Geschrieben am 15. Oktober 2016 von für Bücher, Crimemag

Roman: Omar Shahid Hamid: Der Gefangene

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Obwohl es inzwischen wahrlich eine Binse ist, dass das Groß-Narrativ Crime Fiction eine globale Veranstaltung ist, starren wir hier doch eher immer noch auf die traditionellen Gegenden, auch wenn Lateinamerika, Australien und Afrika zunehmend stimmgewaltig mitspielen. Aber Asien? Gar Pakistan? Hier gilt der Satz, dass das, was wir als „Peripherie“ abzutun gewohnt sind, sich schon längst als zentral erwiesen hat. Omar Shahid Hamids Roman „Der Gefangene“ ist dafür ein gutes Beispiel. Thomas Wörtche hat das Buch gelesen.

Erinnern wir uns kurz ans Ende des letzten Jahrzehnts. Da erschien Mohammed Hanifs wunderbarer Roman „Eine Kiste explodierender Mangos“. Hey, schau mal, dachte man, ein Polit-Thriller aus Pakistan, nicht ganz lupenrein und ziemlich hochliterarisch, aber immerhin, und wo´s gesellschaftlich gärt, entstehen auch bestimmte Literatursorten. Polit-Thriller, zum Beispiel. Und jetzt kommt Omar Shahid Hamid: mit „Der Gefangene“ – ein ziemlicher robuster, klassischer politischer Polizeiroman, der in Karachi spielt. Urban fiction pur, in einer Stadt von ca. 24 Millionen plus, einer Menge Sprachen (Urdu, Panjabi, Paschto, Sindhi etc.), und einer Menge Ethnien und Religionen. Dazu politisch zwischen Afghanistan und Indien eingeklemmt, Tummelplatz für jede Art gewaltbereiter Organisationen, für die Taliban, die Militärs und einer stramm autoritären Kaderpartei, der MQM (hier im Buch heißt sie „VF“), die im Grunde das Organisierte Verbrechen als staatstragend betreibt. Zwei pakistanische Geheimdienste und verschiedene Polizeieinheiten rivalisieren erbittert und haben ihre jeweils eigene dunkle Agenda. An den Rändern tummeln sich CIA, FBI und Mossad und andere. Terroranschläge sind an der Tagesordnung, selbst die Ghettos der Superreichen sind keine gewaltfreien Zonen.

Helter Skelter

In diesem Durcheinander ist gerade ein amerikanischer Journalist entführt worden, der zu einem bestimmten Datum hingerichtet werden soll, was darauf zielt, Pakistans offizielle internationale Beziehungen zum Westen zu irritieren und zu beschädigen. Obwohl es andere Stimmen in Pakistan gibt, die eine solche Störung begrüßen würden. Um den Ami zu finden, muss die Hauptfigur, Constantine D´Souza, Ex-Elite-Polizist und jetzt Gefängnisdirektor (und in diesem Kontext wichtig: Christ), einen alten Kollegen, der aus politischen Gründen einsitzt, motivieren: Denn der titelgebende Gefangene, Akbar Khan, ist der härteste und fähigste Cop von Karachi und strenggläubiger Moslem. Die beiden pflügen durch die prekären Gemengelagen, mal diplomatisch, mal mit fiesen Tricks, mal eher rustikal.  Gewalt und beiläufiges Töten gehören zum normalen Status quo, die Korruption aller gesellschaftlichen Kräfte ist endemisch und systemisch – Polizisten zum Beispiel können gar nicht anders, wenn sie einigermaßen überleben wollen. Das sorgt, auf den Roman bezogen, zu erfreulichen moralischen Grauwerten.

41g6bk7ruklKomik und Kritik

Omar Sahid Hamid erzählt all das in einem teils sarkastischen, manchmal bis zur Satire zugespitzten Ton, der durch die, naja, sagen wir naive bis unerfahrene Übersetzung, durchschimmert. Die Komik, die in den desaströsen Umständen steckt, sieht Hamid auf jeden Fall und setzt sie mit einer gewissen diabolischen Freude um. Pakistani hardboiled, könnte man sagen. Das ist westlichen Mustern näher als der oben erwähnte Mohammed Hanif seine Erzählstrategie anlegt. Was aber auch heißt, dass „Der Gefangene“ sich eher an die Muster globaler Crime Fiction anschließen lässt, ohne deswegen Abstriche an seiner politisch-ästhetischen Konzeption zu machen.

Dennoch, dass „Der Gefangene“ im Vergleich zu ähnlichen westlichen Texten eher langsam und mit viel Infos daherkommt, ist mehr als verzeihlich, außer jemand kennt sich mit den Feinheiten der pakistanischen Gesellschaften schon bestens aus. Aber weil der Roman funktioniert, will man das alles tatsächlich wissen, und dann bekommt man plötzlich einen Begriff davon, was „Vielfalt“ wirklich sein kann.  Die politischen und sozialen Gegebenheiten sind zudem für den Roman conditio sine qua non. „Der Gefangene“ gehört zu dem Typus Roman, bei dem das Setting nicht Hintergrund oder Kulisse ist, sondern konstitutiv.

Thomas Wörtche

Omar Shahid Hamid: Der Gefangene (The Prisoner, 2013). Roman. Dt. von Rebecca Hirsch. Heidelberg: Draupadi Verlag 2016, 315 Seiten, € 19,80

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