Geschrieben am 2. März 2016 von für Bücher, Litmag, News

Roman: Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit

Wells_einsamkeitMelancholie und Mut

– Aus seiner Bewunderung für John Irving hat Benedict Wells nie einen Hehl gemacht. Als er 2008 im Alter von gerade mal 25 Jahren mit „Becks letzter Sommer“ ausgerechnet in dessen deutschsprachigen Stammverlag debütierte, hat ihn das bereits mit großem Stolz erfüllt. Wie mag es nun für ihn sein, die Titelseite der aktuellen Diogenes-Verlagsvorschau einzunehmen – obwohl in Kürze auch ein neuer Irving-Roman ansteht? Von Frank Schorneck

„Vom Ende der Einsamkeit“ ist ein Roman, der sich tatsächlich an den Werken des großen amerikanischen Vorbildes messen kann. Schon Wells‘ erste drei Romane stellten unter Beweis, dass hier ein begnadeter Erzähler am Werk ist, aber sie beschränkten sich noch auf einen vergleichsweise überschaubaren Zeit- und Erfahrungshorizont. Es waren literarische Roadmovies mit liebenswerten und tragischen Helden an Wendepunkten des Lebens. Diesmal hat sich der Autor auf das Wagnis eingelassen, mit seinem Roman eine Familie über mehrere Jahrzehnte zu begleiten. Im Mittelpunkt stehen der Ich-Erzähler Jules und seine älteren Geschwister Marty und Liz. Die Schilderung einer glücklichen Kindheit mit den üblichen Reibereien unter Geschwistern währt nur wenige Seiten, bis das Schicksal zuschlägt und die Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommen. Die Geschwister kommen auf ein Internat, das jedoch von Eliteschulen wie Hogwarts oder dem Lindenhof weit entfernt ist und eher den Geist einer Kaserne atmet. Hier werden die Geschwister getrennt, schlagen sie ihre eigenen Lebenswege ein, die sich jedoch stets wieder kreuzen werden. Jules findet in der Schule Halt in Alva, deren trauriges Geheimnis er erst viel später erfahren soll. Mit dem Fotoapparat des Vaters ausgestattet und schriftstellerischem Talent gesegnet, versucht Jules, sein Leben mit Mitteln der Kunst zu meistern – und als er viele Jahre später wieder Kontakt zu Alva bekommt, ist diese mit einem um ein Vielfaches älteren Schriftsteller zusammen.

Die rund 350 Seiten dieses Romans sind prallvoll mit Schicksalsschlägen und Wendepunkten, voller Wehmut und Lebenslust. Wer mag, kann Figuren aus dem Irvingkosmos verschwörerisch aus den Seiten zwinkern sehen. Der an sich zweifelnde, aber hoch talentierte Schriftsteller Jules, die selbstzerstörerische Liz, der sich unnahbar gebende Marty – sie alle hätten in Garps Nachbarschaft oder im Hotel New Hampshire wohnen können. Gleiches gilt für die Nebenfiguren, exemplarisch sei hier Toni genannt, dessen Liebe zu Liz nicht erwidert wird, der ihr jedoch über Jahrzehnte stets zur Seite steht. Glück und Tragödie gehören auch hier untrennbar zusammen. Doch auch wenn „Vom Ende der Einsamkeit“ eine tiefe Verbeugung vor John Irving ist, erzählt der Roman selbstbewusst in einem ganz eigenen Tonfall zwischen Melancholie und Mut.

Wells betont, dass der Roman keine autobiographischen Erlebnisse zugrunde liegen. Aber wenn Jules davon träumt, Alva den Wunsch, einmal Romanfigur zu werden, zu erfüllen, wünscht man sich geradezu, dass bitte wenigstens diese Alva und ihr Herzenswunsch ein reales Vorbild haben.

Frank Schorneck

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit. Roman. Hardcover. Diogenes, 2016. 368 Seiten. 22,00 Euro.

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