Lean Thriller
– Gerald Seymours „Vagabond“ – gleichzeitig Porträt eines verschollenen Autors. Von Alf Mayer
Sechzehn Jahre, seit ein Buch von ihm ins Deutsche übersetzt wurde. Es war die tief ins Innere einer Mafiafamilie vorstoßende „Informantin“ (Killing Ground, 1997; dt. 1998), seitdem gibt es ihn nicht mehr bei uns. Dabei ist Gerald Seymour tatsächlich DER BESTE THRILLERAUTOR DER WELT. Jedes Jahr legt er einen neuen Roman vor, der höchsten Thrilleransprüchen mehr als Genüge tut. Ich finde ihn einen unglaublich soliden und dazu ausgesprochen politischen Autor. Seine Romane leisten, was Journalismus nicht kann: profunden Hintergrund, Einsicht in Geheimwelten, nüchternes Schildern moralischer Dilemmata.
Am 25. November 73 Jahre alt werdend, hat dieser Vollblutjournalist einen Blick auf die Welt der Geheimdienste und Geheimoperationen, der seinesgleichen sucht. Ich kenne niemanden – nichts, null, niemanden –, der ihm dabei das Wasser reichen könnte. John le Carré ist ein impressionistischer Maler gegen ihn, Frederick Forsyth in Männerfantasien abgedriftet. Das Erbe Eric Amblers hat Gerald Seymour angetreten – wobei er im Sinne von „thrill“ und Realismus sogar die besser geölten, feinmechanischeren Thriller schreibt als der Meister jemals selbst. Wie Ambler lässt Seymour sich von der Zeitung für seine Romane inspirieren, sein Stoff ist die Wirklichkeit. Jeder seiner dicht bevölkerten, stets aus vielen, vielen Blickwinkeln erzählten Romane steht für sich allein, ist ein hochkarätiges, hochpoliertes und komplexes Einzelwerk. Hierzulande aber interessiert solche Qualität und Realitätstüchtigkeit, von der viele andere Autoren nur träumen oder täuschen können, anscheinend keinen Verlag. Ich finde es eine Schande.
Thriller – Zuflucht für Moralisten
„Der Moralist ist nicht mit einem Moralprediger zu verwechseln. Ein Moralist versucht, die Menschen seiner Zeit zu verstehen und zu schildern. Insofern ist der Thriller die letzte Zuflucht für einen Moralisten“, meinte Großmeister Eric Ambler in einer Rückschau auf seine Romanarbeit. Selten äußerte sich der britische Jahrhundertautor außerhalb seiner Bücher, ungewöhnlich begeistert aber lobte er, 1975, einen Erstlingsroman, den in Belfast zwischen Briten und IRA-Kämpfern spielenden grimmigen Thriller „Harry’s Game“ (Das tödliche Patt), Gerald Seymours Erstlingsroman, aus dem auch eine beachtlich gute TV-Miniserie wurde, der Titel bis heute so gut wie jedem Engländer geläufig.
Geboren 1941, beide Eltern Poeten, in Moderner Geschichte promoviert, Fernsehreporter geworden, 1963 mit 22 Jahren den Zugüberfall der englischen Posträuber als einen seiner ersten Fälle, dann 1963 bis 1978 an allen Krisenherden der Welt, von Vietnam über Irland bis zu der Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München, wo er weltexklusiv mit den Überlebenden der israelischen Mannschaft sprechen konnte, an den Schauplätzen der deutschen RAF, der italienischen Roten Brigaden und des Nahostkonflikts, hat sich der Moralist William Hershel Kean unter dem Namen Gerald Seymour auf den Thriller als Reportagemittel spezialisiert. Seit 1978 macht er das hauptberuflich. Ohne Übertreibung lässt sich sagen, dass es kaum einen politisch interessierten, zeitgenössischen Autor gibt, der – dies nun als Autor schon seit fast 40 Jahren – die Welt so ungeschminkt zeigt. Ob es das bürgerkriegszerrüttete Irland, der Nahe Osten, Russland oder Afghanistan sind, Arabien, Südafrika, Libanon, Iran, Irak, Mittelamerika oder die Balkanstaaten, Seymour macht aus uns passiven Nachrichtenkonsumenten Involvierte, Bewegte und Aufgerüttelte. Man habe es nicht gewusst, lässt sich nach der Lektüre seiner Bücher nicht mehr sagen.
„Vagabond“ – Seymours vierter Irland-Thriller
Seymours jüngster Roman „Vagabond“, im Sommer 2014 erschienen, bekräftigt erneut seine Meisterschaft, ist eine aufwühlende Lektüre. Zum vierten Mal wendet Seymour sich hier dem Konflikt in Irland zu. Irland heute? Ja, genau. Seymour zeigt, dass die kriegerischen Spannungen allen Friedensbemühungen zum Trotz keineswegs vorbei sind, dass der separatistische Extremismus wie auch die gnadenlose Härte der britischen Seite keineswegs besänftigt sind und dass das nach wie vor grausame Folgen zeitigt. Der Roman war für mich mehr als schlüssig, seinen Realitätsgehalt haben mir der Brite Robert Wilson wie der Ire Declan Burke bekräftigt. Der Vagabond des Titels war vor 30 Jahren ein Informantenführer des britischen Geheimdienstes in Irland, effektiv und rücksichtslos. Im hasserfüllten, durch ein Fernglas beobachteten Gesicht eines Jungen, dessen Vater er ans tödliche Messer der Desinformation geliefert hatte, erkannte er damals eine Wut, die noch Probleme machen würde. („The child’s face was twisted with hatred – the face of a fighter, he thought. He will be a problem, he will. Remember his name.“)
Inzwischen den Dienst quittiert und auf den Schlachtfeldern der Normandie als Fremdenführer unterwegs, wird Vagabond reaktiviert, nein, für einen Auftrag zwangspresst, bei dem er einen vom MI 5 „geführten“ Waffenhändler bei einem Deal an die Kandare nehmen soll, der die irischen Terroristen mit schweren Waffen ex-sowjetischer Provenienz versorgen würde. Seymour entwickelt aus dem D-Day-Tourismusprogramm und den Attentatskosten auf Heydrich, die Vagabonds ehemaliger Vorgesetzter ihm zur Re-Konditionierung als historische Parallele offeriert – der Deal wird in und um Prag stattfinden – eine atemberaubende Untergrundströmung von Kollateralschäden, die sehr wohl zu unserer Kultur und in den Bereich unserer Duldung gehören.
Virtuos in ein gutes Doppeldutzend von Beziehungskonflikten gefächert, überaus elegant in Parallelhandlungen erzählt, ist dies Seymour bislang härtestes Buch. Unlädiert bleibt hier niemand, auch der Junge von damals hat seinen Part in der Gegenwart. Seymour zeigt nebenbei, wie Terroristen gemacht werden, gleich mehrfach macht er die Folgen repressiver Gewalt zu Strängen seiner Handlung. Dies in einer komplexen, durchkomponierten Geschichte mit nachvollziehbaren Charakteren, etwa die 24-jährige, gut aussehende BWL-Studentin, die als Buchhalterin einer neuen Terrorgeneration den Trip nach Prag als Incentive versteht, die Frau eines IRA-Kämpfers, die zu Hause nie mit ihrem Mann wirklich privat sein kann, weil das Haus abgehört wird, ein verzweifelt an die Früchte der Ehrlichkeit glaubender tschechischer Polizist, dessen Land die Mafia und die Gier bis in die Poren korrumpieren. Für eine vollständige Rezension müsste ich hier weit über 100 Personen aufzählen, Seymours Romane sind prall wie Balzac-Romane.
Kleine Leute, kleine Lichter, es braucht nichts Dämonisches
Eric Amblers „little guys“ sind Seymours Protagonisten, er stellt die kleinen Rädchen der großen Zeitgeschichtsmaschine in den Mittelpunkt, zeigt die Auswirkungen von Geo-, Macht- und Finanzpolitik im ganz Alltäglichen der kleinen, meist nicht einmal sonderlich weltbewegenden Geheimoperationen.
Gerald Seymour schreibt für Erwachsene. Er zeigt die Welt hinter der Welt. Seine Romane funktionieren in ihrer Konfliktschärfe wie Testanordnungen, sie deklinieren die Folgen des B- bis Z-Sagens. Er beschreibt jene Welt, die uns Zivilisten normalerweise nicht zugänglich ist, beschreibt den Preis, der für die Aufrechterhaltung unseres „Friedens“ zu zahlen ist. Von denen, die sich die Hände schmutzig machen, von den zufällig Hineingeratenen. All das Übertriebene, Superhelden- und Märchenhafte, Melodramatische usw., eben all das, was vernünftige Leute sonst von den Holzschnitt-Thrillern fernhält, ist ihm fremd. Es gibt wenige Adjektive in seinen Romanen, es fehlen Schnörkel, Schwabbel und Schwafel, stilistisch wie erzählerisch, weiterhin aller Bekenntnis- und Mitteilungszwang oder die sonst genretypischen waffentechnischen oder konsumgüterfetischistischen Exkurse.
Seymour schreibt ohne ein Gramm Fett. Niemand wird bei ihm dämonisiert, gut Gute und bös Böse gibt es nicht bei ihm. Seine Figuren atmen, kämpfen, hoffen, leiden, bluten, oft tun sie eben nur ihre Pflicht oder ihren Job, sind gut darin oder haben noch einmal eine Chance. Seymour entführt uns in die Welt der Professionals. Darin Ambler ähnlich (der aber mehr auf Schelme setzte), treffen wir bei ihm auf recht normale Menschen, die loyal/angestellt/gekauft zu einer Seite gehören und es mit Leuten gleichen Schlags der anderen Seite zu tun bekommen oder umgekehrt. Nein, die Welt steht bei ihm nicht am Abgrund und hat nur noch fünf Minuten Zeit zur Rettung. Über Fernsehnachrichtengröße reichen, zynisch betrachtet, Seymours Dramen letztlich nicht hinaus. „Bei einem versuchten Sprengstoffanschlag in Irland kamen zwei vermutlich radikalisierte Jugendliche ums Leben“, würde es über „Vagabond“ etwa heißen.
In „Vagabond“ zitiert einer der Akteure ein Gedicht von Yeats:
„Those that I fight I do not hate,
Those that I guard I do not love.
A lonely impulse of delight
Drove to this tunnels in the skies …“
Kriege ohne Würde
Wir aber, dabei gewesen und die tödliche, scheußliche, unmenschliche Mechanik der Sachzwänge – die Antiquiertheit des Menschen – im Detail, im Loyalitätskonflikt der Staatsräson, der Weltwirtschaftsordnung erlebt, verstehen und fühlen besser, welchen Preis die Zivilisation alltäglich fordert und verschweigt. („She didn’t know that he had been a soldier in the front line of a dirty, cruel war fought without dignity“, heißt es in „Vagabond“.) Der unsichtbare Krieg, die Schattenkämpfe, der Terrorismus, das organisierte Verbrechen, sie haben ihre Wurzeln im Banalen, dort ist es, wo Seymour ansetzt. Er schwimmt, ganz der Erzählguerilla, im Strom der zeitgenössischen Ereignisse. Wie ein Meister der Mosaiken setzt er uns die Bruchstücke der Welt zusammen. Eigentümlich melodisch, ja rhythmisch ist sein Stil, ohne laute Töne, nichts wird zu lang gehalten oder gar ausgewalzt, alles ist höchst ökonomisch gewählt im Ausdruck, er schreibt ein schönes, klares Englisch, unkapriziös, handfest und uneitel.
Auch in „Vagabond“ sind die Erzählfäden straff wie Klaviersaiten gespannt, gut drei Dutzend Protagonisten und über hundert Nebenfiguren verwebt Seymour zu einem – allem Drama zum Trotz unterkühlt vorgetragenen – tragischen Geflecht, das in den Solarplexus trifft. Gerald Seymours Romane hallen nach. Ehrlich gesagt, machen sie zum Lesen des Normalschrotts unfähig.
Sein höchstes Ziel sah Eric Ambler stets darin, „genau zu wissen, was man ausdrücken will, und es dann ohne Erregung zu sagen“. Gerald Seymour hat daraus eine eigene Gattung entwickelt: den „lean thriller“.
Eine Übersicht seiner Bücher hier. Ein seltenes Interview hier. Ein CM-Hinweis auf Seymour findet sich hier.
Gerald Seymours letzte Romane:
Vor „Vagabond“ war Seymour bereits mit „Harry’s Game“ (1975), „Field of Blood“ (1985) und „The Journeyman Tailor“ (1992) im irisch-englischen Konflikt.
Killing Ground (1997, deutsch als „Die Informantin“, 1998)
The Waiting Time (1998)
A Line in the Sand (1999)
Holding the Zero (2000)
The Untouchable (2001)
Traitor’s Kiss (2003)
The Unknown Soldier (2004)
Rat Run (2005)
The Walking Dead (2007)
Timebomb (2008)
The Collaborator (2009)
The Dealer and the Dead (2010
A Deniable Death (2011)
The Outsiders (2012)
The Corporal’s Wife (2013)
Vagabond (2014)
Gerald Seymours Plots im Schnelldurchlauf :
Harry’s Game (1975, dt. Das tödliche Patt). Ein britisches Kabinettsmitglied wird von einem IRA-Attentäter niedergeschossen. Ein Undercover-Agent soll den Killer finden. Dabei ist jedes Mittel recht.
- The Glory Boys (1976, dt. Fliegenpilz): Ein arabischer Terrorist, der in Frankreich eine israelische Konteroperation überlebte, will Israels führenden Nuklarwissenschaftler bei dessen Besuch in London ermorden. Waffen besorgt ihm ein IRA-Legionär, der britische Geheimdienst will den Anschlag vereiteln. 1984 wurde daraus eine dreiteilige TV-Serie mit Rod Steiger, Anthony Perkins, Alfred Burke und Joanna Lumley.
Kingfisher (1977, dt. Der Ruf des Eisvogels): Drei ukrainische Juden, sowjetische Dissidenten, entführen ein Flugzeug in den Westen, landen in England, aber können sich nicht sicher sein, ob sie als Flüchtlinge oder als Kriminelle behandelt werden.
- Red Fox (1979): Als Italiens gefährlichste Terroristin geschnappt wird, benutzt ihr Liebhaber einen in Rom entführten britischen Geschäftsmann als Geisel und setzt damit Kräfte außerhalb aller Kontrolle frei. 1991 entstand daraus eine TV-Miniserie mit John Hurt, Jane Birkin and Brian Cox, anstelle der Roten Brigaden aber in Frankreich und bei der Action directe angesiedelt.
- The Contract (1980, dt. Der Auftrag): An der deutsch-deutschen Grenze könnte sich ein degradierter britischer Abwehroffizier rehabilitieren, wenn er einen russischen Flugzeugentwickler zum Überlaufen bringt.
- Archangel (1982, dt. Erzengel): Eine kleine Gefälligkeit für den britischen Geheimdienst wird für einen jungen englischen Geschäftsmann in Moskau zu einem Alptraum. Der russische Geheimdienst schnappt ihn und er landet in einem sibirischen Arbeitslager. Einer der allerbesten Gulag-Thriller.
- In Honour Bound (1984): Ein SAS-Hauptmann soll auf Mission in Afghanistan einen der neuesten sowjetischen Kampfhubschrauber erbeuten und die geheimen Bauteile nach Hause bringen.
- Field of Blood (1985): Ein Ex-IRA-Mann und und ein britischer Leutnant werden zu Schachfiguren in einem schmutzigen politischen Spiel.
- A Song in the Morning (1986, dt. Der Kronzeuge): Drei Wochen vor der Hinrichtung eines britischen Undercover-Agenten im Apartheid-Südafrika erfährt dessen Sohn von seinem Schicksal und beschließt, ihn zu befreien.
- At Close Quarters (1987, dt. Aus nächster Nähe): Ein Diplomat und ein israelischer Scharfschütze befinden sich schon tief im ostlibanesischen Bekaa-Tal, als ihr Cover auffliegt und palästinische Gruppen und der syrische Geheimdienst Jagd auf sie machen.
- Home Run (1989, dt. Heimkehr in den Tod): Ein britischer Geheimdienstmann wird in den Iran geschickt, um dort ein Netzwerk zu aktivieren. Er wird auf dem Altar der Politik geopfert.
- Condition Black (1991, dt. Schwarze Geschäfte): Der Rachefeldzug eines FBI-Mannes gegen einen britischen Terroristen vor dem Hintergrund der Annektion Kuwaits durch Sadam Hussein und dessen Pläne für ein Atomprogramm.
- The Journeyman Tailor (1992): Ein junger, ehrgeiziger MI 5-Agent geht undercover nach Nordirland. Dort im County Tyrone aber wächst bereits die Furcht vor Informanten. Vermintes Gelände.
- The Fighting Man (1993, dt. Tod der Schmetterlinge): Unehrenhaft aus der SAS geworfen und in Schottland auf einer Fischfarm untergekrochen, rekrutieren Indios aus Guatemala den Feldwebel Gord Brown, der nun im Dschungel einen Aufstand gegen die Diktatur militärisch anführt. Seymours großer Abenteurerroman.
- The Heart of Danger (1995): Die internationale Gemeinschaft hatte versprochen, die Kriegsverbrecher im Jugoslawienkrieg zu jagen, aber nichts passiert, als in Kroatien die Überreste einer jungen Engländerin in einem Massengrab entdeckt werden. Ein Privatdetektiv, beschließen die Angehörigen, soll den Fall übernehmen
- Killing Ground (1997, dt. Die Informantin): Eine junge englische Lehrerin arbeitet als Kindermärchen für eine reiche sizilianische Familie, verliebt sich auch in einen Sprössling. Sie wird zum Spielball der US Drug Enforcement Agency (DEA), die das Haupt der sizilianischen Mafia dingfest machen will.
- The Waiting Time (1998): Mitten im Kalten Krieg wird ein Republikflüchtling von der Stasi ermordet. Zehn Jahre später macht sich seine frühere Geliebte auf, für Gerechtigkeit zu sorgen.
- A Line in the Sand (1999): An der Küste von Suffolk hat ein britischer Spion Unterschlupf gefunden, der einst das iranische Programm für biologische und chemische Waffen ausspähte. Jetzt ist ein Killerkommando unterwegs, um Rache zu nehmen.
Holding the Zero (2000): Ein Scharfschützen-Thriller im Nordirak zu Zeiten des Golfkrieges. Kann neben den Romanen von Stephen Hunter bestehen.
- The Untouchable (2001): 20 Jahre hatte der Waffenhändler Albert Packer einen Lauf, jetzt bröckeln die Allianzen – auch bei Polizei und Geheimdiensten sind Rechnungen offen. Ein wirklich starkes Ende in diesem Buch.
- Traitor’s Kiss (2003): Der Kalte Krieg ist offiziell vorbei. Aber das ist nur die Oberfläche.
- The Unknown Soldier (2004): In der Wüste, im Empty Quarter, quält sich ein Flüchtlingstreck zum Ziel. Unter ihnen ein Mann, den der Westen jagt. Am Himmel unbemannte Flugkörper, raketenbestückt. Ein früher Drohnen-Thriller, der Seymours kaltblütigen Rechercheblick beweist.
- Rat Run (2005): Im Irak verlor Militärgeheimdienst-Mann Malachy Kitchen seine Nerven, verlor in London dann ganz den Boden unter den Füßen, lebt im Drogenmilieu. Eine zum Überfallopfer gewordene alte Dame gibt seinem Leben wieder einen Sinn. Ein Drogen-Thriller aus der Untersicht.
- The Walking Dead (2007): Das Schicksal zweier Männer steuert aufeinander zu. Ein junger Mann aus Saudi-Arabien wird auf eine Einwegreise nach England geschickt, ein recht normaler Polizist wird ihm im kritischen Moment begegnen. Ein Terror-Thriller ohne laute Töne.
- Time Bomb (2008): 15 Jahre hatte ein dann gefeuerter KGB-Offizier eine atomare Kofferbombe versteckt, jetzt verkauft er sie an den höchsten Bieter – an die russische Mafia. Sehr interessante Ambivalenzen in diesem Buch, man kann auch die Bösen gut verstehen.
- The Collaborator (2009): Blicke in den innerfamiliären Machtkampf der Camorra. Mit den Sopranos hat das wenig zu tun, das Buch ist geradezu enzyklopädisch in der Vielfalt der Mafia-Charaktere und Motive.
- The Dealer and the Dead (2010): 18 Jahre nach dem barbarischen Krieg mit Serbien findet ein kroatisches Dorf die Identität des damaligen englischen Waffenlieferers heraus. Sie heuern einen Profikiller in London an – der Showdown ist herzzerreißend.
- A Deniable Death (2011): Zwei britische Abhörspezialisten sind in den Grenzsümpfen zwischen Iran und Irak auf „den Ingenieur“ angesetzt, der für viele Bombenattentate verantwortlich gehalten wird. Sie schnappen eine Information auf, die den Mann und seine Frau nach Hamburg bringen wird, in die Reichweite unserer Geheimdienste. Ein Kompendium der jüngeren iranisch-irakischen Gewaltgeschichte, ein wichtiges Buch.
The Outsiders (2012): Organisiertes Verbrechen in Europa, die östlichen Verästelungen inklusive, erzählt anhand einer kleinen Operation in Marbella, für die nur Kräfte aus der zweiten Reihe und Außenseiter eingesetzt werden. Ein Blick in eine weithin unbekannte Realität, schäbig und wahr. Eine der Hauptfiguren: ein kriegstraumatisierter Scharfschütze.
- The Corporal’s Wife (2013): In einem Golfstaat haben die Briten den Fahrer eines hohen iranischen Offiziers geschnappt, der aber will erst reden, wenn seine Frau in den Westen gebracht wird. Die aber geht fremd und hat andere Pläne. Das Team aus Söldnern und Amateuren, das sie über die Grenze bringen soll, gerät in Schwierigkeiten. Virtuos, wie Seymour hier Weltpolitik auf Maßstab der ganz kleinen Leute erzählt. Großes Kino.
- Vagabond (2014): Eine Funke nur, eine solide Waffenlieferung etwa, würde den Konflikt in Nordirland wieder entflammen, also steuert der britische Geheimdienst mit aller Brutalität dagegen. Nicht umsonst setzt Seymour hier die Verluste des Zweiten Weltkrieges als Vergleichsrahmen ein. Ein hartes, böses Buch, vielleicht sein bestes.
Alf Mayer