Ein Spiel ist ein Spiel ist ein Spiel …
Ein paar Seiten dauert es, bis der Roman „Bist du glücklich“ von Kai Hensel Fahrt aufnimmt. Aber dann! Ein bitterböses, saukomisches Buch – findet Anne Kuhlmeyer.
Falls Sie „Bist du glücklich“ noch nicht besitzen, laden Sie sofort die App runter, drücken Sie auf Start und – werden Sie glücklich! Das jedenfalls wünscht sich Patrick von möglichst allen Bewohnern dieses Planeten. Nein, kleiner geht es nicht, denn man muss „groß denken“, predigt der junge Berliner Geschäftsmann seiner Freundin Laura, allen, die es nicht hören wollen und sich selbst. Den beiden fegt der Wind durchs Haar auf dem Weg ins Glück. Neues Oldtimer-Cabrio, neues marodes Schloss im Ländlichen – ein Arbeitswochenende soll es werden, schließlich erwirbt man sich ein Anrecht auf Glück, arbeitet man nur hart genug dafür, oder nicht? Patrick ist unermüdlich mit der Weiterentwicklung des Spiels beschäftigt. Die User sind begeistert! Und schon hat sich ein Investor, ein Global Player aus Silicon Valley, mit seinen Millionen für den nächsten Tag zum Frühstück angekündigt. Ein Problem für Laura, die im Gegensatz zu Patrick Probleme erkennt, denn auf dem fehlsanierten Anwesen muss Luxus improvisiert werden. Außerdem trübt Schwester Brigitte, eine Stalkerin im grünen Käfer, die Aussichten auf eine glamouröse Zukunft. Und David, der blutsaugende Nerd und eigentliche Spielentwickler. Und die zwei Ukrainer im Schweinestall. Und der dumpfe Enrico, der Sex will. Ein irres Figurenensemble entfaltet seine Aktivitäten da im Nichts der Uckermark, in der Nacht von Freitag auf Samstag, einer magischen Nacht, denkt man an den Lilith-Mythos der Kabbala. Um Macht geht es, auch um männliche vs. weibliche. Will die finstere Schwester Brigitte mit ihrem militanten Altruismus und ihrem Medizinköfferchen dem vermeintlichen Genie Patricks dienen, so will Laura die aus den Fugen geratene Situation (die Ukrainer liegen schwer verletzt im Schweinekoben gefesselt) retten. Nur tut sie es nicht. Ebenso wie Patrick behauptet sie lediglich Verantwortung und sieht zu, wie sich die Spirale der Gewalt dreht, wie der wortkarge, psychisch und physisch deformierte Nerd durch den Wald jagt und Enrico erwischt, einen harmlosen arbeitslosen Bademeister, einen Mann ohne Perspektive. Harmlos ist der, solange Patrick ihn nicht mit Amphetaminen füttert und manipuliert. Das kann er, der Patrick – viele große Worte machen. In einer krass brutalen und absurd slapstickhaften Szene in der Bauruine eines Spaßbades mit Giftmülltümpel entfaltet sich z. B. folgender Dialog zwischen Patrick und Enrico:
„Wenn sie den Wagen finden mit der toten […], kommen sie sofort auf dich. Wenn du aber hinter dem Steuer sitzt – kannst du’s nicht gewesen sein.“
„Verstehe ich nicht.“
„Du sitzt im Wagen und die Axt liegt draußen. Also hast du ein Alibi.“
Die Machtverhältnisse wechseln, als tauschten die Beteiligten die Masken wie im antiken Theater. Den Chor im Hintergrund stellt die Masse der Spieler da draußen in der Welt. Und als deus ex machina schwebt der potentielle Investor Brian mit seinem Glücksversprechen in Form von Geld über den horizontweiten Feldern und sandwurzelnden Kiefern.
Wie in seinem Vorgängerroman „Sonnentau“ greift Kai Hensel die Lüge der Sinngebung durch Altruismus auf und zerrt sie mittels Übertreibung ins Komische. „Bist du glücklich“ ist ein Spiel, wie auch die Realität zum Spiel, allerdings zu einem tödlichen, wird. Wer in diesem kühl erzählten Roman eine Identifikationsfigur erwartet, wird enttäuscht, denn nur kurzfristig darf man sich den jeweiligen Bestrebungen anschließen. Bis die Masken wechseln. Es dauert vielleicht ein Viertel des Buches (dafür braucht es ein wenig Geduld), bis die Lüge des Spiels im Spiel, bis das Absurde zum Vorschein kommt. Dann aber mit Macht. Wer die zum Schluss in Händen hält, wie die Stafette eines Staffellaufs, getrieben von neuen Glücksillusionen, ohne „Wir“, in der Scheinfreiheit des Individualismus gefangen, muss man selbst herausfinden. Dem Autor gelingt es meisterhaft, dem Durchschnittsdeutschen den fundamentalen Irrtum seiner Sozialisation: es gäbe Glück, das mit nur ausreichend Engagement in der Befreiung von Alltagszwängen gleichgültig zu wessen Lasten läge, zu entschleiern – und er tut das auf bissige und elegant unterhaltsame Weise. Lassen Sie sich irritieren! Viel Glück!
Anne Kuhlmeyer
Kai Hensel, Bist du glücklich?, Roman, Hoffmann & Campe, Hamburg 2016, 336 Seiten, 20,- Euro