Weißwürste und Lasterhöhlen
– 1969 erschien „The Godfather“, ein Megaseller von einem Autor, von dem bislang nur ein paar Spezialisten gehört hatten: Mario Puzo. Unter dem Namen Mario Cleri schrieb er mit „Sechs Gräber bis München“ eine Art Urururahn-Roman zu den „Inglorious Basterds“. Thomas Wörtche hat sich blendend amüsiert …
„Five Graves to Cairo“ hieß Billy Wilders grandioser Afrika/Rommel-Kriegsfilm von 1943. 1968 legte der damals noch nicht sehr bekannte Mario Puzo unter dem noch unbekannteren Pseudonym Mario Cleri dann noch ein Grab drauf, spekulierte mit dem Hingucker auf das kommunikative Potenzial des Filmes und knallte einen kleinen, fiesen, schäbigen B-Thriller aufs Papier.
Es geht um den Rachefeldzug des ehemaligen OSS-Agenten Michael Rogan, der seine Nazi-Peiniger im Nachkriegseuropa Mann für Mann erledigt. Sechs böse Nazis – vier Deutsche, ein Italiener, ein Ungar – hatten ihn gefoltert und dann mit Genickschuss entsorgt. Aber Rogan war nicht tot, konnte entkommen, wurde in Amerika reich und kehrt jetzt ins Wirtschaftswunderland zurück, verbündet sich mit einer bekloppten, aber netten Hure und dann räumt er auf.

Cover der Originalausgabe

Cover der Originalausgabe
Die drallen Bürste bebten
Das ist so trashig, wie es sich anhört. Es ist teilweise grandios schlecht geschrieben („Die drallen Brüste, die fast aus der tief ausgeschnittenen Bluse herausquollen, bebten im Rhythmus ihres raschen Atems …“) und überrascht mit wunderbaren Fantasie-Miniaturen aus dem deutschen Alltagsleben. Vor allem aus Berlin, dem „Labyrinth mit den abscheulichsten Lasterhöhlen, die man im Nachkriegseuropa überhaupt finden konnte“ und wo man „Champagner (mit) kleine(n) dicke(n) Würsten von riesigen Tellern mit den Fingern“ verzehrt, die man „am Tischtuch abwischt“. Ja, so ging’s ab, damals in good old Germany. In München frisst man gar so viele Weißwürste und kneift dazu „feiste Kellnerinnen“ in den Hintern, bis man sich in „riesige weiße Kotzbecken“ erbrechen muss.
Das immerhin ist schon eine erfreulich übellaunige Beschreibung eines ziemlich fett gewordenen Westdeutschlands. Auch die politischen Allianzen und Ranküne sind unappetitlich geworden, der Kalte Krieg hat jede Moralvorstellung über Bord gespült, die sich versehentlich noch nach dem Zweiten Weltkrieg hat halten können. Deswegen wird auch dem guten Rogan sein Rachefeldzug immer problematischer, but a man has to do, what a man has to do. Und das macht er dann auch – robust und gespickt mit allerlei sophistischen Reden und schwer grüblerischen Gedanken über Grausamkeit, Menschlichkeit, Unmenschlichkeit, Klischee und Realitäten.
Das Ungeschlachte
Trotz aller Ungeschlachtheit, aller Absurdität und Bizarrie der beschriebenen Umstände (man darf bezweifeln, dass sich Puzo mit längeren Recherchen über seine Schauplätze aufgehalten hat, warum auch?), trifft der kleine Roman ein paar empfindliche Punkte. Die Kontinuität der deutschen „Eliten“ vom Dritten Reich bis ins Wirtschaftswunder; die bräsige, selbstzufriedende Atmosphäre jener Jahre, die bis zur Brachialität steigerbare Wut, die ein Opfer der Nazis packen kann, die Glattzüngigkeit der Täter, die Brutalität von Heuchelei und Verrat. Man spürt die Pranke des „Godfather“-Autors, der diese Fingerübungen für sein Epos gut brauchen konnte.
Auch sehen kann man natürlich, dass aus Mario Cleri selbst als Mario Puzo nimmermehr ein Feinmotoriker eleganter Narrativik werden würde. Aber das hat ja dann bekanntlich Francis Ford Coppola für ihn erledigt.
Anyway, schön, dass man sich mit „Sechs Gräber bis München“ jetzt auch bei uns vergnügen kann.
Thomas Wörtche
Mario Puzo alias Mario Cleri: Sechs Gräber bis München (Six Graves to Munich, 1968). Roman. Deutsch von Joachim Körber. Bellheim: kuk/Edition Phantasia. 196 Seiten. 19,00 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mario Puzo Homepage. Puzo bei kaliber38.