Geschrieben am 1. April 2016 von für Bücher, Litmag, News

Sachbuch: Christoph Ribbat: Im Restaurant. Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne

ribbat_im restauranSehr bekömmlich

– Thomas Wörtche über Christoph Ribbats perspektivreiche Montage „Im Restaurant“, die vergnüglich und lehrreich die Diversität der Gastronomie sichtbar werden lässt.

Essen ist in der Tat, wie die anderen Essentials der menschlichen Existenz, ein „soziales Totalphänomen“. Dieser Begriff stammt von Marcel Mauss und beschreibt im Grunde eine Evidenz. Anders als die klassischen Gastrosophien seit Brillat-Savarin (also ungefähr die Reihe über Eugen von Vaerst, Karl Friedrich von Rumohr, Alfred Walterspiel bis zu Harald Lemke, um nur einige zu nennen) beschäftigt sich der Anglist Christoph Ribbat nicht so sehr mit den Bourdieu´schen feinen Unterschieden, sondern mit den „groben Differenzen der gastronomischen Welt“ dort, wo das „soziale Totalphänomen“ sich schroff und direkt manifestiert: Im Restaurant. Also dort, wo „essen“ in der Moderne signifikant häufig stattfindet. Tatsächlich, wenn ich´s richtig überlege, habe ich, betrachtet man die Gesamtspanne meines durchaus nicht untypischen Lebens, vermutlich mehr auswärts gegessen als zu Hause.

Dabei muss man schon Tomaten auf den Augen haben, um nicht die Grundkonflikte zu sehen, die Ribbats Buch auf den Punkt bringt und die ihn weniger gastrosophisch oder kulinaristisch als kulturwisssenschaftlich interessieren. Die krassen Widersprüche, die materiellen Bedingungen für die Möglichkeiten des Konzeptes „Restaurant“ und der daran anschließenden Semiotiken, also „die Ungleichheit zwischen Küchenarbeitern ohne Papiere und global gefeierten Köchen, (…) zwischen Servicearbeitern an der Armutsgrenze und Food Autoren, die den Service offerieren, Gourmetraffinesse zu verreißen oder zu preisen.“

Ribbats Methode folgt dabei dem inzwischen dem narratologisch etablierten Standard (à la Albrecht Koschorke), demzufolge Erzählen immer dann besonders produktiv und wirklichkeitskonstituierend ist, wenn es die überkommenen Distinktionen zwischen Fakten und Fiktionen verwischt, und montiert diverse Stimmen aus und über die Gastronomie unhierarchisch nebeneinander. Das geht von früher, noch nicht akademisch gesettelter „Feldforschung“ über Texte der beobachtenden Teilnahme (wie George Orwells „Down and out in Paris and London“), über Statements anti-rassistischer Gewerkschaftsaktivitäten (besonders in den USA) und biographische Splitter von und über Protagonisten des Betriebs, wie Wolfram Siebeck, Bill Buford, Anthony Bourdain, Rolf Anschütz (der Mann, der japanische Kulinarik in der DDR etablierte), Fernando – später katalonisiert Ferran – Adrìa und andere.

So entstehen vielfältige Mosaike, die die Diversität der Gastronomie von High End über Formatierung bis zur Dönerbude, die „Restaurant“ tatsächlich zu einem „Labor“ sichtbar werden lässt, „in dem immer wieder produktiv nachgedacht wird: über Konsum, Inszenierung, Arbeit, Ungleichheit.“. Es geht letztendlich – the world in a nutshell – auch um die komplizierten Dialektiken zwischen Kreativität und Innovation und Disziplinierung, Kommerzialisierung von Emotionen, emotionaler und körperlicher Schwerstarbeit, ethnischer Identitäten („Ethno-Food“), Diskriminierung und Homogenisierung. Der Geschichte der Gastronomie also als eine Art Lackmustest oder Shaftesbury´scher Probierstein für die Verfasstheit postmoderner (vermutlich eher urbaner) Gesellschaften.

Ribbats perspektivenreiche Montagetechnik überlässt die Synthetisierungsleistung eher dem Leser, er stellt die richtigen Fragen, ohne monologisch Thesen und Antworten zu erzwingen. Zu tun haben wir alle damit, weil wir durch den Akt des öffentlichen Essens schlichtweg über dessen Körperlichkeit (auf beiden Seiten der sichtbaren und unsichtbaren Räume, in denen Gastronomie stattfindet) damit konfrontiert sind, nämlich mit „Begeisterung, Ekel, Freud, Hektik, Gefühle des Dazugehörens und der Exklusion.“

Ach ja, blendend geschrieben und extrem vergnüglich und lehrreich zu lesen ist „Im Restaurant“ auch.

Thomas Wörtche

Christoph Ribbat: Im Restaurant. Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne. Berlin: Suhrkamp 2016. 229 Seiten. 19,95 Euro.

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