Geschrieben am 15. Dezember 2009 von für Bücher, Crimemag

Nelson DeMille: Das Vermächtnis

Wann explodiert die Gewalt?

Nelson DeMille hat viele, viele Leser. Aber vermutlich eher stille Verehrer, denn sein Name wird selten genannt, wenn es ums elegante, witzige und sehr robuste Erzählen aus dem Hier und Jetzt geht. Ein Plädoyer für Nelson DeMille von Thomas Wörtche

Juni 2002. John Gotti, der letzte wirklich berühmte capo de tutti capi, der „Pate“ der Cosa Nostra, stirbt im Gefängnis, die Diadochenkämpfe drohen auszubrechen.

Long Island. In diesem Juni kommt nach zehn Jahren Abwesenheit der Anwalt John Sutter zurück. Seine Ex-Gattin hatte damals einen Mafia-Granden, mit dem sie ein ehebrecherisches Verhältnis hatte, erschossen. Dieses Personal und die entsprechenden Vorkommnisse kennen DeMille-Leser aus The Gold Coast von 1990, aber man muss diesen Vorläufer-Roman nicht unbedingt kennen, um diesen hier zu verstehen. (Schaden kann es nicht, aber man könnte sich zum Beispiel auch die sog. Ryker-Romane antiquarisch beschaffen. Sechs hundsgemeine, wunderbar widerwärtige Trash-Teile, die DeMille als John Cannon einst verbrochen hatte. Cooles Zeug.)

Plutokraten unter sich

Anyway, Sutter und seine Ex-Gattin Susan, die für diesen Mord nie verurteilte reiche Erbin einer Plutokraten-Sippe, vertragen sich wieder. Eine glückliche Wiedervereinigung und abermalige Heirat wären durchaus möglich. Wenn nicht der Sohn des damals ermordeten Mafiosos Rache an der Mörderin seines Vaters nehmen müßte, um im Machtpoker der Gotti-Nachfolge gute Karten zu haben. Und wenn nicht die reichen Eltern von Susan Stanhope einen unüberwindlichen Widerwillen gegen ihren Schwiegersohn in spe hätten.

Das ist die grob vereinfachte Grundkonstellation eines 860 Seiten dicken Epos, dessen erzählte Handlungszeit nur knapp eine Woche umfasst: Das Vermächtnis.

Nelson DeMille, ein bei uns sträflich unterschätzter amerikanischer Erzähler, bringt es fertig, dieses Mammut- und Breitleinwandformat elegant und extrem kurzweilig zu füllen. Natürlich läßt er sich Zeit mit seinen Figuren und seinen Familienszenen. Er beobachtet genau, wie das „Alte Geld“ tickt – die Stanhopes und die Sutters (die direkt von Walt Whitman abstammen) sind die fiktiven Ausgaben der Vanderbilts, der Morgans, der Woolworth und wie sie alle heißen mögen.

Diese Familien stehen für die USA des großen Gelds, über die DeMille sagt: Alles mag sich ändern, aber diese Strukturen nicht. Sie verkehren unter Ausschluss der sozialen Realitäten in ihren Country Clubs, in denen man nicht einmal Jesus Christus zugelassen hätte, der schließlich „Halbjude“ war.

Und da ist das „Neue Geld“. Das Organisierte Verbrechen, das flüssig genug ist, um sich in diese exklusive Gegend für Abermillionen von Dollar einzukaufen. Und reiche Nabobs aus dem Orient, die allerdings die Sicherheitslage auf Long Island noch prekärer machen.

The Gold Coast

Sie alle seziert DeMille mit den Mitteln des klassischen Gesellschaftsromans à la F. Scott Fitzgerald, dessen Der große Gatsby nicht zufällig auch auf Long Island spielt. DeMille jedoch baut zusätzlich zu diesem sozialen Panorama meisterlich über die lange Distanz des Romans die Frage auf: ob, wann, wo und wie die Gewalt explodieren wird, die von den ersten Seiten des Buches an über der Szenerie dräut.

Ganz besonders glücklich aber ist der Umstand, dass DeMille grandiose Dialoge schreibt. Die Wortgefechte, mit denen sich die beiden Hauptfiguren, John Sutter und Susan Sutter, geborene Stanhope, beharken, die coole Bosheit von John Sutters Mundwerk, wenn er gegen seine bösen (und urkomisch gezeichneten) Schwiegereltern, den Mafioso Anthony (eine Art trotteliger und brutaler Verwandter von Tony Soprano) anredet und sich in der Kunst der maliziösen Beleidigung ergeht – dieser Wort- und Dialogwitz (schön übersetzt von Georg Schmidt) erinnert nicht nur an die mondäne Bosheit von Dorothy Parkers Bonmots, sondern bezieht sich direkt auf Nick & Nora Charles, das trinkfeste und eloquente Pärchen aus Dashiell Hammetts The Thin Man. Denn wie bei Hammett gehen in DeMilles Roman Kriminalliteratur, Gesellschaftsroman, hochartifizielle Komödie und grimmige Ausblicke auf unschöne Realitäten prächtig zusammen.
Das Vermächtnis ist ein Roman, dessen analytische Schärfe, dessen Spott und satirische Kraft aus Figuren Menschen macht, deren Trachten und Treiben plausibel und nachvollziehbar sind. Ein Roman über reiche und arme reiche Leute. Und nebenbei ein sehr schöner Liebesroman mit Mord.

Thomas Wörtche

Nelson DeMille: Das Vermächtnis. (The Gate House, 2008). Roman.
Deutsch von Georg Schmidt.
Hamburg: Hoffmann & Campe 2009. 862 Seiten. 24,00 Euro.