Pfuscher oder Genies?
Unsere irre Welt bietet so viel Stoff für gar nicht mal so abwegige Gedankenexperimente. Christian von Ditfurth hat das erkannt und mit „Zwei Sekunden“ einen schönen Polit-Thriller geschrieben, der mit dem Möglichen jongliert. Thomas Wörtche hat das gut gefallen.
Um genau zwei Sekunden verfehlt eine Bombe die gepanzerte Limousine, in der die deutsche Kanzlerin und der russische Präsident auf Staatsbesuch vom Flughafen Tegel in die Berliner Innenstadt fahren. Stattdessen erwischt sie ein Auto, in dem ein unauffälliger „Assistent“ der Kanzlerin und Sicherheitsleute sitzen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren perfekt, lückenlos und hoch professionell, ein Anschlag galt als theoretisch unmöglich. Was nur den Schluss zulässt, dass die Attentäter noch perfekter, noch professioneller waren. Aber warum haben sie dann den falschen Wagen erwischt? Und warum geht dann das Töten zu richtig los?
Das ist die Ausgangslage von Christian von Ditfurths Polit-Thriller „Zwei Sekunden“, die seiner Hauptfigur, Kriminalhauptkommissar Eugen de Bodt vom Berliner LKA, schweres Kopfzerbrechen macht. De Bodt und seine Leute starten auf Wunsch der Kanzlerin eine Art Paralleluntersuchung zu den üblichen Routinen aller zuständigen Dienststellen. Und auch die Russen von Putins Leibwache werden offiziell und inoffiziell auf deutschem Boden tätig. Denn schließlich erwartet Putin, dass, seiner Eminenz gemäß, das Attentat gefälligst ihm gegolten hat. De Bodt und sein russischer Kollege kommen bald auf sehr unterschiedlichen Wegen zu dem Schluss, dass die Attentäter vielleicht doch nicht gepfuscht haben. Und die Attentäter erkennen, dass sie in de Bodt einen sehr ernstzunehmenden Widersacher haben.
Lots of fun
Von Ditfurth zündet ein wahres Feuerwerk von Intrigen und Gegenintrigen, packt eine Menge Action in den Roman, drückt auf´s Tempo, legt falsche Spuren, kommentiert sarkastisch-satirisch und komisch die Handlung und die herrschenden realpolitischen Verhältnisse, dekliniert jede Menge fieses Denken durch und bedient sich virtuos aus dem Arsenal der einschlägigen Literatur, inklusive der polit-thriller-typischen Maulwurfsjagd. Aber: Auch wenn de Bodt ein paar Züge von Mastermind und Superheld hat und die Schurken natürlich Super-Top-Schurken sind – der Roman bleibt erfreulich auf dem Boden der Tatsachen. Die Kunst dieser Art von Thriller besteht darin, den Thrill des Spekulativen, die Plausibilität des Szenarios und die unterhaltenden Elemente organisch zusammen zu bringen. Genau das gelingt in „Zwei Sekunden“ blendend.
Kreativer Zweifel
Die Darstellung der Sicherheitsarchitektonik der Bundesrepublik mit ihren verschiedenen Interessen und Konkurrenzen und ihre Achillesfersen, die übergeordneten politischen Erwägungen, die nicht unbedingt transparent sind, und der menschliche Faktor, also die Anfälligkeit für Korruption und Erpressung, zeichnen ein anderes, skeptisches Bild vom Sicherheitsstatus der BRD als uns das die offizielle politische Rhetorik glauben machen will. Zudem sät der Roman erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit hochgerüsteter Prävention, weil eben auf beiden Seiten Menschen am Werk sind. Selbst bei der Action hält sich der Roman an das Machbare – und das ist, wie im Fall eines Drohnenangriffs auf das Berliner LKA und Scharfschützenattacken auf diverse Politiker, sehr unbehaglich unabwehrbar, wenn die Aggressoren nur entschlossen genug vorgehen. Das ist die unbequeme Essenz, die uns Christian von Ditfurth auf vergnügliche und intelligente Weise unterjubelt.
Thomas Wörtche
Christian von Ditfurth: Zwei Sekunden. Roman. München: Carl´s books. 2016. 460 Seiten, € 14,99
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Dieser Beitrag ist die leicht überarbeitete Fassung der Radioversio