Geschrieben am 12. Dezember 2009 von für Bücher, Crimemag

Raffi Yessayan: Blutbad

Dünnblütiges Blutbad

Zuerst scheint es ja eher konventionell zu werden: Klar, ohne echte Serienmörder geht es heutzutage kaum noch (diesmal ist es einer, der seine Leichen in der Badewanne ausbluten und dann verschwinden lässt – aber wohin?). Die Ermittler sind entsprechend gestresst (was nicht zuletzt – und wie gehabt – ihr Privatleben tangiert). Und auch in Boston messen junge Staatsanwälte ihren Erfolg nicht so sehr an der gelungenen Rechtspflege, sondern an der Zahl der gewonnenen und verlorenen Prozesse (was man schließlich auch schon aus unzähligen US-Justizdramen kennt). Klaus Kamberger hat sich erst mal nicht abschrecken lassen …

Gut, man erfährt in Yessayans Erstling schon ein wenig mehr als üblich darüber, wie eine Anklagebehörde amerikanischer Provenienz so tickt und dass man mit den richtigen Beziehungen zum richtigen Richter oft weiterkommt, als mit der richtigen Stelle aus dem Gesetzbuch. Aber gar so neu ist das auch nicht. Der Autor war selber lange Staatsanwalt und plaudert halt aus der Schule. Aber zugegeben: Da kann er dann doch mehr, als nur Bekanntes wiederkäuen.

Die (durchweg jungen) Anwälte, die seinen Roman bevölkern, sind bei ihm nämlich wirklich lebendige Individuen und nicht nur, wie sonst so oft, Abziehbilder, die fix abgeheftet werden, sobald sie im anstehenden Fall nicht mehr gebraucht werden. Da ist der schwarze Anwalt, der als Adoptivsohn in einer weißen Familie aufgewachsen ist und darum von seinen „Brüdern“ auf der Anklagebank leider nicht mehr akzeptiert wird. Da ist die junge Fleißige, die alles auf die Reihe bekommt, nur nicht ihr Privatleben. Da ist der Idealist, der sich widerwillig die Hörner abstoßen muss. Da ist aber auch der alte Ermittler-Haudegen, dem (Achtung, Klischee!) die FBI-Profiler gehörig auf den Keks gehen, obwohl sie (oha, kein Klischee mehr!) diesmal sogar recht haben. Und da ist dieses ganze verdrehte amerikanische Justizsystem, dem es (fast) immer nur ums Rechthaben geht und (fast) nie ums Recht.

So entpuppt sich der Roman also doch als durchaus unterhaltsam-informative Lektüre. Aber wie geht nun die Sache aus mit diesem „Blutbad-Killer“, um den sich schließlich alles dreht? Eher enttäuschend. Denn an ihm scheitert der Autor am Ende, soviel Aufwand er mit ihm auch treiben mag. Zwar führt er ihn ein als einen, der schwer fassbar scheint, weil er offenbar alles andere, nur kein Motiv hat. Doch zum Schluss hat er sehr wohl eines, ein mehr als handfestes sogar, und damit kracht es plötzlich gehörig im Gebälk des Konstrukts um den Eiskalt-serienmordend-die-Leichen-verschwinden-Lasser. Und die Schuppen, die dem Leser auf den letzten Seiten von den Augen fallen sollen, waren eigentlich schon lange recht transparent. Ein etwas dünnblütiges Blutbad sozusagen.

Nietzsche bleibt Nietzsche

Zum Schluss aber noch ein kleines Lob dem Übersetzerpaar. Nein, auch sie sind nicht ganz frei von den üblichen Anglizismen, die munter die deutsche Ausdrucksweise zu unterwandern pflegen (dauernd „fängt“ jemand „an“, sich zu verkrampfen, zu verwesen, in Akten zu blättern, Koffer zu packen oder mit den Schultern zu zucken …; ja sicher, bevor man etwas tut, muss man immer erst mal damit anfangen). Und über das eine oder andere schiefe Bild stolpert man auch. (Ist jemandem schon mal Luft in die Lunge gerauscht? Und gibt es tatsächlich die „härtesten Sozialbausiedlungen“ einer Stadt; sind da nicht eher deren „Problemviertel“ gemeint?)

Schwamm drüber. Denn die Übersetzer haben etwas getan, was heute leider nicht mehr üblich zu sein scheint (weil es unhonorierte Zeit kostet): Sie haben recherchiert! Und nicht, wie schon oft genug erlebt, zum Beispiel ein Zitat aus dem Deutschen, hier sind es zwei Nietzsche-Weisheiten, einfach rückübersetzt. (Beispiel gefällig? In einem Text über die Vorgeschichte des 1. Weltkriegs stieß der Rezensent einmal auf einen Aufruf, den der vertrottelte Ober-Habsburger so unters Volk gebracht haben sollte: „Nationen Europas, schützt eure geweihten Besitztümer!“ – In Wirklichkeit hatte er gesagt: „Völker Europas, wahret Eure heiligsten Güter!“ Heiliger Bimbam! Beides großer Quatsch, aber im Original klingt er irgendwie besser, oder?) Bei Wasel & Timmermann dagegen ist es echter Nietzsche. Gut so.

Klaus Kamberger

Raffi Yessayan: Blutbad (Eight in the Box, 2008). Roman.
Deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag 2009. 300 Seiten. 9,95 Euro.