Geschrieben am 27. Juni 2015 von für Bücher, Crimemag

Ryan David Jahn: Der letzte Morgen

Der letzte Morgen von Ryan David JahnDer Milchmann

– David Ryan Jahn ist ein interessanter Autor, den wir seit seinen ersten beiden Büchern auf dem Schirm haben (siehe hier und hier). Sein dritter Roman, „Der letzte Morgen“ bestätigt diesen Eindruck. Eine Rezension von Thomas Wörtche.

Ein elfjähriger Knabe in Los Angeles ermordet seinen brutalen und ekligen Stiefvater mit einem selbst gebauten Schießgerät. Dann verstümmelt er die Leiche. Als Handlungsvorlage dient ihm ein Comic. Dieser Comic ist in einem Verlag erschienen, der dem Mobster Tony „The Man“ Manning aus New gehört, als Teil seines Mischimperiums aus legalen und illegalen Geschäften. Weil wir das Jahr 1952 schreiben und gerade im McCarthy-Amerika eine Sittlichkeitskampagne gegen Comics läuft – basierend auf Fredric Werthams berüchtigt-deliranten Buch „Seduction of the Innocent“) – versucht ein Staatsanwalt, The Man mit einer Variante der alten Al-Capone-Nummer (Steuern, Sie wissen schon) dranzukriegen: Wenn Comics zu Verbrechen führen, dann kann man deren Produzenten und Verleger ebenfalls anklagen. Das ist ein wunderbar organisch in die Handlung integrierter Baustein zur „Sittengeschichte“ populärer Kultur.

Dumm nur, dass besagter Staatsanwalt, eine rechte Heuchelbacke, beim Sex mit Huren fotografiert worden ist, damit erpressbar wird und versucht, mit illegalen Mitteln aus der Nummer rauszukommen.

Ein abgehalfterter Comic-Autor eben dieses Verlags, der netterweise „E.M. Comics“ heißt, versucht inneren Frieden in seiner bescheidenen Existenz als Milchmann zu finden. Und ahnt nicht, dass The Man schon längst seine Tochter und einen Hit-Man auf ihn angesetzt hat, um ihm den Mord an einem Kronzeugen unterzuschieben. Eugene Dahl, der Milchmann, muss sich wehren. Auch wenn’s wehtut.

Und schließlich ist da noch der Cop Carl Bachmann, der peu à peu zum Heroin-Junkie wird, und sich immer einredet, er hätte seine Sucht schon im Griff. Diese und noch ein paar mehr Figuren – der minderjährige Delinquent, der allmählich Geschmack am Töten findet, seine anschaffende, völlig überforderte Mutter, in die sich Cop Bachmann unglücklich verliebt, ein ehrlicher Ganove etc. – jagt Jahn durch eine ziemlich sehr bösartige Handlung. Emotionen werden andauernd falsch interpretiert, Missverständnisse nehmen tödliche Wendungen, zwischenmenschliche Beziehungen erscheinen als finale Fallen. Der Roman strahlt eine hochgiftige Melancholie aus. Kein Wunder, überleben ist keine schöne Aufgabe.

Ein Akt der Gewalt von Ryan David JahnSlow motion

Was vor allem in Jahns Erstling, „Ein Akt der Gewalt“, schon angelegt war, wird hier zum dominanten Kompositionsprinzip. Der virtuose gehandhabte Wechsel des Rhythmus. Die Handlung rast auf das große Shootout am Ende hin. Punktiert von langen Sequenzen in slow motion, in denen Jahn die Zeit unendlich dehnt, um ganz intensiv die psychischen Dispositionen und Reflexionen seiner Figuren auszuloten. So entsteht eine ganze Reihe von Porträts beschädigter, verzweifelter und tragischer Menschen. Ob man das Erzählen im Präsens als Schwäche empfinden muss, genauso wie manchmal die direkte Leseranrede, kann man sicher diskutieren, zumal gerade der letzte Punkt ein wenig maniriert rüberkommen mag. Aber immerhin, mit allzu gefälligem und flutschigem Erzählen möchte sich Jahn nicht abgeben. Komplexere Geschichten fordern auch komplexeres Erzählen. Risiko eingeschlossen.

Aber: Warum heißt das Buch nicht „DAS letzte Morgen“?

Thomas Wörtche

Ryan David Jahn: Der letzte Morgen (The Last Tomorrow, 2012). Roman. Deutsch von Teja Schwaner. München: Heyne 2015. 528 Seiten. 14,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch, mehr zum Autor.

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