Geschrieben am 11. Juli 2009 von für Bücher, Crimemag

Thomas Darnstädt: Der globale Polizeistaat

Good bye Rechtsstaat

Science-Fiction-Autoren weltweit mühen sich, eine schaurige Zukunft zu erfinden, und dann kommt SPIEGEL-Redakteur Thomas Darnstädt daher und stellt so manche schriftstellerische Kopfgeburt in den Schatten. Dabei hat er „nur“ recherchiert. Was er in deutschen Gesetzen, europäischen und amerikanischen Verordnungen sowie in den Schubladen von Politikern und angesehenen Staatsrechtsprofessoren fand, lehrte Eva Karnofsky das Gruseln.

Im September wird gewählt. Unsere Politiker und Politikerinnen bereiten uns schon seit Monaten darauf vor, dass es islamische Fundamentalisten gelüsten könnte, die Wahlen zu beeinflussen – mit einem Attentat. Wohlgemerkt: Es könnte sie gelüsten, muss aber nicht. Der geneigte Leser mag einwenden, dass die Polizei gut aufpassen soll, damit es nicht dazu kommt. Und da liegt das Problem.

Aufgabe der Polizei ist es nämlich bislang, bereits begangene Straftaten aufzuklären. Wie aber findet sie Menschen, die als unbescholtene Bürger unter uns leben, Menschen, die noch nie eine Straftat begangen haben? Noch schwieriger wird die Sache, wenn die potenziellen Attentäter gar aus dem Ausland einfliegen, um ihre Bombe zu platzieren.

Etliche Instrumente, mit denen die Sicherheitskräfte versuchen, möglichen Bombenbastlern dennoch auf die Spur zu kommen, sind uns bekannt. Doch sind Lauschangriffe, Onlinedurchsuchungen, organisierte Durchforstung des Internet, biometrische Passregister, Speicherung von Flugdaten oder die sogenannte „Gefährder-Datei“ des Bundeskriminalamtes wirklich mit unserem Rechtsstaat vereinbar? Thomas Darnstädt, von Hause aus promovierter Staatsrechtler, hat da seine Zweifel und belegt diese schlüssig.

Spitzeln und foltern …

Und so manche Präventivmaßnahme, die hinter verschlossenen Türen von Politik, Sicherheitsexperten und Rechtswissenschaft diskutiert wird, würde die bürgerlichen Freiheitsrechte endgültig aushöhlen: Ausbau der Videoüberwachung und -aufzeichnung, Einführung von Gesichtserkennungssystemen zur Erleichterung der Fahndung, eine „Sensibilisierung“ des Hochschulpersonals, da potenzielle fundamentalistische Täter gern an Universitäten untertauchen, ein „Mentorsystem“, dass die Überwachung von Studenten aus „Problemstaaten“ durch zuverlässige deutsche Kommilitonen vorsieht sowie der Aufbau eines sogenannten „Monitoring Systems“, das frühzeitig vor „Radikalisierungstendenzen“ warnen soll. Und, man mag es kaum glauben, Wissenschaftler arbeiten daran, Böses vom Gesicht eines Menschen abzulesen. Deutschland könnte schrittweise zum Spitzelstaat umfunktioniert werden.

Auch Folter, von den Terror-Bekämpfern fürchterlich-verharmlosend als „selbstverschuldete Rettungsbefragung“ bezeichnet, Internet- und Handyverbot für Gefährder sowie die Internierung von Terrorverdächtigen stehen ebenfalls auf deren Wunschliste. Europäische Verordnungen wie die, die es den amerikanischen Sicherheitsbehörden seit 2002 erlaubt, jede europäische Auslandsüberweisung zu kontrollieren, vervollkommnen die Rund-um die Uhr-Überwachung der Bürger. Datenschutz und der Schutz der Privatsphäre – das war gestern.

Darnstädts Buch schildert zudem, wie es einem Menschen ergeht, der unschuldig auf die schwarze Terrorliste der Europäischen Union gerät: Er verliert auf Jahre praktisch seine Bürgerrechte. Und mit den Sicherheitsorganen der USA ist erst recht nicht gut Kirschen essen.

Der globale Polizeistaat
geht jedoch über die Darstellung der längst miteinander verzahnten Terrorbekämpfungsmethoden auf nationaler, europäischer, US-amerikanischer und UN-Ebene hinaus. Ausführlich setzt sich der Autor mit den Staatstheorien, die hinter dem jetzigen und dem sich am Horizont abzeichnenden Sicherheitskonzept stehen und deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz auseinander. Da holt Darnstädt für den Nicht-Staatsrechtler gelegentlich etwas zu sehr aus, obwohl er immer verständlich und meist flott bis schnodderig schreibt.

Thomas Darnstädt warnt eindringlich davor, dass sich hinter der sich immer mehr durchsetzenden Sichtweise, vorsichtshalber alle Menschen für gefährlich zu halten, „die Grundidee des totalitären Staates“ verbirgt. Supranationale und grenzüberschreitende Sicherheitsmaßnahmen, die sich jeder nationalen demokratischen Kontrolle entziehen, sollten möglichst bald durch ein Weltpolizeirecht in rechtsstaatliche Bahnen gelenkt werden, so das Plädoyer des Autors. Seinem Buch wünscht man viele Leser, denn es zeigt auf, wohin unser Rechtsstaat abdriften wird, wenn sich die Sicherheitsfanatiker durchsetzen.

Eva Karnofsky

Thomas Darnstädt: Der globale Polizeistaat. Terrorangst, Sicherheitswahn und das Ende unserer Freiheiten.
München: Deutsche Verlags-Anstalt 2009. 348 Seiten. 19,95 Euro.