Geschrieben am 16. August 2014 von für Bücher, Crimemag

Wajdi Mouawad: Anima

Wajdi_Mouawad_AnimaBlut & Viecher

– Katzenkrimis, Schafkrimis, Schweinkrimis, Kakerlakenkrimis, warum dann nicht auch ein Alle-Meine-Tiere-Krimi? Wie niedlich … In „Anima“, dem Romandebüt des Dramatikers Wajdi Mouawad, scheinen zunächst nur Tiere zu erzählen. Und es fliegt das Gekröse. Ein Tier-Grimmi noir? Oder Literatur? Das Letztere, befürchtet Thomas Wörtche.

Wie originell, denkt man zunächst, wenn man mit der Lektüre von „Anima“ beginnt. Ein Roman von 445 Seiten, für den sich der libanesisch-kanadisch-französische Autor Wajdi Mouawad – bekannt bisher als Dramatiker – eine außergewöhnliche Erzählperspektive gewählt hat. Beziehungsweise viele Perspektiven, dann „Anima“ wird, mit Ausnahme des langen Schlusskapitels, nur von Tieren erzählt. Wie eine Kette von Kameras berichtet von einem ultrabrutalen Frauenmord in Montréal alles, was da kreucht und fleucht, von „Aedes stegomyia aegypti“ (Gelbfiebermücke) bis zu „Vulpes Vulpes“ (Rotfuchs) und begleiten den Ehemann des Opfers auf der Suche nach dem Mörder.

Mouawad brennt geschickt ein ganzes Feuerwerk an einzelnen „Einstellungen“ ab, in dem er sich den biologischen Gegebenheiten seiner „Erzähler“ bedient – die Fliege an der Wand, der Rabe, der über dem Geschehen kreuzt, der Marienkäfer, dessen Sinne Dinge wahrnehmen und sinnlich erfahrbar machen, die für Menschen unerfahrbar sind. Das ist manchmal überraschend, manchmal putzig, manchmal nur bescheuert. Aber nach ein paar Kapiteln haben wir es kapiert: Die Welt ist zu komplex, um sie lediglich anthropozentrisch erzählen zu können. Mensch und Tier und Natur und so, alles hängt mit allem zusammen. Der Tierkrimi als Weltformel, okay …

Europäischer Grauwolf (wikimedia commons)

Europäischer Grauwolf (wikimedia commons)

Sprechende Tiere

Aber wir fragen uns auch, wo ein solches Experiment albern wird – denn die Tiere erzählen ja schließlich, weil an die menschliche Sprache gebunden, anthropozentrisch par excellence. Natürlich ist eine Technik, wie Mouawad sie verwendet, legitim, sprechende und erzählende Tier sind allerspätestens seit Cervantes’ Hund Berganza und der Fabeltradition des 17. und 18. Jahrhunderts Standardpersonal großer Narrative. Bei Mouawad allerdings dienen sie eher dem Herstellen eines seltsamen Realismus: Die Tiere protokollieren den Gang der Handlung penibel wie eine Chronologie, mit Fachsprachen, Soziolekten und einem circumstantial realism, als ob’s ein klassischer, realistischer Roman von Zola wäre. Inklusive Einsichten in die Psyche der handelnden Personen, dem Realismuskonzept des 19. Jahrhunderts entsprechend. Die Geschichte der Mörderjagd führt unseren Helden quer über den nordamerikanischen Kontinent, von Indianerreservaten in Kanada bis zum Showdown in den Bergen von New Mexico.

Der Täter ist bald bekannt, die Polizei möchte ihn nicht belangen, weil er ihr Spitzel ist (diese Motivation bleibt unklar, ein dramaturgischer Taschenspielertrick ohne Plausibilität, aber Literatur darf das), also bleibt dem Rächer nur die Möglichkeit, ihn selbst zu erlegen. An der Stelle zieht Mouawad ein esoterisches Element ein, laut dem jeder Mensch ein Tier als Äquivalent hat, dessen Seele sich dann als eben dieses Tier manifestiert – oder so. Irgendwie kommt ein eurasischer Grauwolf ins Spiel, der dann bis fast zum Ende der Erzähler des Geschehens ist. Ob das nun wiederum mit irgendeinem Seelentausch oder sonstigem esoterischen Fidelwipp zu tun hat, habe ich schlicht nicht verstanden, was aber zweifelsohne an der Verhärtung meines Herzens zugunsten des Kopfes liegt.

E. T. A. Hoffmanns Vorlage: Cervantes' Gespräch zweier Hunde (wikimedia commons)

E. T. A. Hoffmanns Vorlage: Cervantes‘ Gespräch zweier Hunde (wikimedia commons)

Massaker

Aber an solchen Stellen wird der Roman eben peinlich wolkig, arkan. Der größte Bruch steht jedoch noch aus: War das Buch bisher als mehr oder weniger gelungener Eso-Krimi zu lesen, dreht es sich im letzten Drittel: Es geht nicht mehr um die Suche nach dem Mörder, sondern der menschliche Held sucht seinen Adoptivvater. Eine klassische Queste, sogar mit doppeltem Kursus, was zudem noch einen Anschluss an mittelalterliche Âventiure-Literatur erlaubt, ob’s sinnvoll ist oder nicht.

Der Held, der den seltsamen Namen Wahsch Dibsch trägt, muss herauszufinden, dass der Vater nicht nur sein Retter, sondern ein großes Scheusal war und eine blutige Rolle bei dem Massaker in den Palästinenserlagern Sabra und Schatilla im Libanon 1982 gespielt hatte. Der Roman wird zum Aufschrei, zur Anklage, das Massaker wird – wie der finale Kampf zwischen Vater und Sohn (der 2. Kursus) – in exzessiven Gewaltbildern geschildert, die als Vergleich höchsten Jerzy Kosińskis „Painted Bird“ kennen. Damit aber begibt sich das Buch aus der Semantik eines Tierkrimis in ganz andere literarische Zusammenhänge. Das ist in der Tat überraschend, aber kommt auch out of the blue und seltsam unangemessen und grob angeschraubt daher.

Denn wo genau wäre ein politischer oder sonst wie einsehbarerer Punkt, für den Mouawad die Tierebene erst aufbaut, dann aber, wenn das Thema gewechselt wird, sie fallen lässt und sich für die summierende und wertende Schlusserzählung doch wieder lieber Homo sapiens bedient, dem dadurch die Deutungshoheit zugewiesen wird? Das geht, wie man’s dreht und wendet nicht zusammen.

„Anima“ ist ein teilweise faszinierendes, ein misslungenes und letztlich ein verstörendes Buch geworden. Verstörung kann ein Mittel zur Erkenntnis sein. Hier ist sie das, fürchte ich, eher nicht. Hier bündelt sich viel Ambition und Getöse zu letztlich gefühligem Kitsch.

Thomas Wörtche

Die Kurzform dieser Rezension können Sie hier und hier lesen …
Wajdi Mouawad: Anima (Anima, 2012). Roman. Aus dem Französischen von Sonja Finck. München: dtv 2014. 445 Seiten. 16 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage des Autors.

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