Bildgeschichten voller Wucht und ästhetischer Qualität
José Muñoz (Bild) und Carlos Sampayo (Text), die beiden Argentinier aus Buenos Aires mit Wohnsitz in Italien resp. Spanien, gehören zu den grossen Konzept-Künstlern des Comics, die endgültig die Auseinanderdividierbarkeit von Bild und Text in dieser Kunst beendet haben. Von Thomas Wörtche
Wir mussten allerdings sechs lange Jahre warten, bevor wir einen neuen Story-Zyklus um den Privatdetektiv Alack Sinner und seine synästhetischen Abenteuer auf deutsch lesen dürfen (der zweite Band, „Alack Sinner, Privatdetektiv“ war 1995 erschienen, tempus fugit). Auch hier, wie in allen Alben-Zusammenstellungen, datieren einzelne Episoden weit in die frühen 80er Jahre des letzten Jahrtausends zurück.
Damals war das Konzept der beiden Porteños noch überraschender, noch sensationeller, als es heute erscheinen mag. Aber von der Wucht, von der schieren ästhetischen Qualität haben die Bildgeschichten (im wahrsten Sinn des Wortes) nichts, aber auch gar nichts verloren. Alack Sinner, der Ahasver der graphic novel, bewegt sich auch diesmal in seinem gewohnten Dschungel aus schwarz-weißen Flächen, die von Georg Grosz, Otto Dix, der Harlem Renaissance, des Black-Dada-Surrealism, Alberto Breccia, Dashiell Hammett, dem Jazz und der musica latina so ziemlich alle urbanen Kontexte zitieren und anspielen. Aber er bewegt sich in seinem Leben zurück – zu seinem Vater, zu seiner Tochter und durch seine eigenen Abenteuer. So wie die Graphik und die Erzählpartikel, die extrem mitdenkende und kreative Lektüre erfordern, in einem synkopierten Verhältnis stehen und sich oft auch dementieren, so rätselhaft sind die Begegnungen, die Sinner erlebt. „Begegnungen“ ist ein Album zum ständigen Zurückblättern, zur Spurensuche, ob man nicht einen wichtigen Texthinweis oder eine Bildparallele, zwei oder drei analoge Panels oder identische Gesichter übersehen hat.
Was hat es mit dem merkwürdigen Fremden auf sich, der auf einer einsamen Landstraße mit einer Pistole hantiert ? Was soll die Anspielung auf den Vampir von Düsseldorf ? Und was hat Frank Sinatra in dieser Geschichte zu suchen, gehört er nicht in den dritten Teil von „Perramus“ aus den Federn von Alberto Breccia und dessen Texter Juan Sasturaín ?
Natürlich pfeifen Muñoz und Sampayo auf konventionelle Auflösungen, auf glatte Fügungen, die im Leben eines so disparaten Charakters wie Alack Sinner auch nichts zu suchen hätten. Aber genau das ist der Punkt: Alack Sinner begleitet uns nun seit drei Dekaden durch die Welt der Bilder, der Assoziationen und der eher dunklen Emotionen, durch die multimediale Welt des noir. Er versucht immer noch, die Zeichen, die Ikonen, die festen Darstellungsregeln zu einem konsistenten Sinn zu fügen. Das gelingt ihm auch mit seinem Ausflug in die Vergangenheit nicht, obwohl Muñoz und Sampayo alles tun, uns zu versichern, dass es irgendwo einen brauchbaren Zusammenhang geben muss. Derek Raymond hatte am Ende seines Lebens überall einen „subterranean stream of consciousness“ des noir vermutet. Den vermuten die beiden Argentinier wahrscheinlich auch, aber auch ihnen fällt es schwer, ihn konkret festzumachen. Das hinzukriegen wird uns alle noch Jahrzehnte beschäftigen.
Thomas Wörtche
Von den selben Autoren in der Edition Moderne:
Billie Holiday, ISBN 3-907010-54-X 64 Seiten, s/w, Hardcoverr
Alack Sinner: Viet Blues, ISBN 3-907010-42-6 160 Seiten, s/w, Hardcover.
Alack Sinner, Privatdedektiv, ISBN 3-907010-85-X 136 Seiten, s/w, Hardcover.
Alack Sinner im Pack! Alack Sinner Trilogie, ISBN 3-907055-51-9 3 Bücher, 120 Seiten, s/w, 22 x 31cm, Hardcover.