Geschrieben am 15. März 2016 von für Bücher, Crimemag, News

Roman: Cormac McCarthy: Der Feldhüter

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von Katja Bohnet

Fangen wir hinten an: der Klappentext! Er verrät die komplette Story des Romans. Mehr ist da auch tatsächlich nicht. Warum?? Ideen oder Antworten faxen Sie bitte an: info@derfrauenloseroman!

Mord und Wäsche in den 30ern

Marion Sylder ist Schmuggler und John ein junger Bursche, empfänglich für eine Leitfigur, weil sein eigener Vater starb. Dass ausgerechnet dieser Schmuggler Johns Vater auf dem Gewissen hat, ahnt der Junge nicht. Er rettet Sylder das Leben. Die beiden bauen eine Beziehung zueinander auf.  Nun könnte McCarthys Debüt „Der Feldhüter“ ein Kriminalroman sein. Marion Sylder begeht diesen einen Mord, obwohl er aus Notwehr handelt. Warum mordet einer? Weil er überleben will. Ein archaisches Motiv.

Sylder sieht die Gefahr kommen, aber die Konfrontation mit Johns Vater, einem Anhalter, gestaltet sich vom ersten Moment an so zufällig wie ausweglos. Eine Erzähltechnik voller Wahrhaftigkeit und gänzlich täuschungsfrei: McCarthys Figuren steuern immer auf den Abgrund zu. Was ihnen droht, muss auch passieren — unabwendbar —, egal, wie sehr sich auch der Leser dagegen wehren mag. Der Tod des Anhalters wirkt wie ein Magnet. Mörder und Sohn des Ermordeten treffen sich. Spannung verbindet sie. Aber eine Leiche macht noch keinen Thriller, ein Kuss keinen Liebes- und eine Frau noch keinen Frauenroman.

Frauen kommen in „Der Feldhüter“ übrigens kaum vor. Da könnte man ja genau so gut erwarten, im Western eine Frau auf einem Pferd zu sehen. Oder eine Frau mit Angel in einem Roman von Hemingway. Sie treten bei McCarthy weder als Haupt-, noch als ernstzunehmende Nebenfiguren auf. Sie sind Stichwortgeberinnen. Frauen tippen auf Schreibmaschinen, kochen, nehmen Männern die nasse Wäsche ab. Ein Seufzer entringt sich jeder emanzipierten Brust. Auch wenn McCarthys Roman in den Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts spielt, betreibt doch jeder Autor eine Selektion: Welche Figuren, welche Ausschnitte will er zeigen, welche Haltung zu der Welt, in der wir leben, nimmt er ein? Also ein Männerroman?

„Licht, bleich wie Milch“

Über einen künftigen Nobelpreisträger müssen auch Hymnen zu singen sein: Cormac McCarthy spinnt Sätze aus einem besonders glänzenden Material. Er webt den Leser ein in dieses atmosphärische Gespinst aus Licht und Traurigkeit. McCarthy ist und bleibt ein mythischer Sprachzauberer, ein stilistischer Purist. Warum wörtliche Rede kennzeichnen? Überflüssig, unnötig. McCarthy wählt Sümpfe, Teiche, Lichtungen, windschiefe Holzhäuser als Schauplätze. Diese Settings beschreibt er mit der Körnung und den Kontrasten einer Schwarz-Weiß-Fotografie. Protagonist ist die Natur, zeitlos und urgewaltig, der Mensch in ihr nur ein Statist, der sich auflehnt und kämpft, bis er die Waffen streckt. McCarthys Hauptfiguren sind zwar immer männlich, aber niemals laut. Sie alle haben nur wenig Hoffnungen, und auch diese zerschlagen sich. Die Welt, die Cormac McCarthy zeichnet, ist ein verlorener Ort. Dort, wo Schönheit oder Freundschaft ist, bleiben die Menschen einsam und gebeugt zurück, so wie Arthur Ownby, Hüter des Hains, der dem Roman zu seinem Namen verhilft, wider Willen erst das Zuhause, danach seinen alten Hund verlassen muss. Ein tieftrauriges Bild. Es ist diese düstere Klarheit, die über allem schwebt. Menschen müssen sich mühen, scheitern, so sinnlos es auch ist.

Orchad Keeper_coverMensch versus Welt

„Der Feldhüter“ bleibt im Vergleich zu anderen Werken McCarthys seltsam distanziert. Um aufs Ganze zu gehen, fehlt noch der Mut. Zieht McCarthy den Leser sonst unerbittlich in die Handlung mit hinein, ermöglicht ihm keinen Zentimeter Abstand zum Hoffen und Leiden seiner Figuren, wirkt diese Geschichte um eine unmögliche Vater-Sohn Beziehung konturlos und zweidimensional. Vater und Sohn. McCarthy wird dieses Motiv des Miteinanders,  das Einander-Brauchen, dieses Heideggersche „In-Diese-Welt-Geworfen-Sein“ in seinem Roman „Die Straße“ meisterlich ausloten. Menschliche Wärme kontra kalte, harte Welt. „Der Feldhüter“ bleibt hinter den Erwartungen zurück. Er entzieht sich Kategorisierungen, was ein unbedingtes Qualitätsurteil sein könnte, wäre da nicht diese Unentschlossenheit, das Fragmenthafte, dieses Zerfasern im Plot. Country Noir, Krimi, Männer- oder Schicksalsroman: Wollte der Roman all das nicht sein oder vermochte er es noch nicht? Cormac McCarthys Erstling erscheint fünfzig Jahre nach seiner US-Veröffentlichung in deutscher Übersetzung bei Rowohlt. „Der Feldhüter“ und dessen Handlung, reduziert auf einen Klappentext.

Katja Bohnet

Cormac McCarthy: Der Feldhüter (The Orchard Keeper, 1965). Roman. Übersetzt von Nikolaus Stingl. Rowohlt Berlin 2016. 288 Seiten, 14,99 Euro.

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