Geschrieben am 6. Dezember 2008 von für Bücher, Crimemag

Sergio Olguín: Zurück nach Lanús

Lanús Revisited

Der Argentinier Sergio Olguín hat sich mit Die Traummannschaft (2006) als Fußballkenner empfohlen, kein Wunder, denn er stammt aus Lanús, wo auch Diego Maradona einst das Licht der Welt erblickte. Was bislang zumindest hierzulande nicht bekannt war: In Lanús ist die Luft bleihaltig. Eine Rezension von Eva Karnofsky

Lanús ist trist. Eine hässliche Riesen-Wucherung aus Plattenbauten, Einfachhäusern mit Flachdach, Wellblechhütten, Fabriken und Industriebrachen. Buenos Aires, das schöne, strahlende Zentrum, scheint Lichtjahre entfernt, auch wenn der Bus dorthin nicht einmal eine Stunde braucht.

Adrián – Mitte 20, Designer und ein Frauenheld, den der Sexualfrust immer wieder in die Arme eines Call Girls treibt – hat den Absprung aus Lanús geschafft. Er lebt im Zentrum und werkelt lustlos für die Werbefirma seines Onkels, die sich üppig aus der Staatskasse bedient. Jahre ist es her, dass Adrián zuletzt in Lanús war.

Eines Morgens, er hatte mal wieder die Nacht durchgemacht, findet er gleich zwei Hilferufe auf seinem Anrufbeantworter. Von Francisco, einem der Jungs aus seiner alten Clique. Sie hatten sich damals geschworen, immer für einander da zu sein, aber jetzt, da Francisco ihn offensichtlich gebraucht hat, war Adrian nicht da. Am nächsten Tag wird Francisco tot aufgefunden. In Lanús. Erschossen von der Polizei.

Wenn Adrián zuhause gewesen wäre, lebte Francisco vielleicht noch, und so treibt ihn sein Gewissen zurück nach Lanús. Auf Franciscos Beerdigung trifft Adrián die alten Kumpels wieder, die mit Ausnahme von Rafael alle in Lanús hängengeblieben sind. Und er lernt Mariela kennen, Franciscos indianische Freundin. Die war schwanger, und damit hatte Franciscos Elend offensichtlich begonnen, hatte er doch Tito, dem Besitzer des Kiosks, in dem er arbeitete, tausend Pesos aus der Kasse gestohlen, um die Abtreibung zu bezahlen.
Adrían hätte gern mehr gewusst über den Tod des einstigen Freundes. Warum waren es Polizisten aus Lomas de Zamora, die Francisco angeblich bei einem neuerlichen Diebstahl auf frischer Tat ertappt und dann mit mehreren Kugeln niedergestreckt hatten? Was hatten die in Lanús zu suchen? Warum haben sie gleich geschossen? Und welche Rolle spielt Tito, für den offensichtlich nicht nur Francisco gearbeitet hat? Doch die sechs alten Kumpels geben sich seltsam zugeknöpft als Adrián beginnt, Fragen zu stellen. Nur Rafael weiß er auf seiner Seite. Auch Rafael hat es bis ins Zentrum geschafft. Er nennt sich jetzt Vanesa und lebt nicht schlecht davon.

Adrían beschließt, den Dingen auf den Grund zu gehen. Er schmeißt seinen Job und heuert in einer heruntergekommenen Buchhandlung in Lanús an. Der Laden gehört ebenfalls Tito, und das Geld bringen nicht die verstaubten, alten Schinken, sondern die Nebeneinkünfte. Der Laden fungiert als Agentur für illegales Glücksspiel.

Bloody Lanús

Was wie ein harmloses Lanús Revisited begann, mit Erinnerungen an die alten Zeiten, als man noch gemeinsam gegen die Tincho-Gang ausrückte, dem Fußball frönte, Sportler-Bildchen sammelte und einen Hund namens Lobo aus den Klauen des Hundefängers befreite, wächst sich nun zum Stadtrandtriller aus. Es gibt einen weiteren Toten und schließlich kommt es zu einem überraschenden, blutigen Showdown.

In Zurück nach Lanús trifft der Leser auf das Leben, wie es die Revolverseiten der argentinischen Zeitungen täglich schildern, auf die Wirklichkeit, wie sie ein Land hervorbringt, in dem Polizei und Justiz meist nicht zu den Guten zählen, wo jedes Jahr allein auf Polizeiwachen Dutzende von Jugendlichen eines unnatürlichen Todes sterben und die Korruption zum Nationalsport erhoben worden ist. Sergio Olguín musste nichts erfinden für seinen Roman, sondern nur die traurigen Fakten neu verweben. Was ihm trefflich gelang.

Olguíns Roman ist mehr als ein Thriller über die Umstände und die Gewalt in der Stadt, in der er aufgewachsen ist. Zurück nach Lanús ist auch ein Roman über Freundschaft sowie über das Erwachsenwerden, über das Abnabeln von der Familie, von der Umgebung der Kindheit. Adrián durchlebt einen Reifeprozess. Nachdem er seine Schlacht gegen die Mafia von Lanús geschlagen hat, ahnt er zumindest, was er will.

Der Roman, teils in Ich-Form aus Sicht Adríans geschrieben, teils aus Sicht eines Erzählers, bedient sich der Umgangssprache, was ihm erst recht Authentizität verleiht. Wer Buenos Aires kennt, wird sich gleich zuhause fühlen. Und wer Spannung mit Lokalkolorit sucht, wird bestens bedient.


Eva Karnofsky

Sergio Olguín: Zurück nach Lanús (Lanús, 2002). Roman. Aus dem Spanischen von Matthias Strobel. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch 2008. 285 Seiten. 10,30 Euro.