Geschrieben am 8. Dezember 2012 von für Bücher, Crimemag

Stuart Neville: Blutige Fehde

The Troubles, reloaded

– Stuart Nevilles Debüt „Die Schatten von Belfast“ wurde international gefeiert. Nun liegt der zweite Roman vor, bekanntermaßen die große Hürde für jeden Schriftsteller. Henrike Heiland hat gelesen.

DI Jack Lennon, nach einer Strafversetzung wieder zurück bei der Mordkommission, hat den dringenden Verdacht, einer großen Sache auf der Spur zu sein: Lennon ist sich sicher, dass in Befast ein Killer unterwegs ist, der im Auftrag des berüchtigten Bull O’Kane Zeugen beseitigt, die etwas über das Blutbad auf O’Kanes Farm wissen, dem letzten bekannten Aufenthaltsort von Lennons Ex, Marie McKenna, und der gemeinsamen Tochter Ellen. Doch er kommt keinen Schritt weiter. Die Akten über diese Nacht sind geschwärzt, und sämtlichen aktuellen Ermittlungen wird jede Verbindung zu Bull O’Kane von oberster Stelle abgesprochen.

Auftragskiller gegen Auftragskiller

Gerry Fegan, Ex-IRA-Killer mit Schuldgefühlen und Protagonist in Stuart Nevilles Vorgänger „Die Schatten von Belfast“, hatte das Blutbad auf der Farm einst zu verantworten. Verliebt in Marie, tat er damals alles, um sie und ihre Tochter zu schützen. Mittlerweile hält er sich illegal in New York auf und wird wieder von verstörenden Visionen geplagt. Insgesamt aber glaubt er, alles halbwegs im Griff zu haben. Doch Bull O’Kane damals am Leben zu lassen, stellt sich nun als fataler Fehler heraus: O’Kane ist auf der Suche nach ihm, und das hat sich längst bis New York rumgesprochen. Gerry Fegan muss sehen, dass er abhaut, – und beschließt, sich um Marie McKennas Willen in die persönliche Höhle des Löwen, Belfast, zu begeben.

Dort wartet, von Bull O’Kane angeheuert, ein Auftragskiller auf ihn: „der Nomade“ nennt er sich und ist verantwortlich für die Mordserie, an der Lennon dran ist …

Personalprobleme

Neville schreibt seine düsteren Szenen mit einem guten Maß an Humor. Er übertreibt es nicht mit dem Blut, und die Kapitel, meist aus der Perspektive von einem der drei Protagonisten, folgen einer kurzen, manchmal sehr kurzen Taktung, was Tempo bringt und die Spannung hält. Gut die Figur von Jack Lennon, die allerdings eine Weile braucht, um in Fahrt zu kommen, weil einiges an Backstory draufgepackt wird. Lennon steht als Katholik, der sich schon vor dem ausgehandelten Waffenstillstand für den Polizeidienst gemeldet hatte, für die noch immer existierenden Gräben in den Köpfen der Nordiren. Problematisch hingegen die etwas hilflos gezeichneten Frauenfiguren, auch wenn Neville seine Charaktere nicht mehr ganz so holzschnittartig ins Rennen schickt wie noch im Vorgänger. Aber allein die Beschreibung des Scheiterns der Beziehung zwischen Marie und Jack Lennon – Marie gibt sich in einer Rückblende von einem Tag auf den anderen vollkommen einem vorher offenbar nicht vorhandenen Nestbautrieb hin und nervt ihren Mann mit Kissenbezügen und Ähnlichem – weckt Bedenken, was das psychologische Feingefühl des Autors betrifft. Okay, filigrane Figurenporträts passen vielleicht nicht ganz zum Genre, aber man muss ja nicht gleich so krasse Brüche bringen.

Die Welt ist schlecht

Nevilles Belfast ist noch weit entfernt von einer touristisch aufbereiteten, friedlichen Welt, in der sich alle liebhaben. Da tobt der Krieg weiter, da misstraut jeder jedem, und wer für wen spioniert und warum wer Blut an den Händen hat – oder mindestens dreckige Finger – ist nie auf den ersten Blick zu erkennen, nicht mal unbedingt auf den zweiten oder dritten. Allerdings ist es in zu vielen Belangen dieselbe Kulisse wie im Vorgängerroman. Da bringen die Ausflüge nach New York keine wirkliche Abwechslung, denn New York ist nur ein Vergrößerungsspiegel der Welt, die uns in Belfast schon gezeigt wird.

Es ist eine sehr männliche Welt. Sie funktioniert in „Blutige Fehde“ gut. Besser geschrieben als „Die Schatten von Belfast“ wirkt Nevilles zweiter Roman etwas reifer. Im Plot jedoch herkömmlicher, was ihn aber davor rettet, vor lauter Originalitätszwang übers Ziel hinauszuschießen. Im Fazit spannende, temporeiche Unterhaltung vor gut gewähltem Hintergrund: dem nur an der Oberfläche existierenden Ende der „Troubles“.

Henrike Heiland

Stuart Neville: Blutige Fehde (Collusion, 2010). Deutsch von Armin Gontermann. Berlin: Rütten & Loening 2012. 479 Seiten. 16,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors. Autorenfoto: © Greg Haire/Hardlight Studios. Zur Homepage von Henrike Heiland.

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