Biolumineszende Luder
Weihnachten ist das Fest der Liebe … auch im Tierreich. Oder nicht? Thomas Wörtche hat das Buch Im Fadenkreuz des Schützenfisches von Markus Bennemann studiert, das laut Untertitel über „Die raffiniertesten Morde im Tierreich“ unterrichtet. Ganz schlimm, die Viecher …
Kriminalliteratur-artiges wird zunehmend zur Metapher. „Mord“ und „Totschlag“ – Kategorien, die nur im Zusammenhang mit homo sapiens sinnvoll sind – werden zu Verständigungskürzeln. Zu kommunikativen Vehikeln, zu Erzähl- und Erklärungsmustern auch für Sachverhalte, die damit eigentlich – streng logisch – gar nichts zu tun haben. Ein Buch über mörderische Tiere also verspricht blutrünstige Kurzweil – nicht, weil Tiere „morden“, das tun sie nicht, sondern weil Tiere tun, was Tiere tun. Sie beschaffen sich Nahrung, in dem sie, wenn sie keine Vegetarier sind, sich ihr Essen jagen, fangen und töten. Morde, gar sehr unterhaltsame und lustige Morde werden daraus nur durch die Launigkeit, mit der derlei Aktivitäten beschrieben werden.
„Der Hai hämmerte den rautenförmigen flachen Fisch praktisch von oben in den Sand hinein, pinnte das sich windende Tier dann mit seinem Kopf auf dem Boden fest, drehte sich um seine eigene Achse und riss dabei dem Rochen ein großes Stück Fleisch aus seiner eigenen flügelartigen Flossen. Nachdem der Rochen sich noch einige Meter weitergeschleppt hatte, stieß ihn der Hai ein weiteres Mal mit dem Kopf zu Boden, riss einen weiteren Bissen aus ihm heraus …“ … usw. Jeder blödsinnige Serialkiller wäre entzückt ob einer solchen Orgie von wilder, blutiger Gewalt …
Der Sternmull, auch sehr tödlich …
Der Journalist und Biologe Markus Bennemann bereitet mit dem größten narrativen Vergnügen das Tötungsverhalten netter (Glühwürmchen) und weniger netter (Sternmull) Viecher auf – besonders wenn diese Jagdmethoden mit Verstellung, Mimikry, Täuschung und mit als besonders grausam empfundenen Verfahren einhergehen. Komisch ist da sowieso vieles: Bären, die sich als Schneebälle tarnen, um an flinke Hirsche heranzukommen, biolumineszende Herzchen – erschröcklich anzuschauen –, die ihren Opfern schöne Lightshows vorgaukeln, Giftspritzen (Tigernatter) und Brutalos (Buckelwale) aller Couleur, gar hypnotisierende Kopffüßler, die sich mit absurd anmutenden Techniken an ihren Opfer gütlich tun. Streng anthropozentrisch gesehen, natürlich.
Bennemanns Buch basiert auf harten Erkenntnissen der Naturwissenschaften, nix, was einen gestanden Zoologen, Verhaltensforscher oder Lebensmittelchemiker schockieren könnte. Shocking, bizarr, witzig und nicht zuletzt gnadenlos unterhaltsam und für jedermann genießbar (jugendfrei allemal, die Kids haben ja schon lange in ihren Computerspielen ganz andere Nummern mit Menschen angerichtet) wird alles das natürlich nur wegen der Mord-Metapher. Töten an sich ist langweilig, morden im Moment sehr beliebt. Fiktional und metaphorisch betrachtet.
Deswegen sind die mörderischen Tiere von Bennemann lehrreich und didaktisch clever – und ansonsten ein klein wenig ambigue. Aber nur ein ganz klein wenig, denn an Töten, Morden und Killen als metaphorisch narrative Strategie und Explikationsmuster haben wir uns schon längst gewöhnt. Hier wird das Prinzip nur besonders deutlich. Weil es eben auch besonders fröhlich dargeboten wird.
Und wer sich dazu den passenden Soundtrack einpfeifen will – here we go: Von Hanns Zischler mit netten Zwischentexten versehen, gibt es eine Enzyklopädie der Tierstimmen auf CD, die der Biologe Cord Riechelmann zusammengestellt hat. 3 von 6 CDs sind erschienen, und wer wissen will, wie sich das ganze mörderische Viehzeug von Bennemann (siehe oben) anhört, wenn es aus Europa, Asien und Afrika kommt – voilà, hier wird man fündig. Und wo nicht, kann man sich an akustischen Gemmen wie den Stoßlauten des Weißschwanzstachelschweins, den Erregungsrufen des Wanderu (ach, schlagen Sie doch selbst nach) oder den Kopulationslauten der Vierzehen-Landschildkröte (allerliebst) erfreuen. Das ist absolut grandios, und mit einer lauten Stereoanlage kann man echt die Nachbarschaft ein bisschen pädagogisch wertvoll aufmischen. Die Mordgeschichte dazu denken sich die Leut’ dann schnell selbst aus …
Thomas Wörtche
Markus Bennemann: Im Fadenkreuz des Schützenfisches. Die raffiniertesten Morde im Tierreich. Frankfurt am Main: Eichborn 2008. 256 Seiten, 19,95 Euro
Die Stimmen den Tiere. Europa. Afrika. Asien. Hrsg. von Cord Riechelmann mit Zwischentexten von Hanns Zischler. Zürich: Kein & Aber Records 2008. 3CDs. 66/73/74 Min. 14,90 Euro je CD.