Das Geräusch zerbrechender Seelen
Michael Robothams Romane liefern Action und Thrill am Fließband. Aber beileibe keine Fließbandprosa. Wie man das brillant machen kann, beschreibt uns Henrike Heiland …
Die englische Schriftstellerin Susan Hill riet einst auf der Homepage ihres Verlags Long Barn Books den Nachwuchsautoren, die ihre knackfrischen Manuskripte bei der „First Novel Competition“ einreichen wollten: „If it is written in the first person narrative present tense […] we will be most unlikely to read it. This tense is the mark of the amateur and is the most irritating tense of all to read. Too many students of Creative Writing classes use it and it is an immediate no-no for us – and indeed for many agents and publishers.”
Dieser Tage findet man diesen Hinweis nicht mehr auf der Seite von Long Barn Books. Aber da gibt es im Moment auch keine neuen Bücher, und die „First Novel Competition“ scheint auf Eis gelegt.
Was es dafür aber dieser Tage gibt, ist ein Buch in dieser nervtötenden, amateurhaften Schreibweise der ersten Person Singular Präsens, das große Erfolge feiert. Es ist die Ausnahme der sonst so häufig greifenden Hill‘schen Regel: Michael Robothams Dein Wille geschehe entwickelt eine überwältigende Sogwirkung vom ersten Satz an. Er hält das Spannungsniveau außerdem bis zur letzten Seite. Wie schon bei den drei Vorgängern.
Der Psychologieprofessor Joe O’Loughlin soll einen Selbstmörder davon abhalten zu springen. Wer Robothams Krimidebüt Adrenalin kennt, dem kommt dies durchaus vertraut vor. Diesmal aber lebt O’Loughlin in Bath, diesmal ist es eine Frau, einzig mit teuren, roten Pumps bekleidet, die sich von der Clifton Suspension Bridge stürzen will – und diesmal wird er sie nicht davon abhalten können. Statt auf den Psychologen und seine Bemühungen zu reagieren, sie von ihrem Vorhaben abzuhalten, steht sie zitternd vor Angst und Kälte und Regen auf dem Geländer der Brücke. Mit Lippenstift steht das Wort „Hure“ auf ihrem Bauch. Sie telefoniert mit ihrem Handy, als hinge ihr Leben an dem, was ihr am Telefon gesagt wird. Tut es ja auch. Sie springt.
Macht über Menschen
Nur wenige Tage später findet die Polizei die Freundin der Toten nackt und an einen Baum gefesselt in einem Park. Sie ist erfroren. Zu ihren Füßen liegt ein Handy. Mit wem die Frauen telefoniert haben, lässt sich nicht feststellen. Aber eins ist klar: Derjenige befahl ihnen zu sterben, und sie fügten sich widerspruchslos seinem Willen.
Es ist nun an Joe O’Loughlin herauszufinden, wer es geschafft hat, die Frauen so vollständig unter seine Kontrolle zu bringen, ihren Willen zu brechen und ihren Tod zu befehlen. Der Schlüssel dazu sind ihre Kinder: Zwar waren diese nie in Gefahr, aber offenbar glaubten ihre Mütter, sie befänden sich in der Gewalt eines Entführers. Und sie waren bereit, alles zu tun, um ihre Kinder vor Schmerz und Leid zu retten. Die Gedanken des Täters unterbrechen Joe O’Loughlins Erzählung immer wieder und dadurch zeigt sich, wie nah er dem Geschehen in jeder Minute ist: Er sieht seinen Opfern beim Sterben zu. Und bleibt dabei unerkannt.
O’Loughlin kennt man aus Adrenalin als unzuverlässigen Erzähler, der nur zögerlich mit der Wahrheit herausrückt und gerne mal etwas für sich behält. In Dein Wille geschehe ist der mittlerweile von seiner Parkinson-Erkrankung deutlich gezeichnete Psychologe weit offener und ehrlicher, und dadurch auch verletzlicher. Die Liebe zu seiner Frau und seinen zwei Töchtern macht ihn angreifbar, man könnte auch sagen schwach, und ausgerechnet seine wundervolle Ehefrau entgleitet ihm mehr, als er ertragen – und vielleicht auch verantworten – kann.
In diesem vierten Thriller von dem Australier Michael Robotham steht die Macht über andere Menschen im Mittelpunkt. Der Täter wartet auf den Moment, in dem seine Opfer keine Hoffnung, kein Sehnen, keinen Glauben und keinen Stolz mehr haben. Dieser Moment soll ihm allein gehören. Er will das Geräusch hören, mit dem die Seele zerbricht. Einzig, wer selbst Kinder hat, wird verstehen können, warum seine Opfer innerhalb weniger Stunden sich aller Dinge berauben lassen, von der Würde bis zum Verstand, um dann ferngesteuert in den Tod zu gehen.
Ein eindrucksvolles Psychodrama hat Michael Robotham hier beschrieben, mit greifbaren Charakteren und packenden Szenen. Besonders anzumerken ist die wirklich hervorragende Sprache, die durch die anständige Übersetzung von Kristian Lutze nicht im Mindesten leidet. Erste Person Singular im Präsens richtig gut zu machen, das ist nämlich verdammt schwer und gar nicht amateurhaft, wenn man mal so drüber nachdenkt.
Henrike Heiland
Michael Robotham: Dein Wille geschehe. (Shatter, 2008) Roman.
Aus dem Englischen von Kristian Lutze.
München: Goldmann 2009. 567 Seiten. 19,95 Euro.