Geschrieben am 6. August 2011 von für Bücher, Crimemag

Malla Nunn: Lass die Toten ruhen

Südafrika und der freie Westen

– Wenn man nicht aufpasst, prägen die grobmotorischen Blut-und-Modderschocker von Roger Smith das Bild der südafrikanischen Kriminalliteratur. Nichts abwegiger als das – gibt es doch Malla Nunn. Thomas Wörtche hat ihren aktuellen Roman gelesen …

Die Fußball-WM ist vorbei, der Alltag hat Südafrika wieder, der literarische Hype ist durch – man braucht kein Prophet sein, um das vorauszusehen. Ein Jahr nach dem Getöse muss man glücklicherweise Romane vom Kap nicht mehr benevolent einordnen, sie loben, weil sie, angeblich überraschenderweise, aus einer Ecke kommen, in der Leute, die auch sonst in Schubladen denken, sie nie vermutet hätten. Man muss auch nicht mehr schreiben: „Für einen Kriminalroman aus Südafrika sehr gelungen“ – kurz: Der Artenschutz ist abgelaufen, die Romane müssen sich behaupten. Roger Smith greift zu schlichten, aber grobschlächtigen Mitteln, Deon Meyer bleibt bei seiner Linie. Malla Nunn, deren Erstling „Ein schöner Ort zu sterben“ (hier bei cultmag) zwar perfekt in die Kalküle des internationalen Buchmarktes – historisch-exotisches Setting, plus Kriminalhandlung – passte, setzt auf hochauflösende Literatur.

Malla Nunn

Malla Nunn

Ostküsten Blues

Mit dem ersten Buch hatte sie wegen der sorgfältigen Prosa, der intellektuellen Schärfe und dem nicht nur exotisch, sondern wirklich ungewöhnlichen Schauplatz und Zeitpunkt der Handlung – die Ostküste Südafrikas 1952 – Aufsehen erregt. Kontextuell günstig kam noch dazu, dass Malla Nunn im Ensemble weißer südafrikanischer Kriminalautoren als schwarze Frau einen unbestreitbaren Aufmerksamkeitsbonus bekommen hatte. Das ist nichts Schlimmes, sondern macht es nur ein wenig schwerer, nach dem Verblassen solcher im WM-Jahr buchmarkttechnisch willkommenen, aber letztendlich unverbindlichen Sympathiewerte, unter „normalen“ Konkurrenzbedingungen weiterzumachen.

„Lass die Toten ruhen“, Malla Nunns zweiter Roman, erfüllt ebenfalls die Kalküle des internationalen Buchmarktes. Ihre Hauptfigur, Detektive Sergeant Emmanuel Cooper, spielt wieder mit, zwei weitere Figuren aus dem ersten Roman (der jüdische deutsche Arzt Zweigmann und der Zulu-Constable Shabalala) ergänzen den Solisten zum Trio, und alle Anlagen für eine ganze Serie sind ebenfalls vorhanden. Der Seriencharakter ist wichtig, Einzelstücke, sog. stand-alones, gelten im Bereich der Crime Fiction mittlerweile (oder zur Zeit, auch das wird sich geben) verlegerisch als „schwierig“.

Malla Nunn lässt also ihren Helden erst einmal abstürzen. Er hatte sich im ersten Buch mit dem zunehmend mächtiger werdenden südafrikanischen Geheimdienst, der Security Branch, angelegt und konnte sein Leben nur retten, indem er aus dem Polizeidienst ausgeschieden war und „rassisch“ zurückgestuft wurde, auf „nicht weiß“. Aber seine Qualitäten als nicht korrupter, fachlich ausgezeichneter Polizist sind kostbar genug – Cooper wird zunächst klandestin, dann wieder offen von einer bestimmten Fraktion der Polizei angeheuert und wieder zum „Weißen“ ernannt, um anderen Polizeiformationen und Geheimdiensten auf die Finger zu schauen und zu hauen.

Weltpolitik & Apartheid

Und wieder baut Nunn eine überraschende Volte ein: „Lass die Toten ruhen“ ist plötzlich keine Cop Novel über Durban mehr (was an sich schon spannend wäre, weil – wie eine Figur einmal bemerkt – die mächtigste Verbrecherorganisation in Südafrika die Polizei ist), sondern verschiebt den Fokus auf einen größeren historischen Kontext: 1953, mitten im Kalten Krieg, ist Südafrika auch Teil des „freien Westens“ im Kampf gegen den weltweiten Kommunismus. Und selbstverständlich arbeiten alle westlichen Geheimdienste kollegial und vertrauensvoll mit den südafrikanischen Kollegen zusammen. Sgt. Cooper steckt plötzlich in einer hochkomplexen Situation, die aus einer Cop Novel einen waschechten, handfesten Polit-Thriller macht. Indische Gangster und rassistische Prügelbullen sind dann symptomatisch für die Zustände einer Welt, die wegen des ganz großen Konflikts die „kleineren“ Schweinereien zu Nebensachen erklärt. Aber die Menschen leider eher am Konkreten, an der Willkür, an der Gewalt, die sich in jede Lebenswirklichkeit durchschlägt.

So gesehen ist es Malla Nunn hervorragend gelungen, Marktkalküle zwar zu bedienen, sie aber gleichzeitig für ihre Intentionen zu nutzen. Ihr Apartheids-Südafrika ist keine lediglich peinliche, letztlich isolierte Geschmacklosigkeit auf dem Schwarzen Kontinent, sondern in das System der Welt, wie sie damals war und wie sie in Konsequenz dessen heute ist, logischerweise und bestens integriert. Das ist bitter auf den Punkt gebracht, hochintelligent gemacht und auch noch blendend erzählt. Und wir können Malla Nunn getrost aus der Kategorie der Hype-Autoren herausnehmen und zum Grundbestand der globalen Literatur hinzufügen.

Thomas Wörtche

Malla Nunn: Lass die Toten ruhen. (Let the Dead Lie, 2010). Roman. Deutsch von Armin Gontermann. Berlin: Rütten & Loening 2011. 383 Seiten. 19,95 Euro.
Verlagsinformationen zum Buch

Malla Nunn auf der KrimiZeit-Bestenliste
Und beim WELTEMPFÄNGER

Eine andere Version dieses Textes ist in unserem Partner-Medium „Literaturnachrichten“ N° 109/2011 erschienen.