Geschrieben am 15. Dezember 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: André Pilz: Der anatolische Panther

51zyxardpdl-_sx298_bo1204203200_Kleiner Mann – was nun?

von Alexander Roth

Tarik hat ein Problem. Seine Jungs haben einen Fernseher von der Straße aufgelesen, der zufällig gerade vom Laster fiel, als sie zufällig vorbeischlenderten, und jetzt steht das Teil im Wohnzimmer seines Großvaters. Beer, der vielleicht gefährlichste, mit Sicherheit aber jähzornigste (Ex-)Bulle Münchens, kriegt Wind von der Sache, und während das Istanbul-Derby über den geklauten Bildschirm flimmert, erklärt er seinem Schützling wider Willen, wie er aus der Nummer wieder rauskommt: Geheime Mission, Spezialauftrag. Tarik soll das Vertrauen des extremistischen Rattenfängers Abdelkader Al-Anbari gewinnen, der junge Männer im Namen der Religion für seinen ganz  privaten Glaubenskrieg rekrutiert. Er soll sich in dessen Büro einschleichen, wo Beer Beweismaterial vermutet, das den selbsternannten „Derwisch“ Al-Anbari mit einem terroristischen Anschlag in Hamburg in Verbindung bringen könnte.

Der anatolische Panther von André Pilz ist eine Ode an das facettenreiche, kunterbunte Deutschland der Gegenwart. Zwischen Reihenhaussiedlungen und Wolkenkratzern, in der Tram oder im ICE, auf dem Fußballplatz oder in der Moschee prallen die unterschiedlichsten Biographien aufeinander. Das fängt schon bei Tariks Freundeskreis an: Da wären Doogie, ein Ex-Nazi und Vollzeit-Hool, der ein Survival-Handbuch der Navy Seals zu seiner Bibel erkoren hat, ein arbeitsloser Diplom-Chemiker namens Sugo-Joe, Yiannis, ein Grieche, der Nacktbilder sammelt, der schmächtige, aber gefürchtete Junggangster Ibo und der kleine Fonso, der sich statt Ronaldo und Messi den ungarischen Nationalhelden Ferenc Puskás zum Vorbild nimmt, aber selbst so schlecht kickt, dass es einem das Herz bricht. Hinzu kommen Tariks Freundin, die kubanische Medizinstudentin N’teba, der desillusionierte, völlig verrückte (Ex-)Cop Beer, der es sogar fast mit Doblers Robert Fallner aufnehmen kann, ein zwergwüchsiger Leibwächter und viele, viele weitere, erfrischend unkonventionelle Gestalten.

Wir sind Wolkenmenschen. Im Nebeldunst der Abgase. Im Lärm der übersteuerten TV-Geräte und Spielkonsolen. Im Stiegenhaus stinkt es nach Fast Food, nach verschüttetem Bier, Pisse und Red-Bull. Unsere Feinde wollen uns ausrotten, aber wir sind zäh.

Großes Herz, noch größere Zerrissenheit

Tarik brennt regelrecht. Er atmet Leben wie andere Menschen Sauerstoff, gierig, als könnte die Flamme in ihm jeden Moment erlöschen. Mit der gleichen Intensität liebt er auch. Nicht nur seinen Großvater und seine Freunde, sondern vor allem N’teba, für die er beinahe alles tun würde. Beinahe.. Um die Beziehung zwischen den beiden akkurat beschreiben zu können, muss man schon die altgediente Metapher von der „Achterbahn der Gefühle“ hervorkramen. Sie will ihn, er will sie, aber da ist ein Ungleichgewicht, ein hin- und herzerren, das droht, sie beide zu verschlingen. Doch nun muss N’teba Deutschland verlassen – ihr Visum läuft ab – und Tarik steht vor der unlösbaren Aufgabe, sich zwischen ihr und seiner geliebten Heimat entscheiden zu müssen. Selten wurde die erste große Liebe so direkt, so authentisch beschrieben, selten ging sie einem so nahe.

Der Roman bewegt sich aber auch im Spannungsfeld zwischen Lebens- und Medienrealität, zwischen Integrationswillen und tief verwurzelten Vorurteilen, zwischen Willkommenskultur und Terrorangst. Protagonist Tarik ist ein trinkfester Lokalpatriot, der im Stadion die „Sechzger“ anfeuert und sich zuhause liebevoll um seinen Großvater kümmert. Ein Hitzkopf, der seine Freiheitsrechte manchmal vielleicht etwas zu großzügig interpretiert, der aber jederzeit dankbar dafür ist, in einem Land zu leben, in dem er so viele davon hat. Mit dem Radikalismus des Derwischs kann er nichts anfangen. Und doch zwingt ihn der Staat, für dessen Werte er eintritt, so zu tun, als wäre es anders. Ironie ist gar kein Ausdruck.

– Darf ich ihren Ausweis sehen? Sagt die Polizistin zu mir.

– Klar, sage ich. Aber wir haben nichts Verbotenes getan.

– Sie sind betrunken.

– Das ist in Bayern nicht verboten, das ist in Bayern was Heiliges. 

(c) Ampfinger

(c) Ampfinger

Aus Panther wird Wolf, aus Migrant Terrorist

In den seltenen Momenten, in denen er zur Ruhe kommt, wirkt Tarik enttäuscht. Ziellos. Eine Karriere als Profifußballer blieb ihm trotz Kicker-Schlagzeile verwehrt, seine schulische Ausbildung brach er ab, und das alles, weil er die Steine, die man ihm in den Weg legte, nicht beiseiteschieben konnte. Vielleicht lag es an seinem Aussehen. Vielleicht an seinem Namen. Jedenfalls wurde er so lange die Leiter des sozialen Aufstiegs hinuntergetreten, dass er ihre Existenz beinahe vergessen hat. „Die Leute hassen den Wolf, jagen den Wolf, selbst wenn er kein einziges Schaf gerissen hat. Sie hassen den Wolf, weil er Wolf ist. Sie hassen den Kanaken, weil er Kanake ist. Ganz egal, was er tut.“ Also flüchtet er sich in die Liebe, ins Stadion, in die biergeschwängerten Nächte mit den Jungs. Die Verbitterung aber bleibt – und mit ihr die Erkenntnis, dass offene Arme in einem Klima der Angst dem Gegenüber manchmal nicht mehr signalisieren, als eine lückenhafte Deckung.

André Pilz zeigt mit seinem Roman, welche Auswirkungen eben jenes Klima auf das Leben einzelner Personen haben kann. Aus Tarik, dem voll integrierten Migranten, wird über Nacht „Terror-Tarik“, der gefährliche Fremde. Der nächtliche Einstieg in die Moschee missglückt und plötzlich ist ihm nicht nur die säbelrasselnde Entourage des Derwischs, sondern auch die Polizei auf den Fersen. Sein Bild ist überall zu sehen, seine Geschichte prangt völlig verzerrt auf den Titelseiten aller großen Zeitungen des Landes, und so bleibt Tarik nichts anderes übrig, als es zu verlassen. Weit entfernt von seinem geliebten Obergiesing kommt es schließlich zum Showdown. Die Frage, die man sich stellt, bevor Glas splittert und Schüsse fallen, lautet aber nicht nur: „Wie geht es aus?“, sondern vor allem: „Wie konnte es nur soweit kommen?“

„Für die Leute hier bist du doch nur Unkraut“

Der anatolische Panther ist nicht einfach nur ein spannender, authentischer Kriminalroman, dem das seltene Kunststück gelingt, den Finger auf die Stelle zu legen, an der man den Puls der Zeit tatsächlich fühlen kann. André Pilz‘ Roman ist vor allem ein Plädoyer für eine freie, offene Gesellschaft als einzigen Weg des friedlichen Miteinanders. Denn solange wir den Menschen in unserer Mitte, die sich durch ihre Herkunft, ihre Hautfarbe, ihre sexuelle Orientierung oder was-auch-immer vom Großteil der restlichen Bevölkerung unterscheiden, nicht die gleichen Chancen einräumen, solange wir einzelne Menschen wegen dem, was andere Menschen getan haben, vorverurteilen, werden wir weiterhin selbst schaffen, wovor wir uns fürchten.

Alexander Roth

André Pilz: Der anatolische Panther. Kriminalroman. Taschenbuchausgabe. Haymon, Innsbruck/Wien 2016. 448 Seiten, 12,95 Euro. Mehr Informationen zu Buch und Autor finden Sie hier. Zum Blog von André Pilz geht es hier.

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