Geschrieben am 5. Dezember 2015 von für Bücher, Litmag, News

Roman: Luiz Ruffato: Ich war in Lissabon und dachte an Dich

Ruffato_Lissabon_Cover_RGBAuswandererträume in Flammen

− Eine traurige Geschichte? Luiz Ruffatos „Ich war in Lissabon und dachte an Dich“ wirft aktuelle Fragen auf. Von Christiane Quandt

Es ist ein kleines und ästhetisch ansprechendes Buch, das man mit „Ich war in Lissabon und dachte an Dich“ in den Händen hält. Das Cover verwendet das Detail einer Fotografie einer typischen Lissabonner Hausfassade mit blaubemalten Fliesen und einem hölzernen Fensterrahmen mit Metallschnörkeln, die wahrscheinlich das Fenster vergittern. Und ebenso wie die Buchdeckel mag der Entstehungskontext von Ruffatos Roman im Rahmen der Aktion amores expressos – übersetzbar als „Express-Liebesgeschichten“ oder auch „zum Ausdruck gebrachte Liebesgeschichten“ – die erste Erwartung prägen. Doch anders als das Auslandsstipendienprogramm des großen Verlagshauses Companhia das Letras, amores expressos, vermuten lässt, sind in dessen Rahmen durchaus Texte entstanden, die nicht das Gelingen, sondern das Scheitern oder das nicht Zustandekommen der Liebe zum Thema haben. Auch hier wird keine idyllische Romanze erzählt, die in der portugiesischen Hauptstadt spielt, sondern eine ganz andere, aber mindestens genauso aktuelle Geschichte.

Der in einer Art Steckbrief („Vorbemerkung“) vorgestellte Protagonist Sérgio de Sousa Sampaio aus Cataguases im brasilianischen Hinterland von Minas Gerais versucht mit dem Rauchen aufzuhören. So zumindest kündigt es die erste Kapitelüberschrift an. Doch auch hier wird der Leser in seiner ersten Erwartung getäuscht, denn obwohl Sérgio de Sousa Sampaio tatsächlich mithilfe seines gönnerhaften Freundes aus dem Fußballverein, Doktor Fernando, das Rauchen aufgibt, geschehen im Prozess viel relevantere Dinge in seinem Leben. In Cataguases, übrigens auch der Herkunftsort des Autors Luiz Ruffato, ist es nicht einfach, über die Runden zu kommen. Es gibt wenig gute Arbeit, viele verlassen die kleine Stadt, um in den Metropolen des Landes und der Welt ihr Glück zu suchen. In dieser bedrückenden Stimmung läuft das Leben Sérgio de Sousa Sampaios ab. Er fährt mit seinem kleinen Motorrad durch die Stadt, hat hier und da mal einen Job, wohnt zunächst noch bei der Mutter und betrinkt sich gelegentlich in dem Laden um die Ecke, wo praktisch alle Gäste anschreiben lassen. Nachdem er nun das Rauchen aufgegeben hat, beginnt ein schier nicht enden wollender Lauf fataler Ereignisse – er schwängert ungeplant Noemi, die er dann auch heiraten muss, er verliert seine ohnehin schlechte Arbeit, seine Frau wird verrückt, kommt in die Nervenklinik und ihre Familie verweigert ihm den Zugang zu seinem Kind. Kurz: sein Leben wird unerträglich – und er beschließt nach Portugal auszuwandern, um dort sein Glück zu versuchen. Doch ist der Weg bis zum tatsächlichen Verlassen des eigenen Landes ebenfalls kein leichter. Er muss sich um so wenig gewohnte Dinge wie eine fremde Währung und einen Reisepass bemühen und auch das Geld für die Reise und die erste Zeit im neuen Land muss irgendwie zusammengesammelt werden. Nachdem ihm dies trotz weiterer Widrigkeiten doch noch gelingt, verabschiedet er sich in einem rauschenden Fest von seiner alten Heimat und bricht zunächst mit dem Bus auf zum Flughafen. Und hier endet der erste Teil.

Der zweite Teil ist überschrieben „Wie ich wieder anfing zu rauchen“ und beschreibt die Ankunft und das (Über-)Leben von Sérgio de Sousa Sampaio in der portugiesischen Hauptstadt. Trotz der vermeintlich gemeinsamen Sprache, erlebt der Protagonist einen Kulturschock, der sich gewaschen hat. Er erträgt die europäische Kälte nur schwer, findet zunächst keine Arbeit und die Kontakte, die er noch in Brasilien erhalten hat, erweisen sich als nutzlos. Er wohnt in einer billigen Pension, zusammen mit anderen Gestrandeten und versucht sein Glück mit der Hilfe brasilianischer Landsleute als Kellner in dem kleinen Restaurant O Lagar do Douro. Es gelingt ihm, die Unterhaltszahlungen für seinen Sohn Pierre nach Brasilien zu schicken und irgendwie zu überleben. Dann trifft er auf die Prostituierte Sheila, ebenfalls Brasilianerin, isst mit ihr Reis mit Bohnen und die beiden erkunden eine Weile gemeinsam die Stadt. Bis Sheila verschwindet, nur um Monate später völlig unvermittelt wieder aufzutauchen. Das Ende vom Lied: sein Geld ist weg, sein Pass ist weg, sein Job ist auch wieder einmal weg und das ist der Moment, in dem Sérgio de Sousa Sampaio sein Vorhaben, mit dem Rauchen aufzuhören endgültig aufgibt: „Und so bin ich dann, nach sechseinhalb Jahren oder so, wieder in einen Tabakladen gegangen, habe mir ein Päckchen SG gekauft und ein Feuerzeug, habe eine Zigarette herausgenommen, sie angesteckt und wieder angefangen zu rauchen.“ Und damit endet auch der Roman.

Einschub: Innersprachliche Spannungen und Übersetzungsprobleme

In Ruffatos Roman findet sich ein Detail, das sich in der Übersetzung nur teilweise umsetzen ließ: die Sprachverwirrung des Brasilianers, der nach Portugal kommt, wo doch eigentlich dieselbe Sprache gesprochen wird ist von Ruffato durch Fettschreibung einzelner lusitanischer Begriffe und Redewendungen graphisch markiert. Und auch die regionale Färbung der Mineiro-Sprechweise des Protagonisten wird im Kontakt zu anderen Brasilianern in Lissabon deutlich. Wer Portugiesisch kann, wird auch einige der fettgedruckten Begriffe wiedererkennen. Während der deutsche Leser zumeist über den Fettdruck Begriffe hinwegliest, kann er sich doch über die regionale Sprachfärbung Sérgios amüsieren, da sie durch den Kontext deutlich wird. Wurde der brasilianische Text Ruffatos für diese sprachliche Finesse gelobt, so mutet es im deutschen Text von Michael Kegler eher nebensächlich an und man empfindet es kaum als Verlust, dass die unterschiedlichen Varietäten des Portugiesischen eben nicht ins Deutsche übertragbar sind. Die bedrückende zentrale Problematik wird auch ohne diese zusätzliche Ebene allzu deutlich.

Der Auswanderertraum geht in Rauch auf

Diese Geschichte von Sérgio de Sousa Sampaio kommt als eine Art Schelmenroman daher, hat viele witzige, auch tragikomische Episoden zu bieten und hinterlässt doch das Gefühl eine Schwere, einer Melancholie. Dass es dem zweifelhaften Helden nicht gelingt das Rauchen aufzugeben steht dabei nicht nur sinnbildlich für dessen Scheitern; das letzte Bild des Romans zeigt vielmehr ganz plastisch, wie der Traum vom Glück auf der anderen Seite des Atlantiks in Rauch aufgeht. Die Spannung zwischen der alten Heimat, die ihm nichts zu bieten hat als Pech und Unglück und dem zunächst sehr abstrakten Lissabon, das sich in der Realität als feindselig und kalt erweist und das brasilianische Cataguases wiederum im Rückblick zum ironischen Sehnsuchtsort macht, ist es, die ihn dazu bringt, wieder zur Zigarette zu greifen. Diese Geste entfaltet im Text eine derartige Kraft, dass einem unwillkürlich vergleichbare Bilder Wartender und Hoffender und vielleicht auch Resignierter in den Kopf kommen, die sich mit den vielen Geschichten derjenigen vermischen, die derzeit nach Europa kommen, um ein besseres Leben zu suchen.

Durch die Nähe, die der Text zwischen Leser und Protagonist herstellt, fiebert man mit, leidet mit, und hat vollstes Verständnis, als er wieder zur Zigarette greift. Man entwickelt eine echte Sympathie (im Wortsinn des Mit-Leidens) für Sérgio de Sousa Sampaio und wünscht ihm, dass sein Leben besser werde, obwohl man eigentlich weiß, dass er niemals weder reich noch berühmt nach Cataguases zurückkehren wird. Aber genau diese Sympathie bringt einen auch zum Nachdenken darüber, was eigentlich alles schief laufen muss, bis sich jemand wie Sérgio tatsächlich dazu entscheidet, das eigene Land zu verlassen. Ein äußerst heilsamer Gedanke in der aktuellen Zeit.

Christiane Quandt

Luiz Ruffato: Ich war in Lissabon und dachte an Dich. Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler. Hardcover. Assoziation A 2015. 96 Seiten. 14,00 Euro.

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