Geschrieben am 12. Februar 2011 von für Bücher, Crimemag

Reginald Hill: Ein nasses Grab

Ein Superintendent langweilt sich

Ein Polizist soll Urlaub machen, aber dazu kommt es nicht, weil vor seiner Nase unter ungeklärten Umständen gestorben wird. Alter Hut, altes Buch? Nun. So ein Rätselkrimi kann auch ganz erfrischend sein. Von Henrike Heiland.

Liebe Hill-Fans, wir stehen hier vor dem vierten Buch in der Reihe. Es ist das Buch, in dem Pascoe und Ellie heiraten. Pascoe verzieht sich auf Hochzeitsreise – wohlweislich hat er den Ort geheim gehalten, damit ihm Superintendent Dalziel nicht auf die Pelle rücken kann – und Dalziel hat für den selben Zeitraum Urlaub genommen, weiß aber absolut nichts mit sich anzufangen und fährt ein wenig in der Gegend herum. Hochwasser hindert ihn am Weiterfahren, und während er sich einen Weg durch die Wassermassen sucht, rudert ein Leichenzug an ihm vorbei. Die fröhliche Trauergesellschaft ist es denn auch, die ihn rettet, als er später mit seinem Wagen absäuft.

Er wird die Familie des Verstorbenen noch sehr gut kennenlernen, und er wird gleich wittern, dass da irgendwas faul ist. Die Witwe Bonnie – eine für Dalziel außerordentlich attraktive Frau – ist alles andere als betrübt über das Ableben ihres Mannes, und auch der Rest der Verwandtschaft benimmt sich höchst verdächtig. Jedenfalls in Dalziels Augen. Dem ist wie gesagt langweilig. Kurzerhand findet er einen Weg, in diesem Haushalt für ein paar Tage unterzukommen, und nicht lange, da sterben noch ein paar andere.

Ja, liebe Hill-Fans, Dalziel über weite Strecken ohne Pascoe – gewöhnungsbedürftig. Es fehlt einfach was, die Reihe lebt ja in erster Linie von den Wortgefechten und Sticheleien der beiden extrem unterschiedlichen Charaktere. (Keine Sorge, Pascoe kommt aber am Ende für ein paar Kapitel zurück.) Dazu ist es noch ein Frühwerk des Autors aus den 70ern, das gerade erst übersetzt wurde. Hill-Fans, ihr werdet nicht umfallen vor Begeisterung.

ABER …

Aber, liebe Nochnicht-Hill-Fans: Reginald Hill mag Rätselkrimis schreiben, in denen jeder ein Geheimnis hat, jeder der Täter sein könnte, am Ende ist es der, mit dem nun wirklich niemand gerechnet hat, und der Detektiv hält die große Enthüllungsrede, in der alle Fäden zusammengeführt werden. Trotzdem ist es nicht Agatha Christie, oh nein, nein. Nein. Der Autor nimmt die Struktur des Golden Age-Krimis und spielt mit den Erwartungen des erfahrenen Lesers, spart nicht mit literarischen Anspielungen, entzückt mit Ironie, führt liebevoll seine Landsleute vor, ist selbst mit einem alten Buch sehr erfrischend, weil eine willkommene Abwechslung von Schlachtplatte und krachledernem Regiogedöns.

Hills Dalziel säuft, er ist fett, er hat einen Hang zum Unmoralischen. Dazu ist er noch so politisch unkorrekt, dass einem das Herz aufgeht. Man muss ihn einfach mögen. Kollege Pascoe ist der Klugscheißer, der Schwiegersohntyp, die Sorte, die Superintendent Dalziel eigentlich hassen müsste. Tut er aber nicht. Sprachlich ist Hill selbst mit dem schwächsten Buch – und „Ein nasses Grab“ ist nicht zwingend eins seiner Meisterwerke, die Story ist auch eher schwach – immer noch ganz weit vorne, seine Sachen sind auf intelligente Art witzig, herrlich zu lesen.

Zu gut?

Foto: © Rosemary Herbert

Bleibt die Frage, warum Hill nach so vielen Jahren und einer Menge wirklich guter Bücher in Deutschland immer noch als Geheimtipp für Kenner und Genießer gilt. Böse Zungen behaupten ja, er sei einfach zu gut. Vielleicht ist er vielen auch einfach zu verspielt, zu barock, vielleicht ist er falsch in den Markt eingeführt worden. Die Tatsache, dass die Reihenfolge der Veröffentlichungen wild durcheinanderpurzelt, hilft schätzungsweise nicht gerade, die Leser bei der Stange zu halten. Grund für das fröhliche Gepurzel: Goldmann veröffentlichte ausgewählte Bücher seit den 80ern, dann kam Ende der 90er der Europa Verlag an die Lizenzen und brachte Hill im Hardcover, jetzt ist Droemer Knaur an der Reihe und schießt mal ein Taschenbuch, mal ein Hardcover auf den Markt. Der nächste Hill erscheint nun schon wieder im April als HC, und der ist im Original von 2007, während „Ein nasses Grab“ bereits 1975 erschien. Natürlich kaufen und lesen nicht alle Leute eine Serie in der richtigen Reihenfolge, aber unter marktstrategischen Gesichtspunkten ist Hill leider komplett verhunzt gegangen. Schade eigentlich. Kann man nix machen. Trotzdem gute Bücher, selbst die schwächsten sind im Direktvergleich mit einigen viel gelesenen Mitstreitern noch richtig gut.

Henrike Heiland

Reginald Hill: Ein nasses Grab. (An April Shroud, 1975). Roman. Deutsch von Silvia Visintini. München: Knaur, 2011. 362 Seiten. 8,99 Euro.
Reginald Hill bei Wikipedia. Seine Homepage beim Verlag. Der Autor über ein anderes seiner Bücher. Und so sehen Dalziel und Pascoe verfilmt aus.
Zur Webseite von Henrike Heiland.

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