit Fakten und Zahlen gespicktes Werk ist Cachos Anklageschrift ohne Zweifel und ohne Diskussion. Dass Sklavenarbeit ein unendlich rentables Geschäft ist, Menschenhandel eine richtige Boom-Branche und die Männerwelt überall auf diesem Planeten willige, unterwürfige Sex-Objekte bevorzugt und dafür (möglichst wenig) zahlt, und dass all das von den Strukturen geliefert wird, die wir das Organisierte Verbrechen nennen, das ist traurig bekannt. Auch wenn solche geballten und konzentrierten Zustandsbeschreibungen wie Cachos Buch immer wieder wichtig sind. Denn „das breite Publikum“ möchte bekanntlich bad news nicht so gerne hören, zumal man sie entweder in die Exotik ferner Länder oder in die angebliche Exotik von „Milieus“ (Verbrecher-, Rotlicht-, etc.) verbannen möchte.  Cacho argumentiert ähnlich wie Misha Glenny und Moses Naim, dass die OK, die offizielle Politik und die offizielle Wirtschaft konstitutiv untrennbar verbunden sind und insofern das Problem inmitten unser aller Gesellschaften stattfindet. Nicht nur in failing Mexiko, in Kambodscha oder Birma, sondern überall dort, wo man Megaprofite machen kann. Sklaverei, insbesondere Sexsklaverei und Menschenhandel, versprechen wegen der ständig nachwachsenden und zunehmend verelendenden Ressource „Mensch“ die schönsten und fettesten Profite, die sofort wieder in andere Wirtschaftskreisläufe eingespeist werden können und politische Macht kaufen. Insoweit folgt Cacho den Erkenntnissen, die inzwischen unstrittig sind und pointiert sie.

Ärgerlich dabei ist, dass Cacho zum Beispiel dem guten Moses Naim eine Position unterstellt, die er gerade nicht hat: Naim hält „grenzübergreifende Zusammenarbeit der mächtigsten Verbrechersyndikate“ keinesfalls „für Hirngespinste von Krimiautoren“, au contraire – das Lektorat hätte einen solchen Klops nicht zulassen dürfen.

Ungeschick

Aber es ist leider ein typischer Klops, denn Lydia Cacho polemisiert unnützerweise und redundant gegen „die ´68er“, gegen Menschen, die Prostitution nicht moralisch verdammen, sondern sogar als freiwillige Option von Frauen betrachten. Sie wütet gegen „Feminismus“, gegen den Terminus „Sexarbeit“ und gegen Akademia, wo sie anscheinend nur krude, lebensferne, gar bösartige Theorien vermutet (cf. S.191ff). Solche, von ihr selbst als Horrorszenarien aufgebaute Argumentationen und Positionen dienten, so meint sie allen Ernstes, zur Legitimation von Sexsklaverei, Vergewaltigung und exzessiver Ausplünderung.

Cachos Furor bezieht sich dabei ausdrücklich NICHT nur auf die Situation von Frauen in armen Drittweltländern, sondern ist durchaus global gemeint.  Und damit nimmt sie ein wenig Sprengkraft aus dem Buch, weil sie sich ohne Not angreifbar macht und einen „Gegendiskurs“ auf einem sekundären, nämlich einem theoretischen Schauplatz eröffnet. Doppelt unnütz, weil die von Cacho gegeißelten Positionen kaum wirkmächtig in seriösen Diskursen vorkommen.

Ähnlich ungeschickt ist Cachos Verwendung des Wortes „Mafia“, wenn sie Organisiertes Verbrechen meint. Sogar im Glossar verteidigt sie diese Begrifflichkeit, weil „Mafia“ für alle traditionellen ethnischen Strukturen (Yakuza, Triaden, N´Dranghetta etc.) benutzt werden könnte. Damit ist allerdings „Mafia“ dann endgültig wieder keine Art des Verhaltens, das jede Sorte von Institution (Behörden, Staaten. Konzerne, Banken und deren Zusammenspielt) auszeichnet, sondern lediglich eine Gruppe von „Verbrechern“, unterscheidbar, definierbar, ausschaltbar. Aber eben all das – Identifizieren, Ausschalten, Eliminieren von „Mafia“ –, Lydia Cacho weiß es selbst am besten, sind leider keine realistische Möglichkeiten.

Heiße Nadel

Irgendwie erscheint mir das ganze Buch, so unterstützenswert und relevant es ist, ein wenig zusammengestoppelt und unausgegoren. Sexsklaverei ist sicher ihr (auch biografisch bedingtes) Hauptanliegen, aber wie sieht es mit Arbeitssklaven aus? Mit der globalen Lohnpolitik? Mit Menschenhandel als profitgeneriendes Gewerbe an sich? Mit Elendsmigration? Stattdessen gibt es Kapitel zur Soldateska, zur „moralischen Empörung“, die keine wesentlich neuen Erkenntsnisse bieten, und zu Kulturen, Japan zum Beispiel, in denen Lydia Cacho sich deutlich nicht gut genug auskennt, um über die üblichen Illustrierten-Reportagen hinaus neue Aspekte zu finden.

Eine wirklich analytische oder wirksam polemische Annäherung an ein sehr unschönes Thema wäre mir lieber gewesen.

Friedemann Sprenger

Lydia Cacho: Sklaverei. Im Innern des Milliardengeschäfts Menschenhandel. (Escalvas del poder. Un viaje al corazón de la trata sexual de mujeres y niñas en el mundo, 2010). Deutsch von Jürgen Neubauer. Mit einem Vorwort von Carolin Emcke. Frankfurt am Main: S. Fischer 2011. 352 Seiten. 19,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Webseite von Lydia Cacho